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Die einfältige und die modische Baukunst

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Loos, Tessenow, Le Corbusier gaben der Baukunst den großen Stoß, obwohl oder weil sie eigentlich nicht Architekten waren. Zumindest nicht im gebräuchlichen Sinne des in allen Sätteln Gereenten, des Wettbewerbslöwen, des Auftragserstehers. Ihre Leistung und Bedeutung liegt darin, daß sie in der Zeit der Spezialistentümer wie der Mann von der Straße dachten. Sie waren in ihrer Art grenzenlos naiv. Sie sprachen zum unverbildeten Sinn. Auf fehlerhafte Art zwar, aber sie sprachen das Kommende aus. Sie schufen die Parallele zum Primitivismus der Malerei und Plastik. Wichtiger noch: sie waren früher noch als deren Führer Ankündiger der primitiv werdenden Welt. Im Zusammenhang mit ihrer Leistung ist es nicht prätentiös, an Schillers Glocke zu erinnern, über die sich die Weimarer Hofgesellschaft halbtot lachte. Ueber Loos, Tessenow lachen die Zünftigen nicht mehr. Aber sie haben so lange gelacht, bis ihnen das Dekorative und Achsiale zusammenstürzte.

Wie schwer es ist, das Durcheinander der Motive mit vieldeutigen Worten zu einer einfachen Erkenntnis zu führen! Es soll das seltsame Phänomen erklärt werden,. daß die drei „architektonisch Unbegabten“, von denen jeder gewaltige Fehlleistungen beging, die Baukunst aus den Angeln hoben. Es soll glaubwürdig gemacht werden, daß Naivsein stärker ist als Schmiß, daß man, ohne modisch oder spezialistisch zu sein, Erfolg haben kann, daß es auf die den Massen verständlichen Inhalte und nicht auf den Beifall der Artisten ankommt. Es soll Nachdenklichkeit erzeugt werden, über die Würde einer kommenden Baukunst, die sich der Aeffereicn entäußert.

Am leichtesten ist Tessenow in die Reihe der Naiven einzuordnen, am schwersten Loos. Bei Jeanneret, der noch lebt und daher sanfter angefaßt werden soll, ist der attraktive Kriegsname reklamekundig. Er enthält naive Klugheit oder kluge Naivität. Loos war ein schöner Mann, elegant und salopp, wie die Wiener Aristokraten, blendender Causeur, Liebling der Frauen. Er war ein wienerischer Prediger in der Wüste, von ganz anderer Art als der hagere Johann Tessenow, dessen österreichisches Debüt sehr kurz war. Aber beide waren „Erscheinungen“ von gänzlich anderer Art wie Le Corbusier, dessen Comeback ohne Hitlers Architektur kaum zu erklären ist.

Es wird sich einmal zeigen, daß die Vernachlässigung der Zeichnung, die bis zu den dreien als einer der wichtigsten Begabungsnachweise . galt, in der Architektenerziehung wieder zu Ehren kommen muß. Vorderhand obsiegt die von den dreien ausgegangene Tendenz, primitiv zu zeichnen. Loos war zeichnerisch am fruchtbarsten auf Kaffee-haustischmarmorplatten. Corbusier zerknüllt bei Vorträgen aus gutem Grund seine Bunt-kreideblätter. Seine Jünger haben Mühe, die Hobelspäne der Geisteswerkstatt aufzulesen und zu glätten. Tessenow, auch hier der Reinste, begründete einen neuen, edlen Stil der zeichnerischen Darstellung. Aber man muß Ohmann gesehen haben, wie er ein korinthisches Kapital oder eine barocke Fassade an die Tafel warf, um zeichnerische Begabung zu messen. Selbst Tessenow stünde einfältig und schüchtern mit seiner kleinen Gottesgabe der Redlichkeit des Strichs vor ihm. Nicht mit dem Zeichenstift, mit dem für die Masse wichtigeren Agens, mit dem Wort, wirkten die,drei. Loos zog die Lacher auf seine Seite, die gleich ihm die Zierwut der Wiener Werkstätte nicht leiden möchten. Tessenow sprach den Handwerker an, der im mechanisierten Zeitalter bedeutungsvoller Beurteiler wurde. Le Corbusier aber gewann die Bauingenieure, die seit den dreien den Architekten die halbe Geltung entrissen und immer noch stärker werden. Bei allen dreien kann man das Goethe-Wort umdrehen zu: schreibe Künstler, bilde nicht!

