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Die dritte Schatzkammer

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ALS VERTEIDIGUNGSFÄHIGE ANLAGE ist das Arsenal oben auf der Terrasse vor der alten Belvederelinie als Ergebnis der Erfahrungen der Revolution von 1848 gebaut worden. Wie ein riesiger Adler horstet die Zitadelle über der Stadt. Keine Spur von Glanz und Schmuck. Und doch birgt das Areal nach der weltlichen und geistlichen Schatzkammer in der Burg die dritte Schatzkammer Oesterreichs. Siebzehn Säle, jeder von ihnen zeitgemäß eingerichtet. Da ist der Dreißigjährige Krieg. Die Fahne von Lützen. Der blutgetränkte Befehl Wallensteins an Pappenheim. Dann die Türkenzeit! Eine Uhr, den 8. Muharrem 1045 mohammedanischer Zeitrechnung zeigend — es war der 1. August 1664 und drei Uhr, als die Uhr in der Schlacht bei Sankt Gotthard stehen blieb ... Ringsum die Gestalten aus „Wallensteins Lager“. Rote Feder auf dem Hut — die Kaiserlichen (blaue Schärpen trugen die Schweden). Radschloßbüchsen, Faustrohre und Arkebusen liegen frei auf einem Tisch. Der Aufsichtsbeamte tritt herzu, zieht den Radschloßspanner und zeigt das Laden und Spannen. Dann der Saal des Prinzen Eugen. Und sein überaus schlichter Küraß, in dem ein so starkes

Herz schlug. Als es stillstand, trugen vierzehn Feldmarschalleutnants das Bahrtuch. In Rot, Weiß und Gold leuchtet der Maria-There-sien-Saal. Die Wandlung von Söldnertruppen des 17. Jahrhunderts zum wohlausgebildetenHeer der großen Kaiserin veranschaulichen Exerzierreglements. Dort drüben der schmucklose Dreispitz des Generals Laudon. Dann die Zeit der napoleonischen Kriege. Da steht Fernkorns Bronzemodell des Erzherzog-Carl-Denkmals. Der geräumige (,Radetzky-Saal“: Sämtliche Großkreuze, die er verliehen erhielt, liegen dort. Einfach auch hier seine Uniform. Zwei Modellfiguren von Garden bewachen den „Franz - Josef - Saal“. Schwarze Vorhänge vor den Fenstern des „Sarajewo-Saals“. Das Unglücksauto mit den Spuren der Anschläge steht an der Wandseite. Hier werden die Gespräche der Besucher immer leise.

MAN HAT AUFGERÄUMT mit den überfüllten Räumen, wo sich der Blick des Besuchers selten genug auf das Wesentliche zu konzentrieren vermochte. Es geht weniger um den Krieg als um das Wechselwirken politi-' scher Bestrebungen, sozialer Lagen, kultureller Zustände und geistesgeschichtlicher Entwicklungen. Denn ein Krieg ist kein isolierter Akt. Er ist nur aus dem Zusammenwirken verschiedener Zeiterscheinungen zu verstehen. Er bedeutet nicht allein, wie Stegemann behauptete, ein Mittel der Politik, bloß aus dieser heraus zu begreifen. Die Gestalter des Museums haben ein Bilderbuch der österreichischen Geschichte mit einer unerhörten Kraft der Versinnlichung und Vergegenwärtigung geschaffen.

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WAS JUNG WIRKT, ist die Ueberlieferung. Sie bewahrt, vorausgesetzt, daß in der Gegen-

waTt genug Verständnis für Gewachsenes vorhanden ist, vor bloßem Historizismus. Scheinen es nicht unsichtbare Hände zu sein, die dort au die Fahnen in der Ruhmeshalle rühren, daß sie sich kaum merklich bewegen? 2000 hängen und liegen im Hause — und in den Aufbewahrungsräumen. Kavalleriestandarten des Barocks aus schwerem Brokat und mit goldener Stickerei überzogen,. Türkenfahnen mit dem „doppelzüngigen Schwerte des Propheten“, Fahnen der napoleonischen Kriege, von denen oft nur Bruchstücke vorhanden sind, oder gar nur der Fahnenstock, wie der des Infanterieregiments Freiherr von Zach Nr. 15, bekannt durch Aspern. Lesen wir die Ortsnamen in der Ruhmeshalle: Lutter am Barenberg, Peterwardein, Belgrad, Mollwitz, Namur, Magenta, Solferino — und dazwischen immer wieder Böhmen: Lobositz, Reichenberg, Kolin, Skalitz, Trautenau, König-grätz... und dann setzt 1914 ein .mit Narol, Schabatz, Komarow, endend mit Asiago 1918!

WENN DER ERSTE WELTKRIEG einmal umfassend dargestellt werden soll, muß man an Er-

Weiterungen des Ausstellungsraumes denken. Schon jetzt ist Vorkehrung getroffen für einen „Saal der schweren Artillerie“. Man wird einen Raum mehr für die Entwicklung unserer Seefahrt widmen müssen, deren Kenntnis leider bei vielen Oesterreichern nicht weiter reicht als bis

Tegetthoff, Lissa samt Denkmal auf dem Prater-stern. Platz für Erweiterung gäbe es auf dem Gelände, das zwei Drittel des achten Bezirks gleichzusetzen ist, genug. 66.770 Quadratmeter sind von Werkstätten und Industrie beansprucht, 15.8 50 Quadratmeter dienen Wohnungen und nur 8420 Quadratmeter dienen musealen Zwecken. Es wäre übrigens hoch an der Zeit, daß die Rundfahrgesellschaften, die ohnehin zum Belvedere fahren, das Heeresgeschichtliche Museum einbeziehen, und daß die Gemeinde Wien eine Autobuslinie vorbeiführt — so lange man die Haltestelle Arsenal der Verbindungsbahn weiter verfallen läßt.

