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Die ewige Wanderschaft des Messer Giovanni

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Juli 1415 im kleinen italienischen Städtchen Capestrano: in der flimmernden Hitze des Tages sahen die Einwohner einen seltsamen Zug durch die engen Gassen auf den Marktplatz zu sich bewegen. Auf einem Grautier rücklings sitzend, auf dem Kopf eine Mütze aus Papier, auf der die verschiedensten Verbrechen aufgeschrieben waren, von Gassenjungen, die johlend den Zug begleiteten, mit Steinen beworfen — so zog der ehrenwerte Messer Giovanni seines Weges. Ein Scherz, ein Irrtum, eine Narretei? Ein Wachsoldat, bereit, eine Fleißaufgabe zu vollbringen, verhaftete den Mann und brachte ihn auf den Magistrat. Dort hatte man schon von den Plänen des Messer Giovanni gehört und entließ ihn sogleich, mit einem Lächeln über die Art Selbstjustiz, mit dem er seinem bisherigen Leben ein Ende bereitete.

Denn das bisherige Leben des Messer Giovanni war in ganz anderen Bahnen verlaufen: 'aus einer halb bürgerlichen, halb feudalen Familie stammend, 1386 geboren, war er mit jungen Jahren auf die Universität nach Perugia gekommen, um Jus zu studieren. War bald Beamter im Königreich Neapel geworden, ein sehr geachteter Jurist. Ansonsten ein Geck und ein Stutzer, der die Haare mit Goldfäden durchwebt trug, sehr eitel, „hochmütig wie ein Teufel und verschlagener als Satan“, wie er selbst später bekannte, nicht sehr fromm — bis zum dreißigsten Lebensjahr war er noch nicht zur hl. Kommunion gegangen —, voller Rachgier gegen die Feinde seiner Familie. Kurz, ein Mann, der die besten Aussichten auf eine Karriere vor sich hatte. Wenn nicht...

Wenn er nicht eines Tages, in den vielen italienischen Wirren, von einem Feind gefangengenommen worden wäre, um in einem Turm so lange zurückbehalten zu werden, bis das Lösegeld gezahlt werden würde. Eines Tages hat er plötzlich eine Vision: er sieht einen Mann im Franziskanerhabit. Sofort ist er sich bewußt: er solle Franziskaner werden. Heftig wehrt er sich. Er will nicht ins Kloster. Nach einer Woche erscheint die Gestalt von neuem. Jetzt endlich ergibt er sich. Kaum freigelassen, liquidiert er sein bisheriges Leben, nimmt am 4. Oktober 1415 den Franziskanerhabit im Kloster Monteripido bei Perugia. Ein Jahr später legt er die Gelübde ab, dann folgt nur noch ein Jahr Studium und dann senden ihn die Obern schon in die Welt. In jene Welt des ausgehenden Mittelalters, die er weitgehend beeinflussen und umgestalten sollte.

Die Welt, in die der ehemalige Messer Giovanni gesandt wurde, der sich als Franziskaner Johannes von Capestrano nannte, war ein Trümmerhaufen. Einige Jahre vor seiner Geburt war das große abendländische Schisma ausgebrochen, um vier Jahrzehnte lang die Christenheit zu erschüttern. 1378 wurden zwei Päpste gewählt. Ein Meer von Trübsal und Verzweiflung breitet sich über die Christenheit aus: jeder der Päpste bannte die Anhänger des andern, so daß die ganze Christenheit im Bann war. Die Bischofsstühle wurden doppelt besetzt, die Orden zerfielen. Der Glaube an den Primat überhaupt geriet ins Wanken. Versuche, dieses Unglück zu beseitigen, scheiterten zuerst. Schließlich gab es statt zwei gar drei Päpste. 1417 endlich gelang es dem Konzil von Konstanz, dieses Unglück zu beseitigen. In der Person Martins V. erhielt die gesamte Christenheit ein gültiges Oberhaupt. Es war das gleiche Jahr, in dem die Oberen Johannes von Capestrano in die Welt sandten.

Das Kloster, in das Messer Giovanni eingetreten war, gehörte zur strengen Richtung innerhalb des Franziskaner-oidens, zur sogenannten Observanz. Diese Reform, gegen Ende des 14. Jahrhunderts entstanden, wollte die ursprüngliche franziskanische Strenge wieder herstellen. Erst eine kleine Gruppe, schließlich mit Hilfe der Päpste ein autonomer Zweig innerhalb d“r Konven-tualen, wurden sie schließlich, als es sich zeigte, daß eine Ausbreitung ihrer Reform auf den ganzen Orden unmöglich war, ein neuer franziskanischer Orden, die braunen“ Franziskaner. Aus diesem Ordenszweig kamen im 15. Jahrhundert die drei großen Prediger Bernadin von Siena, Johannes von Capestrano und Jakob von der Mark, welche die Erneuerung Italiens vollzogen. Mit der Predigt. Ununterbrochen wanderten sie jahraus, jahrein durch Italien, predigten, predigten, predigten. Johannes von Capestrano begann oft schon um drei Uhr früh. Predigte stundenlang. Bis zu sechs Stunden.

