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DIE ERLEBTE NATUR

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Die „Wiener Schule des phantastischen Realismus“ ist eine seltsame Pflanze im Ganten der bindenden Künste. Üppig wuehermd, imdt Farben von suggestiver Schönheit greift eti nach dem TTauntfiaiften, Magischen, Irrationalen, um 4hm Wesen und Gestallt zu verleihen. Oder ist es die Wirklichkeit, jene, die sich täglich, stündlich steint, welche ins Phantastische (gesteigert und vertiremidet eine bestimmte Aussage erhält? — Beide Ansichten lassen -sich vertreteni sie faillen imetaander, um such in diesem Müheoden Geranke bild-gewordener Gedankenassoriationen zu finden Es wird oft diamnach gefragt, was an der Wiener Schule so typisch wienerisch ist. Die Freude am Erzählern? Fabulieren? Die barocke Tradition? Oder eine gewisse Weltfremdheit, die in anderem

— und väeUeicbt tieferem Sinne — als „Welt-Vertrautheit“ verstanden “werden kann?

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Tatsache bleibt, diaß sich in ihr fast sämtliche Eigenschaften, die für den Österreicher charakteristisch sind, nachweisen lassen. Von seiinem Mmtengrändigen, die Oberfläche platter Wirklichkeiten aufreißenden Grübeln und Sinnieren (das schon Nestroy so (treffend darzustellen wußte) bis zu seinem Hang, das Absurde als normal, und das Normale als absurd zu empfinden. Aber vielleicht ist es gerade dieses „Typische“ am der Wiener Schule, das sie so ^bemerkenswert macht Unigeachtet sämitllächer Mcdestromurugen, welche, in lascher Folge einander alblösend das (gegenwärtige Kiumstwol-flen besÄmnen, lebt sie fcren eigenen Gesichten und Efrieb-niissen. In einer Zeit, in der aüles Gegenständliche als „rück-ständiig“ empfunden wtiird, ibenvühit sie sich in einer beinahe alitmeisterlich anmutenden Malweise das Ewig-menschliche und damit das Zeitlose au verbildlichen. Und erreicht dadurch scheinlbair mühelos und wie von sefllbsts, worum sich alles andere ziemlich fcrampflg bemüht: Btazäigairtiiglkeiit und Originalität. Sie wirkt darum so venblüfferud, weil ilhr der Gedanke an ein Mlitschiwtomen im Strom der großen Kunst „Erneuerer“ gar mdichit kammit.

Wurzelnd im Surrealismus, geschult an den alten Meistern wie Bosch, Brueglhel und Albrecht AUitdonfer, den Gotikem und Quaftbrocenitasten und beeinflußt vom Manienismus, Symbolismus und Jugendstil zieht sie ihre eigenen Kreise.

Das Ziusaromemitreffen ihrer Vertreter- und damit das Entstehen der Wiener Schule ist ein Beispiel dafür, mit welch zwingender Notwendigkeit sich oft gleichgesinnt Geister amauzdehen vermögen.

ADs Prof. Allbert Parts Gütersloh dm Jahre 1945 an die Akademie am Schilllerpliaitz kam, traten Fuchs, Hutten-, Lehmden und Brauer im seine Klasse ein. Sie entdeckten Gemeinsamkeiten, regten sich gegenseitig an und bildeten, geführt von der großen Ijaha-erperscMicbkeit Güterslohs zusammen mit Hausner eine Gruppe, welche Mitte der lünfoniger Jahre von dem Kunstkritiker Johann Muschik als „Wiener Schule des phantastischen Realismus“ bezeichnet wurde. Welche Arazäe-bumigskraft und Lebensfähigkeit sie besaß zeigit sich am der zahlreichen Anhängerschaft, die in der sogenannten ersten, zweiten, dritten und vierten Welle wie ein Schweif dem strahlenden Kometen folgt. Daß die Wiener Schule Gefahr läuft, im allzu Handwerklichen und Manderistischen au erstarren, dsit eine amdere, in jüngster Zeit geäußerte Ansicht. Ihre Relevanz kann hier nicht näher nachgeprüft werden.

Das, was den Künstlerin gemeinsam ist, ist mit wenigem Worten gesagt: sorgfältigste Ausarbeitung selbst des geringsten Details und damit im Zusammenhang stehend das Altmeisterliche ihrer Meßtechnik. — Näher auszuführen wäre das, was sie voneinander unterscheidet. Denn auch wenn sie alle unter einem einzigen Namen verstanden werden, zeigt doch jeder einzelne von Ihnen eine sehr individuelle Eigenart.