DIE ARMEE UND DIE FLOTTE als eine große, bildende Hand, als einen kulturell wirksamen Organismus, als ein Wesen das Leben ausstrahlte und die Kulturgeschichte befruchtete — sie aufgezeigt zu haben, ist eine der hervorragendsten Leistungen des Museums. Alxinger, der Nachahmer Wielands, hat auf Laudon und Erzherzog Carl Gedichte geschrieben, auch Perinet verherrlichte Carl. Haschka bedichtete die Einnahme Belgrads. Wer kennte den Dr. Aloys Weißen-: bach, wenn diesernicht den Text zu Beethovens Kantate „Der glorreiche Augenblick“ verfaßt hätte? Diabelli ist heutzutage höchstens durch fingerfertige Klavierstücke bekannt, aber er hat überdies den „Siegreichen Einzug Franz des All-verehrten in Paris am 15. April 1814, ein großes charakteristisches Ton-Gemälde für das Piano-Forte“ geschrieben. Tobias Haslinger und Adalbert Gyrowetz taten zu dieser Gelegenheit das Ihre. Die Militärs aber — welche geistige Regsamkeit! Erzherzog Carl war ja selbst ein namhafter Schriftsteller. Für die späteren Zeiten mögen einige Namen zeugen: Generalmajor Petar von Preradovic (erster und größter Lyriker, Sprachschöpfer des 19. Jahrhunderts für die Kroaten); Leutnant Schweiger-Lerchenfeld (Mitbegründer der modernen Volksbildung); Unter-

leutnant Saar (mit 16 Jahren Soldat, die Novelle „Innozenz“ geht auf Prager Eindrücke zurück); Rittmeister Torresani, Hauptmann Bartsch, Stephan von Millenkovich (als Lyriker Stephan Milow), Major Michel, der 1957 starb; Hauptmann Weil, Major Strobl („Metternich und seine Zeit“), Wurzbach (der Schöpfer des großen Nachschlagwerkes, 1843 der erste aktive Offizier, der Dr. phil. wurde); Hauptmann Scheim-pflug (Landvermessung aus der Luft); General- • major Sonklar (Orograph, nach dem eine Bergspitze auf Franz-Iosefs-Land benannt ist); Leutnant Freiherr von Slatin (Slatin Pascha); Julius Ritter von Payer und etwa noch der Oberleutnant Albert Freiherr von Gasteiger (kaiserlich persischer General und Geniedirektor, Reorgani-sator der persischen Armee).

HINTER DEN KULISSEN des Heeresgeschichtlichen Museums liegt die Welt der Werkstätten. Dort wird unermüdlich gearbeitet, um Fahnen, Uniformen, historische Waffen, Lederzeug, Gemälde und Stiche instandzuhalten oder auszu-bessern. Wehn wir hier ein Riesengemälde vor uns stehen, sehe, kSnheB wir der Versicherung des Restaurators kaum glauben, es habe ebenso ausgesehen wie jenes Bild links davor, auf dem man kaum den lockenumwallten Kopf eines Feldherrn erkennt. Die Frauen arbeiten an den Textilien, sitzen an meterlangen Tischen, setzen Nadelstich an Stich. Eine mühsame Arbeit! Zwischen sogenannter Müllergaze werden die Fahnenreste geborgen. Dazu gehören sehr geschickte Hände und Kunstverständnis. In den Waffenräumen liegen alle möglichen Modelle bis zur Decke auf Holzgestellen. „Immer zu wenig Raum“, klagt der uns Führende. Wirklich, es gehört eine tüchtige Schlankheit dazu, sich hier durchzuschlängeln. Uniformen, Kappen: welche waren hier nicht vertreten? Ein großes Buch mit Zahlen gibt sofort den Hinweis auf Gegenstand und Lageort. Wenn man die Uniformen von einst ansieht, wird man ein wenig traurig und noch mehr ärgerlich: Hier lägen Vorbilder genug für praktische und zugleich gefällige Uniformen, die man für die Gegenwart nur sinn- und zeitgemäß weiterentwickelt müßte. Unsere Vorfahren hatten nämlich, was man von den Zeitgenossen nicht behaupten kann — Geschmack, ja beinahe eine künstlerische Ader.

ZURÜCK DURCH DIE HALLE des Hauptgebäudes. Schülergruppen kommen. Längst hat es sich in einzelnen Anstalten eingebürgert, wenn ein bestimmtes Gebiet der Geschichte behandelt wird, eine Führung durchs Heeresgeschichtliche Museum zu „bestellen“. Auch die Soldaten unseres Bundesheeres sind oftmals Gäste, Mit ernsten Gesichtern stehen sie dann oft vor der Leuchtsäule, welche die „Fieberkurve“ Europas zeigt, die vielen Jahre des Krieges, die wenigen des Friedens. Und sie alle lesen auch die Worte des Dichters Wildgans dort aus seiner „Rede über Oesterreich“ auf der Säule, die anmutet wie ein Leuchtturm der Geschichte: „Und immer wieder geschah es, daß auf dem blutgetränkten Boden, auf dem diese Straßen einander kreuzten, nicht nur um sein eigenes Schicksal gerungen wurde, sondern daß hier auch die Würfel fielen über das Schicksal des ganzen Weltteiles... So ist der Oesterreicher seit Jahrhunderten gewöhnt an das unmittelbare Erleben von ganz großen Vorgängen der Geschichte, deren blutige Rechnung er unzählige Male bezahlt hat, und dies ist das erste Moment, das ihn frühzeitig, wenn auch in einem mehr schmerzlichen und passiven Sinne, über sich selbst erhoben und zum Europäer gemacht hat...“

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