Dennoch, das Andenken Johannes von Capestrano wäre wahrscheinlich nur innerhalb Italiens bekannt und noch vielleicht innerhalb des Ordens, hätte nicht eines Tages ein Mann seinen Weg gekreuzt, der von nun an sein Leben bestimmend beeinflussen sollte: 1450 war der Sekretär des Habsburgers Friedrich III. nach Italien gereist. Hatte zu seinem großen Erstaunen die Veränderung im religiösen Leben Italiens bemerkt. Und hatte immer wieder den Namen Johannes von Capestrano gehört. Dieser Sekretär, Enea Silvio Picco-lomini, schrieb sofort an seinen Herrn, er möge sich vom Papst diesen Prediger erbeten, damit auch Österreich die Segnungen einer solchen Mission erfahre. Kurze Zeit darauf hielt schon Capestrano den Befehl des Papstes in den Händen, nach Österreich zu gehen. Im Mai 1451 überschritt er die Grenze Italiens. Seine Reise durch Österreich nach Wien glich einem Triumphzug, so bekannt war sein Name. Fast“ zwei Monate predigte er in Wien, meist im Freien vor St. Stephan. Die Lebensmittel wurden knapp, so viele Menschen strömten in die Stadt. Dann hielt es ihn nicht länger in Wien. Er wollte nach Böhmen, um den Hussitis-mus eine endgültige Niederlage zu bereiten. Es wurde die größte Niederlage seines Lebens.

Der Hussitensturm hatte Böhmen in eine Wüste verwandelt. Und es aus der Einheit des christlichen Europa gelöst. Kreuzfahrerheere, die es gewaltsam wieder eingliedern sollten, waren zu-schandengeschlagen worden. Schließlich hatten Diplomaten ein Kompromiß gefunden, das Böhmen wieder in die Kirche eingliederte: durch Gewährung des Kelchs, das heißt der Kommunion unter beiden Gestalten. Es gab von nun an zwei Riten in Böhmen: die Utraquisten und die Römischen. Im Utraquismus Bammelten sich auch die romfeindlichen Elemente, bereit, die Einheit Europas neuerlich zu gefährden. Capestrano erkannte das und begann seinen Kampf. Er wollte nach Prag, um mit den Führern zu diskutieren, ihnen die theologischen Fehler nachzuweisen. Versuchte von allen Seiten zum Herzen des Landes zu gelangen. Umkreiste Böhmen wie eine Festung. Vergeblich. Die Herren des Landes ließen ihn nicht hinein, sie wollten nicht mit ihm diskutieren. Sie wollten nicht den Kelch verlassen. Ähnlich wie die Magyaren in der Krone, hatten aich die Tschechen im Kelch einen Mythos geschaffen, von dem aus ihr nationales Leben anscheinend Schutz erhielt. Was die Jünger Loyolas ein Jahrhundert später in Deutschland sofort erkannt hatten, nämlich die nationale Komponente in der deutschen Reformation, das übersah Capestrano in Böhmen. Er hätte die theologischen Irrtümer, die im Gefolge des Kelches sich einstellen konnten — Christus ist gegenwärtig nur unter beiden Gestalten —, bekämpfen sollen, aber nicht den Kelch an sich. So aber scheiterte er.

Da griff wieder die Hand Piccolominis ein: er solle den Traum von der Bekehrung Böhmens lassen und nach Ungarn kommen, das Kreuz zu predigen. Der Türke stehe vor der Tür. Der alte Mann machte sofort kehrt, ging nach Ungarn, predigte. Predigte den Kreuzzug gegen die Türken. Die Barone Ungarns standen abseits, sie wollten nicht kämpfen. Johannes sammelte Söldner. Predigte weiter. Bis ihn die Nachricht traf, eT möge endlich zu predigen aufhören und mit seinen Kreuzfahrern nach Belgrad kommen, wo schon der Türke stand. Als er nach Belgrad kam, war es schon eingeschlossen. Der ungarische Oberbefehlshaber verlor den Mut. Der Mönch verlor ihn nicht. Mit ein paar Schiffen überfiel er auf der Donau die türkische Flotte, befreite Belgrad von der Flußseite wenigstens von der Einschließung. Führte seine Söldner in die Stadt. ' Der Oberbefehlshaber verlor neuerlich den Mut, als er die Vorbereitungen der Türken für einen Sturm auf die Stadt sah. Wollte einen Waffenstillstand schließen. Der Mönch verlor nicht den Mut. Befahl, auszuharren. Am 21. Juli 1456 nachts begann der Sturm, bald hatten die Türken die halbe Stadt in den Händen. Da zündeten die Verteidiger große Reisigbündel 'an. Die Türken, erschreckt, ziehen sich zurück. Wie durch ein Wunder ist die Stadt gerettet. Dann, am nächsten Tag, ereignet sich jene Episode, die ihn weltberühmt gemacht hat: einige Kreuzfahrer greifen ein Abteilung Türken an, diese, in der Meinung, es handle sich um viele Christen, ergreifen die Flucht, Verteidiger aus der Stadt strömen hinzu, gehen gegen die Türken vor, trotz Verbot des Befehlshabers. Capistran will sie zurüc halten , sie gehorchen nicht, da geht er mit; als er sieht, wie die Türken fliehen, trägt er den Angriff mit vor. Das halbe Lager wird erobert. Dann hindert die Nacht ein weiteres Vordringen.

Alles wird zuschanden. Seuchen brechen herein und dezimieren das Kreuzfahrerheer. Der ungarische Kommandierende stirbt. Capistran, dessen Körper ausgemergelt, widersteht nicht mehr der Seuche. Man bringt ihn noch nach Ilok in Slawonien. Dort stirbt er nach 78 Tagen. Fern der Heimat wird er begraben. Jahrzehnte später überfluten die Türken den Ort. Seine Gebeine werden nie mehr gefunden.

Eine Kanzel am Dom von Wien erinnert an diesen seltsamen Mann und sein seltsames Leben und daran, daß Wien ein Ruhepunkt in seiner ruhelosen Wanderschaft war .

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