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Die erzieherische Situation auf dem Lande

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Die Gegenwart spricht und schreibt gerne von einer Erneuerung unseres gesamten Schul- und Erziehungswesens. Debatten in den öffentlichen Körperschaften, Zeitungsinterviews usw. beschäftigen sich mit Änderungen auch der gesetzlichen Grundlagen unseres Bildungswesens. Fragen einer neuen und doch schon so alten Einheitsschule, eines Planes einer allgemeinen Mittelschule, einer Neuregelung der Lehrerbildung werden ebenso erörtert und besprochen, wie die Probleme der althergebrachten Typen unserer österreichischen Mittelschulen. Wenig oder gar nichts hört man aber von den ebenso dringlichen Bedürfnissen und ebenso großen Nöten unserer Landschule und der bäuerlichen Erziehung überhaupt

1 Eine ausführlich Dameüung habe ;ch versucht in der demnächst erscheinenden „österreichischen Pädagogischen Warte“ zu geben. D. V.

Land und Dorf befinden sich jetzt nach sieben Jahren nationalsozialistischer Herrschaft und einem Jahrzehnt bedeutsamer weltgeschichtlicher Entscheidungen in einer Lage, die sich wesentlich von der früher oft üblidien sentimentalen Schau begeisterter Romantiker unter unseren ländlichen Volksbildnern und Volkstumspflegern unterscheidet. Der Krieg und die Herrschaft der nun beendeten verstädterten politischen Bewegung haben zunächst all das bestärkt, was besonnen- Beobachter schon früher als ländlichen Ent-seelungsprozeß, als Verstädterungsteno-nz, als Bedrohung bäuerlicher Arbeits- und Familienkultur und als Erschütterung von Dorffriede und Dorfgemeinschaft und der allem zugrunde liegenden religiösen Grundhaltung der Bauern weit bezeichneten. Das langjährige Herausziehen ganzer Alterr-gruppen durch Einberufung zur Wehrmacht oder zu wehrmachtähnlichen Vereinigungen, das Kommen von evakuierten Städtern benachbarter oder fremder Gebiete, von landfremden reichsdeutsclien Bevölkerungsteilen oder Nichtdeutschen, der militärische Durchzug, das Fronterlebnis und das Erleben der Besatzungsmacht im Dorf, dann der unabsehbare Flüchtlingsstrom, all dies führte in weiten Gebieten zu einer mehr oder weniger lang andauernden

volkstnäßigen Überfremdung der ursprünglichen Bevölkerungsschichten, zu einer Überfremdung, die mit der weitgreifenden

wirtschaftlichen Verelendung

weiter Landgebiete die Beunruhigung und die Aufgestörtheit des Dorfes und die damit zusammenhängenden und gegenwärtig noch gar nicht abzuschätzenden

biologischen und moralischen Folgeerscheinungen bedenklich verstärkte.

Das Landkind, das in diesem sittlich und biologisch aufgestörten, wirtschaftlich vielfach verelendeten und volksmäßig überfremdeten Erziehungsmilieu heranwächst, entbehrte und entbehrt aber auch in seiner ländlichen Bauernschule doch da und dort die alte, gediegene, autoritätbesitzende Lehrer- und Erzieherpersönlichkeit. Eine Erziehergestalt, deren Autorität mehr oder weniger erschüttert ist, erat manchmal an ihre Stelle.

Durch den gegenwärtigen Massnstrom der Lehrerversetzungen ist außerdem die seßhafte und beruhigte Landlehrergestalt einem der Verstädterung leichter erliegenden, geradezu nomadenhaften Erziehertyp gewichen, der.noch dazu in seinen jungen und jüngsten Angehörigen durch Ausbildung und Wirksamkeit in fremden Landgebieten vereinzelt i n n e r 1 i ch noch überfremdet ist.

Alle Schwierigkeiten werden noch verstärkt durch eine Reihe nicht unwichtiger widriger äußerer Umstände. Manche Landschulen sind durch die Kriegsereigniss'e zur Gänze zerstört, weitere erlitten mehr oder weniger schwere Gebäudeschäden, verloren ihre Inneneinrichtung, ihre Lehr- und Lernmittel. Fast keine Landschule verfügt über die notwendigen Lehrbücher, Hefte und sonstigen Schulbehelfe. Notschulen und Aushilfen auf allen Gebieten sind die Folge.' Der Lehrermangel, verstärkt durch die aus politischen Gründen verfügten Enthebungen, verschärft die ohnehin schwierigen Schulverhältnisse der niederorgahisierten Landschulen. Es ist keine Seltenheit, daß eine einzige Lehrkraft, oft eine Junglehrerin, durch Monate hindurch zwei Klassen mit mehreren Schuljahren, ja sogar zwei einklassige Schulen zugleich betreuen muß. Eine Reihe von Schulen konnte überhaupt nicht einmal für einen so gedrosselten Unterricht eröffnet werden. Noch vieles gäbe es hier an weiteren erschwerenden Umständen anzuführen.