Aller drei Wirken zielt auf die viel» berühmte „Neue Form“. Hier die Fehlleistung zu entdecken, ist besonders leicht, sie sind Zerstörer und nicht Aufbauer. Denn formale Qualität kann in der Baukunst auf nichts anderem als auf Proportionsehen, Profilsehen, Farbensehen beruhen. Die neue Form müßte beschreibbar, durch Regeln faßbar sein. Alle drei geben aber höchstens negative Kritiken davon. Loos ist betreffs des Formalen geradezu ein Zyniker. Sein Hochhausentwurf, welcher eine riesige dorische Säule nachahmt — die Fenster im Echinus waren besonders scharmant —, ist vielleicht ein Spaß, den er sich mit dem amerikanischen Geschmack machte. Aber ihm war Chippendale oder amerikanische Bulldogmöbel hekuba. Sein berühmtes Haus am Michaeler-platz ist zur unteren Hälfte klassikanisch, zur anderen ein bedenklich gefühllos proportioniertes Gitter. Tessenows unzweifelhaft noble und edle Gesinnung reicht nicht über das Kleinhaus hinaus. Mögen die wenigen Berliner Bauten Alterswerke darstellen, die in einer dem Tessenowschen Wesen feindlichen Atmosphäre entstanden. Aber bereits die Hellerauer Schule ist formal steif. Mit Renaissance oder Barock konnte man Häuser jeder Art bauen. Aber die Tessenowsche „Gesinnung“ hat verhindert, daß der deutsche Wiederaufbau mit zeitgemäß betonten Konstruktionen unter Ausnützung der neuen technischen Möglichkeiten stattfand. Formal war Tessenow Biedermeier und seine Nachfahren wandten — schrecklicher Gedanke — Biedermeier in der Katastrophe an.

Le Corbusiers Form ist am besten gleich» zeitig mit der Fehlleistung im Konstruktiven zu besprechen. Bei Tessenow ist die Konstruktion redlich zwar, aber altrnodisch. Sein gebuckeltes Haus im Engadin ist meisterhaft naiv empfundene Fortsetzung der gebuckelten Natur. Aber es ist dieses Haus, bei welchem nicht zwei Deckenfelder gradlinig und gleichgespannt sind, bei welchem dem Dachdecker Rätsel aufgetragen wurden, die nur mit Schindeln notdürftig zu lösen sind, unseren nach „gestalterischer Freiheit“ strebenden Architekten geradezu zum Dynamit geworden. Seither buckeln sie die Mauern sogar im großstädtischen Villenviertel, übersetzen den schlichten Einfall ins Kilometerlange und vergeuden in der Notzeit Material und Arbeitskraft. Tessenows Kaltstellung in Berlin bezeichnet symbolisch den Punkt des Umbruchs, an welchem auch der edelste Individualismus nicht mehr „tragbar“ ist. Statt Handwerk tritt Serie, Maschine, Großkonstruktion — als sittliches Motiv die S p a r s a m k e i t in die Baugeschichte.

Noch viel naiver als das Versagen Tessenows in der Prophetie der kommenden Bauart war der weltgewandte Loos. Statt vieler Analysis sei hier ein erschütterndes Erlebnis erzählt, welches beweist, daß der Mensch „seinen Widerspruch“ sich selbst schafft. Loos war so naiv, daß er glaubte, es sei auf intellektuelle Wahlverwandtschaften etwas zu geben. Er ging nach Frankreich, baute ein oder zwei kleine Häuser, die unter dem Einfluß der französischen Konstruk-tivisten gerieten. Nach Wien zurückgekehrt, fand er wenig Arbeit. Wieder suchte er die intellektuelle Anknüpfung. In der reichen Tschechoslowakei machte er bei Prag einen

Stockwerkbau, bei dem der Wohn-Eß-Raum höher als ■ der Arbeits-Küchen-Trakt war. Man mußte also zur Wohnungseingangstür hinauf, und zum Hauptraum wieder einige Stufen hinuntergehen. Loos lud einen Kritiker zur Besichtigung ein. Schwer rückenmarkleidend, konnte Loos die Ausgleichstreppe nur passieren, wenn die Begleiterin ihn an den Händen zog, der Kritiker ihn schob. Aber Loos, auch dann noch voll treffender Schlagkraft des Wortes und tragisch naiv den Zwiespalt zwischen Physis und Werk nicht sehend, ging scharf gegen die Architekten los, die altmodisch das „Schachspiel des Entwerfens“ auf der Ebene betreiben, während er zum „Schach im Räume“ fortgeschritten sei.

Vielleicht gibt es in Le Corbusiers Leben nicht ähnlich erschütternde Selbsttäuschung, gibt es nicht dieses Anstoßen der Stirn an die Realität wie bei Loos. Man muß aber an die Weißenhofsiedlung sich erinnern und russische Architekten hören, die den vielberühmten Glashausentwurf für Moskau glossieren. Corbusier geht nunmehr zu gleichen Rhythmen, gleichen Deckenfeldern über, während im Anfang seine Tragsysteme einen brutalen Reiz gerade aus der malerischen Unordnung bezogen. Die Stuttgarter, Moskauer, vielleicht auch die New-Yorker Erfahrung, sogar die Marseiller Leistung lassen erkennen, wie handfest, zäh und unbegreiflich naiv dieser dritte schweizerartige Erneuerer ist. Der sensible Loos hielt viel kleinere Erschütterungen nicht aus. Er war begabter, dennoch nicht gleich stark. Schon nagt die Zeit an seinem Ruhm, schon rückt die hohe moralische Kraft Tessenows ein wenig gegen das Land „Hilligenlei“, während des Schweizers derbe Art mit fermentiver Kraft noch in den Bildzeitschriften geistert.

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