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Die ersten drei Kapitel meiner Biographie

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Meine erste Erinnerung: Ich fühle, daß ich getragen werde. Sehe ganz deutlich eine hohe weite Oeffnung. Etwas Eilendes, Glitzerndes ist wahrzunehmen.

Es war die Enns. Ich lag in den Armen meiner Mutter und sah ins Himmelblau.

Großes herrliches Tal!

Wer kennt nicht den Duft deiner Narzissenwiesen? Den glühenden Mittag unter den Schindeln deiner Heuhütten? Wer träumt nicht von deinen Schneewächten im Winterrot?

Lieblicher Marktflecken!

Gröbming! Bist mein Geburtsort! Stehst klein Und bescheiden in der Landschaft. Bist einer der vielen Wächter, hilfst mit den anderen Ortschaften, die zwei Riesen bewachen. Die Südwand des Dachsteins und den unheimlichen Grimming.

In tiefschwarzen Nächten prasseln Gewitter dort oben. Orkane rasen unter Donnern und Blitzen. Kalkweiß leuchten die Gralsburgen im Toten Gebirge.

Eilender, gieriger Fluß.

An deinen Ufern standen die römischen Legionen.

Zehntausende modern dort seit den Bauernkriegen.

Du warst der Todeskeim meines Vaters. Man erzählte es mir wie eine Sage. Eine Laune, ein Böse-sein-WolIen, vielleicht war’s eine Wette? An einem eisigen Wintertag durchschwamm er die Enns. Nach drei Tagen lag er auf der Bahre. Mit 28 Jahren. Ich gebe es wieder, wie ich es gehört habe.

ioVon.,meinem Vater weift-ich -nur- eirtsi -Ec hat meffie Mutter tief unglücklich gemasht. Nach feinen persönlichen Schicksalen habe ich nie gefragt. Als er starb, war ich zwei Jahre alt.

Er war der Sohn einer Magd. der Sohn der bereits verstorbenen Maria Forster, röm. kath., eine ledige Wäscherin in Bruck an der Mur, und wohnt in der sogenannten Schön- grundnerhube Nr. 1. Sie ist eine uneheliche Tochter der Juliane Forster, ebenfalls eine ledige Wäscherin hier, und eine eheliche Tochter des Mathiees Forster, Schullehrer in Neuberg, noch am Leben. Pate: Franziska Kletzl, Wirtschafterin. Täufer: Mathiees Küßhold, Cooperator. Franziska Galler, geprüfte Hebamme ..

So steht’s im Taufschein vom 13. Januar 1859. Mit Sigillum Eccles Parochiae ad B. V. Marian Natan, Bruck an der Mur.

Die Rubrik seines Vaters ist leer.

Jetzt bin ich dem Leser noch die Aufzählung einiger Ahnen schuldig. Großvater, eventuell Urgroßvater, und so weiter. Auch von mütterlicher Seite. Aber das unterbleibt.

Nur einen will ich gelten lassen. Er ist der Stammvater aller Oesterreicher. Er schrieb unsern Heimatschein: Marc Aurel. Auf der ersten Seite seiner Schriften kann ihn jedermann lesen: „Mein Großvater Verus gab mir das Beispiel der Milde und Gelassenheit."

II

Die böhmische Tiefebene. Heimat meiner Mutter. Meine erste Kindheit. Teiche, Gänse und Pappeln, Weiden und niedere Behausungen darunter... Bilder, die ich Jahrzehnte behielt.

Eine verwitterte Holzbrücke über die Elbe. Ein großer Marktplatz, ein altes Schloß, ein Denkmal davor. Ich seh den Reiter aus dem Flieder springen: Georg von Podebrad!

Das war das Paradies meiner Mutter. Ihre Kindheit. In einem großen Bauernhaus tollte sie mit ihren Geschwistern. Dort konnten sie jeden Schabernack treiben. Es gab zahllose Verstecke, überall wohnten ihre Puppen. An einem Bächlein spirte sie mit ihren jungen Gänsen. Der Garten war endlos! Es war ein Paradies.

Bald wurden sie daraus vertrieben. Es hieß: „Die Preußen kommen!“ Der Vater lud die ganze Familie auf einen Leiterwagen, Säcke mit Mehl und Kartoffeln wurden mitgenommen, samt Bettzeug und Schweineschmalz. Nach drei

Tagen waren sie wieder in Podebrad. Der Krieg war aus und Kömggrätz verloren.

Ein Menschenalter danach waren der große Garten und das alte Haus meine Welt Ich tummelte mich dort mit der kleinen Philine vom Kaufmann Levy.

Gemeinsam gingen wir in den böhmischen Kindergarten. Im Haus hatten wir ein Riesenspielzeug entdeckt. Eine alte Wäscherolle. Sie war unser Zirkus. Der große Nero, der Hofhund, war unser Leibroß und der kleine Philax von Philine, den strichen wir an, der war unser Clown. Ich war der Dompteur, Philine die Zirkusprinzessin. An einem Sonntag gaben wir eine Galavorstellung, die ging aber schief, weil beide Hunde wegliefen.

Dann kam der Geburtstag meiner Mutter. Die weißen Schwestern hatten uns festlich gekleidet. Erst brachten wir unsere Wünsche dar, dann das Festgeschenk, das uns die Schwestern gelehrt hatten. Langsam und gehemmt fingen wir an, bald ging es fließend. Philine und ich sprachen das böhmische Vaterunser:

„Otče n4Š, jenž jsi na nebesich, posvet se jmėno Tvė, pfijd krälovstvl Tve, bud vüle Tvä jako v nebi tak i na žemi, odpust nam naše vfnny jakož i my odpouštime našim vinniküm, neuvod näs v pokušeni, ale zbav näs od všeho zlėho! Svatž Maria, matko boži, pros za näs bldne, nyni i v hodinu smrti naši. Amen!"