Die Bedeutung aller Bemühungen um die Landschule erhellt wohl am besten die Tatsache, daß mehr als die Hälfte aller österreichischen Schulen nieder organisierte ländliche Volksschulen, das heißt überwiegend ein- und zweiklassige Schulen sind. Dies wird neben der ohne weiteres einsichtigen volkspolitischen und staatspolitischen Wichtigkeit für alle Zahlengläubigen die Bedeutung der Erneuerung auf diesem Gebiete in das rechte Licht setzen.

Es ist nun keine erregende pädagogische Entdeckung und kein umstürzender pädagogischer Reformgedanke, wenn wir die Landschule der Gegenwart nur als echte Arbeitsschule, als bodenständige Heimatschule und als zeitaufgeschlossene Lebensschule

sehen können. Das abgegriffene und viel mißbrauchte Wort von der Arbeitsschule, noch dazu in einem lebensfremd konstruierten Gegensatz zu einer angeblich reinen Lernschule, dies hat in seiner ursprünglichen und echten Bedeutung gerade für die Landschule mit ihrer weite Gebiete des Tages erfüllenden Stillarbeit ganzer Schülergruppen besondere Bedeutung. Daß dies im Hinblick auf den Erwerb unserer Kulturtechniken, des altehrwürdigen Triviums des Lesens, Schreibens und Rechnens echtes Lernen auf der Grundlage guten Schulfleißes nicht ausschließt, sondern in sich begreift, dies ist für eine Landschule, die zugleich auch Lebeus-schule sein will, eine Selbstverständlichkeit.

Die Eigenheit der Landschularbeit und der hinlänglich erforschten Landkindeigenart erfordert aber notwendigerweise hiezu landschuleigene Lesebücher und landschuleigene Lehrbehelfe überhaupt. Sie verträgt keine Gleichschaltung

mit der Stadtschule auf diesem Gebiete. Jede Uniformierung und jede unpassende Gleichschaltungstendenz müßte hier von Haus aus, schon von den obersten Stellen her, vermieden werden. Diese Forderung

nach einer landschuleigenen Didaktik schlechthin, mit einem ihr zugehörigen

landschuleigenen didaktischen Apparat von Lehrbüchern und Lernmitteln für die Schüler und von Handbüchern und Unterrichtsbehelfen für die Lehrer wird natürlich auch vom Gedanken einer echten Heimatschule, von der Forderung einer bodenständigen und dorfeigenen Schule noch unterstrichen. Soll die Landschule schließlich als richtige Lebensschule auch das Bauern-jabr mit seinem charakteristischen Arbeits-, Fest- und Feierrhythmus und mit seinem ganzen inneren geistigen Gehalt in ihre Tages-, Wochen- und Jahrespläne aufnehmen, dann wird sie nicht nur eine bodenständige Arbeitsschule bleiben, sondern auch eine eine

Schule lebensvoller Zucht und innerer Ordnung

werden, die wieder zur

Ehrfurcht vor jeder echten Autorität

und damit auch vor Gott erzieht.

All dies — und noch einiges andere — wird bei Gesundung der wirtschaftlichen Verhältnisse und bei einem denn doch wieder beruhigten und zu sich gekommenen Dorfleben aber nur dann möglich sein, wenn in unseren Landschulstuben auch wieder die echte Landlehrerpersönlichkeit am Platze ist. Kein verstädterter und kein nomadenhafter Lehrertyp ist erwünscht, sondern ein

seßhafter, heimatgebundener und dorf-verbundenea- Lehrermit wieder gefestigter erzieherischer Autorität,

und zwar mit der selbstverständlichen Autorität echter geistiger Führung in konformem erzieherischen Milieu. Daß es sich hiebei um keine Rekonstruktion eines ewig gestrigen reaktionären Lehrertyps vergangener Epochen handelt, braucht nicht eigens unterstrichen zu werden.

Eine gegenwartsbezogene und zeitaufgeschlossene österreichische Erziehergestalt, die bei gründlicher Ausbildung denn doch auch in dem nun wieder einmal beruhigten und zu sich selbst gekommenen Dorf in jeder Weise geistig beheimatet ist,ist notwendig. Diese zu bekommen und für das Land auch zu erhalten, wird aber nur dann möglich sein, wenn die materielle Basis der Landlehrerschaft in jeder Weise sichergestellt ist.

