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Mit ihrem Buch "Ein Kapitel aus meinem Leben" setzt Barbara Honigmann ihre Mutter als Legende in die Welt.

Immer wieder während der Lektüre die Schwarz-Weiß-Fotografie auf dem Cover betrachten: Eine junge, ungemein hübsche Frau, dunkel das Haar, die Kleidung, der Hut, den Kopf etwas zur Seite gewendet, den Blick gesenkt. Es sind die Augen, die fesseln, lebendig und gleichzeitig in sich gekehrt. Man wüsste gerne, was gerade in ihr vorgeht, was sie denkt und fühlt. Es ist eine Aufnahme von Alice "Litzy" Kohlmann, der Mutter von Barbara Honigmann, entstanden in den 30er Jahren. Ein Jahr vor ihrem Tod besucht sie ihre Tochter in Straßburg, sie ist 80 Jahre alt, und sagt, sie wolle der Tochter nun "einige Details dieses Kapitels aus meinem Leben' erzählen" und die Tochter solle sich Notizen machen. Dieses besondere Kapitel ist die zweite Ehe der Mutter mit dem britischen Doppelagenten und 1963 als kgb-Spion enttarnten Kim Philby.

Als Barbara Honigmann in Ostberlin zur Welt kommt, ist ihre Mutter 39 Jahre alt und in dritter Ehe mit dem Journalisten Georg Honigmann verheiratet. Über den Status ihrer Eltern in den ersten Jahren der ddr meint Honigmann: "Ihre Privilegien, ihr Kosmopolitismus, ihr Status als überlebende Juden und als Kommunisten waren ihre Stigmata." Nachdem sie bereits 1991 in "Eine Liebe aus Nichts" ihrem Vater nachgedacht hat, widmet sie sich nun der widersprüchlichen und geheimnisvollen Person ihrer Mutter.

Die Wurzeln von Alice Honigmanns Familie liegen in Ungarn, aufgewachsen ist sie in Wien. Sie engagiert sich in den 30er Jahren bei der kpö, bietet politisch Verfolgten Asyl in ihrer Wohnung, in der auch Versammlungen der kommunistischen Partei stattfinden. Eines Tages taucht dort Kim Philby auf, um Geld für den Kampf der Arbeiter zu überbringen. Als im Februar 1934 für Litzy der Aufenthalt in Wien gefährlich wird, heiraten die beiden und gehen nach England, wo Philby vom sowjetischen Geheimdienst angeworben wird. Seine erste Aufgabe besteht darin, eine mustergültig konservative Tarnkarriere einzuschlagen. Barbara Honigmann vermutet, dass Herkunft und Biografie ihrer Mutter dieser Tarnung vielleicht zu sehr im Wege standen. Wann genau die Ehe wieder geschieden wurde, daran kann oder mag die Mutter sich nicht genau erinnern. Nach dem Krieg zieht sie mit ihrem dritten Mann nach Ostberlin. In den 70er Jahren beginnt sie die Wiedererlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft in die Wege zu leiten und übersiedelt 1984, mit 74 Jahren, nach Wien.

Es ist ein beeindruckendes Leben. Doch wer war die Frau, die es gelebt hat? Barbara Honigmann erzählt und fragt im Wissen und Einverständnis damit, letztendlich nicht dahinter' kommen zu können. Zum Wesen ihrer Mutter gehörte Diskretion, "verschwiegenheitssüchtig" nannte sie ihr Mann. Die Tochter will die Geheimnisse der Mutter nicht aufdecken, sie beschreibt, wie sie sie erlebt hat, was sie von ihr weiß und was sie nicht weiß. Sie behauptet nicht, sie zu verstehen. Ihre Kunst und ihre Liebe bestehen darin, einen Schritt zurückzutreten und ihre Mutter "als Legende in die Welt" zu setzen in einem freien, schönen Buch.

Ein Kapitel aus meinem Leben

Von Barbara Honigmann

Hanser Verlag, München 2004

141 Seiten, geb., e 15,90

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