III

Punkt halb sechs ging der Wecker los. Ein Rouleau zwängte sich in die Höhe, der Kaiserliche Rat und Oberamts-Verwalter Rudolf-Seipel steckte seinen Kopf in die Morgensonne. Unten lag friedlich und still die Sechskrügelgasse im dritten Wiener Gemeindebezirk.

„Kezed csökolom!“ (Küß’ die Hand)... der hohe Siebziger begrüßte seine Gattin Henriette mit dem Morgenkuß. Dann klopfte er seine drei Aneroide ab, kontrollierte Luftdruck und Feuchtigkeit und brachte seinen Kaiser-Franz-Joseph- Bart in Ordnung. Der Morgenkaffee wurde wie immer genossen. Das schwarze Kommißbrot wurde ein- und ausgelöffelt, genau so wie er es als Kanonier getan in der Lombardei. Seine Gattin, die Jetti-Tant’, reichte ihm jeden Morgen ein blütenweißes Taschentuch. Er ergriff den Weichselstock mit der Lederquaste .. . noch ein „Kezed csökolom!" und draußen war er.

Ueber den Rennweg ratterten die Viehwagen zum Schlachthof nach St. Marx, und Zeitungsfrauen mühten sich mit ihren Paketen von Haus zu Haus. „Köszönöm szė pen!" (Danke schön!), und der Herr Rat erhielt sein Morgenblatt.

„Kißt Hand“ ... und die Frau war verschwunden.

Am Ende der Straße bimmelten kleine Pferdchen herauf mit wackelnden Köpfen. Ein „Trara!“ blieb stecken in der Luft. Der Herr Kondukteur hatte ins Horn geblasen! Er gab das Haltesignal für die erste privilegierte Wiener Tramway-Gesellschaft. Wenn’s halbwegs weiterging, blies er wieder, und die Pferdchen wackelten mit dem Rumpelkasten weiter. Vom Sacre- Coeur schlug es pünktlich halb acht, wenn der Herr Rat an der Linken Bahngasse den Rennweg überschritt. Drei Minuten später war er im Botanischen Garten. Dort saß schon der Herr von Stüber, der Oberrevident der Staatsschuldenkasse, unter der alten Eibe. Der Seipel liebte diesen Baum. Sein tiefes Grün tat seinen starmüden Augen besonders wohl.

„SERVITORE RUDOLF!“ - „SERVITORE FERDINAND!“ begrüßten sich die zwei Regimentskameraden von Custozza.

Beide hatten ihrem Kaiser gedient, als Soldaten und Beamte, treu und brav. Der Stüber war etwas gebückt, gedrungen, mit struppigem Schnauzbart. Der Seipel, seine sechs Fuß hoch, hielt sich kerzengerade, elastisch, wie man damals zu sagen pflegte. Er war der Weitgereiste von den beiden. Sechs Dienstjahre in der Lombardei, vierzehn Jahre Steuereinnehmer in Ungarn, im finsteren Bakonyer-Wald, wo damals noch Bären ui\d Räuber hausten, und sechzehn Jahre Salinenverwalter in Aussee.

Der Stüber hatte es leichter. Der saß 36 Jahre am selben Schreibtisch in der Singerstraße. Er war der Konziliante. Er hatte den kleinen und den großen Charme, er kannte alle Wege, alle Verbindungen.

„Unser Gesuch ist bewilligt, Rudolf! Der Alexander hat mich verständigt. Die Josefa kann morgen im Münzamt ihren Dienst antreten.“

Die Josefa war meine Mutter Josephine. Von den Seipels wurde sie nie anders genannt. Als Spätgeborene unter dreizehn Kindern wurde sie an die Verwandtschaft als Dienstbote verliehen. Nach Prag, Chrudim und Olmütz, zum Schluß nach Wien an die Jetti-Tant’.

Auf einmal waren zehn Jahre ihrer Wanderschaft zu Ende. Wie einfach war das! Der Stüber hatte sich’s beim zweiten G’spritzten bloß einfallen lassen. Er hat seinen Spezi, den Alexander, nur daran erinnert... eine kleine Gefälligkeit, und zehn Jahre waren ausgelöscht! Nach menschlichem Ermessen waren die nächsten aNtonzig für:iftWfte - uttafgäsche .- ' -srf- ” Ks!

Am Wiener Heümarkt steht ein großes dreistöckiges Gebäude. Große vergitterte Fenster verkleiden es, massive Säulen schließen den Kasten von der Außenwelt ab. Jeden Morgen vor sieben erscheinen bei einem Seiteneingang einige Dutzend Menschen, und eben dort, wo bekanntgemacht ist, „Nichtbeschäftigten der Eintritt verboten“, dort betreten sie unter Kontrolle das Haus.

In den unteren Stockwerken toben Maschinen und stehen die Fenster offen, so dringt das Kreischen von Metallen heraus. In den höheren Stockwerken sitzen Beamte. Ganz oben der höchste. Der Spezi! Der schaut in den Himmel. Ein Hofrat! Knapp über ihm, mit der letzten Zinne, endet das Gebäude. Auf seinem First stehen weithin sichtbar zwei goldene Worte: REI MONETARIAE. Meine Mutter sah die Inschrift lange an. Sie zählte die Buchstaben. Dreizehn. Sie trat ein.

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