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Die Erinnerungen von Monika Plessner

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Monika Plessner, die Witwe des 1985 verstorbenen Philosophen Helmuth Plessner, präsentierte auf Einladung der österreichischen Gesellschaft für Literatur in Wien ihr Erinnerungsbuch „Die Argonauten auf Long Island. Begegnungen mit Hannah Arendt, Theodor W. Adorno, Gershom Scholem und anderen”.

Alvin Johnson, der Gründer der New School, der University of Exile in New York, nannte die emigrierten Künstler, Schriftsteller und Wissenschaftler, die er um sich sammelte, seine „Argonauten”. Diese Elite des deutschen Exils schildert die heute 82jährige, aus einer alten Breslauer Akademikerfamilie stammende Autorin „in ihrer Menschlichkeit”, wie sie im Vorwort schreibt. Sie, die den Umgang mit assimilierten deutschen Juden seit ihrer Schulzeit gewohnt war, begegnete 1952 mit Gershom Scholem, dem großen Erforscher der jüdischen Mystik, zum ersten Mal „einem ungebeugten Juden ... einem Stolzen und Freien, der an die Lebenskraft seines Volkes glaubte und sie verkörperte”. Scholem war es auch, der Plessner, dessen Vater sich bereits taufen ließ, über die jüdische Vergangenheit seiner Familie, beginnend mit dem chassidischen Wunderrabbi Salomon Plessner, aufklärte und damit seine Rolle als der große Vermittler der jüdischen Tradition, die in den Reschreibungen seiner Beziehungen zu Walter Benjamin und Theodor W. Adorno so genau dokumentiert ist, fortsetzte.

Als die Plessners 1967 Israel besuchten und dort Scholems überwältigende Gastfreundschaft kennenlernten, trafen sie mit dem Literaturnobelpreisträger S. J. Agnon auch den einzigen Mann, der nach Plessners lebendigen Schilderungen selbst Scholem als Erzähler übertraf.

Nicht weniger faszinierend ist das Kapitel über Hannah Arendt und ihre gemeinsame Freundin Hulie Braun-Vogelstein. Monika Plessner erkannte intuitiv Hannah Arendts gebrochenes und zwiespältiges Verhältnis zu ihrem Volk und setzt dieses in Beziehung zu ihrer gescheiterten Liebe zu Martin Heidegger: „Freunde von Hannah Arendt meinten, sie habe sich nur auf diese Weise von ihrer zwar erwiderten, aber hoffnungslosen Liebe zu Martin Heidegger befreien können ... Nur geschundene Liebe bringt so viel Lieblosigkeit auf. Ich erkannte das Rahel-Buch im Eichmann-Bericht wieder. Wie vor dreißig Jahren gegen Rahel Varnha-gen, so wütete Hannah Arendt jetzt gegen die toten Juden der Konzentrationslager und besonders gegen die Sterbehelfer, die gleichfalls todgeweihten Judenräte. Lieblosigkeit aus verzweifelter Liebe: Züchtige deinen Nächsten wie dich selbst.”

Monika Plessner, die selbst im „Merkur” und in den linkskatholischen, von Walter Dirks und von dem Oster-reicher Eugen Kogon herausgegebenen „Frankfurter Heften” publizierte, sich intensiv mit der Literatur und Geschichte der Schwarzen in den USA auseinandersetzte und 1952/53 als Assistentin im Frankfurter Institut für Sozialforschung arbeitete, nahm sich selbst in ihrem dichten, von der Intensität des Erlebten durchdrungenen Buch ganz zurück.

Sie rettet mit ihrem sensiblen Bericht jedoch eine Fülle von Erinnerungen an den letzten großen Höhepunkt des deutsch-jüdischen Geisteslebens in der Zwischenkriegszeit, das nicht mehr existiert. Wenn man ihr zuhört oder ihre Erinnerungen liest, könnte man zu der Ansicht gelangen, daß es eine deutsch-jüdische Symbiose tatsächlich gegeben habe.

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