All dies ergibt nun auch bestimmte Forderungen an unsere

Diese wird in ihrer Bedeutung für die Landschule gegenwärtig schon dadurch diarakteri-siert, daß die künftige Landlehrerschaft fast ausschließlich an Bildungsanstalten herangebildet wird, die in Groß- und Mittelstädten oder in Industrieorten liegen. Die künftige Lehrerbildung muß in weit größerem Ausmaß als bisher die Forderungen der Landschule berücksichtigen.

Schon der Pädagogikunterricht wird die neuere Milieupsychologie und Milieupädagogik und damit die gesidierten Ergebnisse der differentiellen Psychologie des Landkindes in sein Programm aufnehmen müssen. Die methodische Ausbildung wird die nun einmal notwendige landschuleigene Didaktik mehr als bisher berücksichtigen. Die Eigenart der Unterrichtsarbeit in den ein- und zweiklassi-gen Volksschulen aber wird nicht durch künstlich konstruierte Landsdiulklassen unserer rein städtischen Übungsschulen, sondern nur durdi häufige und zeitlich ausgedehnte Schulbesuche in echten Landschulen erworben werden können. Auch die übrige Ausbildung wird in den geisteswissenschaftlichen Fächern die Seinsgegebenheiten und das geschichtlidie Werden der bäuerlichen Welt ebenso berücksichtigen, wie die naturwissenschaftlidien Disziplinen, die biologischen, physikalischen und chemischen Grundlagen der bäuerlichen Wirtschaft. Möge audi der Fremdsprachenunterricht die Muttersprache und die Mundart nicht zu sehr verkürzen und alle begrüßenswerte Hebung der Allgemeinbildung die musikalische Ausbildung nicht unmöglich madien. Ist doch für den Landlehrer eine gediegene musikalische Ausbildung ebenso wichtig wie Fremdsprachenkenntnisse und gehobene mathematische Kenntnisse.

Gegenwärtig spricht man gerne und oft in recht äußerlicher Weise von einer Nachschulung und Umschulung insbesondere unter der Junglehrerschaft. Besser wäre es, einer

Erziehergesinnung das Wort zu reden. Die Umschuhmg wird von blassen und allgemeinen Erörterungen

zur lebensvollen Wirklichkeit richtiger Landschularbeit vordringen müssen und wird dann von selbst den in Haltung und Gesinnung, in Gebärde und Rede noch nicht oder nicht mehr ganz österreichischen Jungerzieher die richtige Milieubezogenheit vermitteln.

Freilich bedarf es dazu neben einer neuen Generation bestvorgebildeter und doch berufseigener Lehrerbildner auch neuer und mutiger Maßnahmen auf dem Gebiet der

Einzelvorlesungen am Pädagogischen Institut der Stadt Wien haben für die Landlehrerschaft praktisch überhaupt keine Bedeutung. Landschultagungen, Fortbildungseinrichtungen für die Landlehrerschaft seitens der Landesschulräte und vor allem ein zentrales Institut, das sich in wissenschaftlicher und praktischer Weise zugleich mit allen Fragen der Landschule und der bäuerlichen Erziehung besdiäftigen würde, wäre notwendig. Seine Aufgabe wäre auch die Herausgabe entsprechender Handbücher für die Landlehrerschaft, die Herausgabe landschuleigener Lehrbücher und Unterrichtsbehelfe, die Anregung und Planung von Fortbildungseinrichtungen für die Landlehrerschaft in den Ländern, Bezirken und Bezirkssprengeln und endlich auch die Mobilmachung der Lehrerbildungsanstalten auf dem Gebiete der Lehrerfortbildung. Vielleicht könnte eine soldie zentrale Stelle es dann auch erreichen, daß der Rundfunk in einer bescheidenen pädagogischen Kurzsendung periodisch sidi an die Kreise wenden könnte, die aufnahmebereit, aber weitab von jeder sonstigen Fortbildungsmöglichkeit sind, nämlich an die Landlehrerschaft.

Manches gäbe es hier noch anzuführen, 'den Ausbau unserer Landkindergärten und unserer Schulküchen, der ländlichen Sprengelhauptschulen und das Entstehen gediegener landwirtsdiaftlicher Mittelschulen an Stelle der im letzten Jahrsiebent so gehäuften Mittelschulen unserer ländlichen Bezirkshauptorte. Von besonderer Bedeutung wäre aber die innere Gleichrichtung aller Bildungsund Erziehungsbestrebungen des Landes und der Vielfalt unseres niederen landwirtschaftlichen Berufsschulwesens durch das Wiederentstehen und Wirken zentraler Bildungseinrichtungen, wie der von Hubertendorf und von St. Martin bei Graz.

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