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Anton Lehmden, einer der Hauptvertreter der Wiener Schule, wohnt in einem modernen Wohnblock im zweiten Wiener Gemeindebezirk. Sein Atelier befindet sich im zehnten Stock. Trotzdem dringt das gleichmäßige Brausen des Verkehrs bis zu dem langgestreckten Balkon herauf, von wo aus sich der Blick weit über die linednander geschachtelten Dächer und Türme bis zum Horizont spannt. Auf die Frage „Ist es Ihnen hier nicht zu unruhig und zu laut?“ antwortet er: „Nein — -man gewöhnt sich daran“! Das ist das Seltsame an Anton Lehmden: ein Maler der so

sehr der Natur verbunden ist, dem die Landschaft ständiges Wunder, ständiges Erlebnis und ständiges Rätsel bleibt, fühlt sich wohl im Trubel einer Großstadt. Wer seine Bilder näher betrachtet, spürt die seltsame Faszination, welche von seinen Landschaften ausgeht, die in ständiger Bewegung, in ständiger Veränderung begriffen zu sein scheinen. Das 'bewußte Erleben der Natur zeigt sich in den feinen Pinselstrichen, mit denen das Gras, mit denen Bäume, Wolken, Wind und Pflanzen nachempfunden werden. Es ist so stark, daß sämtliche Bilder davon geprägt sind. Selbst in die Gesichter ist es eingegangen, zeigt es sich in einem in-Skh-Ruhen der Gebärden, oder in einem lockeren, windbewegten Haar.

Es gibt daher für diesen seltsamen Widerspruch nur eine Erklärung: daß Anton Lehmden als Mensch so sehr von dem Naturerlebnis durchdrungen ist, daß ihm der innere Bruch durch alles Naturgeschehen, hervorgerufen durch die Technik und Zivilisation, gar nicht bewußt wird. Daß er Natur selbst in den Städten findet und in den endlosen Reihen grauer Häuser. Viele seiner Bilder weisen darauf hin. Sie sind von einer tiefen, stillen Innigkeit oder auch von einer bestürzenden Bewegtheit, die im Klaffen der Erdoberfläche, im Hochspritzen aufgewühlter Wasserfluten und in sturmgepeitschten Bäumen und Wolken ihren Ausdruck findet. ,

Aber da ist dann auch noch ein anderes Motiv, das wie eine alptraumhafte Vision immer wiederkehrt: der Krieg mit seinen todbringenden Waffen, mit Panzern und Detonationen, welche die Luft erschüttern und die Elemente in Aufruhr bringen. Doch selbst hier wird das — zerstörende — Menschenwerk überwuchert von der Natur. Die Panzer werden zu riesigen, bösen Käfern, Fische schnellen im die Luft und mehrflügelige Vögel verdunkeln den Himmel. Das Wehe und Gepeinigte der Kreatur springt den Betrachter förmlich an und verdrängt alles übrige.

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Erstes, bedeutendes Werk Anton Lehmdens war das große Kriegsbil'd an dem er von 1947 bis 1949 gemalt hat, und welches später in Turin ausgestellt wurde. Die Kriegserlebnisse des Künstlers finden darin einen deutlichen Niederschlag. („Ich kann nicht vergessen, daß Menschen mit Hilfe vom Maschinen und mit eigener Hand jahrelang furchtbare Grausamkeiten begangen haben.“) Eine weitere Darstellung einer Panzerschlacht, expressiver als seine früheren Versuche, ist geplant

Lehmden unterscheidet sich in vielen wesentlichen Punkten von den allgemeinen Bestrebungen der Wiener Schule. Obwohl auch er sich von den alten Meistern beeinflußt zeigt, ist seine Malweise doch wesentlich lockerer und gelöster. Sie verrät innere Bewegtheit und einen zarten, dabei aber raschen, beinahe wirbelnden Strich. „Das Handwerkliche, das

rein Formale soll nicht zu wichtig, nicht zu perfekt werden.“

Seine Pflanzen brechen aus der Erde mit elementarer Gewalt, es ist auch hier der Sieg der Natur, der Sieg des Wachstums, welcher in Erscheinung tritt. Daneben aber gibt es bröckelndes Erdreich, verfallenes Gemäuer, zerborstenes Gestein. Die Büder zeigen den ewigen Wandel in der Natur, ihr Werden und Vergehen.

Was Anton Lehmden in seiner Malweise anstrebt, ist eine besondere Art von Realismus. Er nennt ihn „Konstruktiven Realismus“. Dieser habe mit dem ^phantastischen

Realismus“ wenig gemein. Er will die Wirklichkeit so wiedergeben, wie sie Sich ihm stellt. In ihren Einzelheiten, in ihren Details, die wunderbar genug sind, um eine entsprechende Beachtung zu finden. Ein Erlebnis, welcher Art es auch sei, soll immer neu sein, es darf nie zur Gewohnheit werden. Ein Sonnenuntergang beispielsweise ist ein ständig wiederkehrendes Ereignis. Aber es ist bedeutend genug, um wieder und immer wieder gemalt zu werden. Die Verfremdung, welche oft als Merkmal des „phantastischen Realismus“ genannt wird, soll nicht gewollt sein, oder um des Effektes willen geschehen.

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