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Die Extremsituation des Exils mit den Augen eines Afrikaners

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Wie eine Busfahrt” beschreibt Tierno Monenembo das Leben im Exil Abidjan, „Schlaglöcher, Schicksalsschläge, Albernheiten und Geschwätz, Schleuderpartien entlang der Lagune, alle Augenblicke Kurven und nach jeder bewältigten Teilstrecke die Gefahr, umzukippen”. „Zahltag in Abidjan” ist der erste ins Deutsche übersetzte Roman des Guineers, der als einer der führenden Vertreter der jungen afrikanischen Literatur gilt. Er schildert das Iben einer Gruppe von guineischen Studenten in Abidjan, die sich um den Studentenführer Elgass gebildet hat. Alle sind damit beschäftigt, in der Millionenstadt zu überleben und die seltenen Chancen, die ihr karges Leben ihnen bietet, wahrzunehmen. Darum hat auch keiner wirklich Interesse, die Fragen, die der mysteriöse Tod des Studentenführers aufwirft, zu klären. Denn fast alle, wie sich im Lauf der Geschichte herausstellt, haben auf die eine oder andere Weise vom Tod Elgass' profitiert.

Mit Beschreibungen Abidjans und des Lebens im Exil führt der Autor die Geschichte langsam ihrem Höhepunkt zu. Die Stadt ist immer präsent, in der Studentenwohnstadt Mermoz, in den Kneipen, im Bus: „Der 8er diesmal, der zur gleichnamigen Straße fährt. Zu dieser späten Stunde findet man immer einen Sitzplatz. Die Busse, die auf den Straßen Bidjans verkehren, sind eine Welt für sich, mit eigenen Gestirnen und Jahreszeiten. Schwule, I Iuren, das ganze horizontale Gewerbe hat die Händlerinnen und kleinen Angestellten vom Vormittag abgelöst. Hier hat jeder die ihm eigene Zeit zum Aufstehen, und hier löst jeder seine Busfahrkarte, als wäre es eine I Ieldentat und als nähme er damit sein Schicksal wieder in die eigene Hand. Solange es hell ist, gelingt es der Stadt, den äußeren Schein zu wah -ren. Sobald aber die Dämmerung hereinbricht, reißt sie sich die Masken ab und enthüllt ihr wahres Gesicht ... Wenn das Tageslicht verlöscht, schwemmt es alle Symbole der Macht

mit sich fort: Dienstgrade, Verordnungen, Ampeln und Parkverbotszonen. Das Meer wird aufgewühlt und heimtückisch, ein jeder wird seinem Nächsten, was ein Wassertropfen dem anderen ist. Ob Bulle, Priester, Lumpensammler oder Matrose, alle leben nur von der Durchsetzungskraft ihres Dranges, zu lügen und die Nase vorn zu haben. Alle im Rausch, alle namenlos im Ballsaal des Verfalls.”

Monenembo beschreibt die einzelnen Viertel als Mikrokosmos afrikanischer Realität. Die Millionenstadt zieht alle möglichen kleinen Leute durch ein oft 'trügerisches Glücksversprechen an, für das der Autor ein eindrucksvolles literarisches Bild gefunden hat. Mamy Wata, die Frau aus dem Meer - der mächtige weibliche Wassergeist, ein Mythos in Westafrika -geistert durch Tantie Akissis Träume und hat das Schicksal der Stadt und ihrer Bewohner in der Hand: „Antonine, das Messer! Diese Frau ist zu böse, und die Stadt hätte nicht an dieser Stelle geboren werden sollen. Die Teufelin braucht nur eine falsche Bewegung zu machen, und alles stürzt ein: Brücken, Hochhäuser und Eitelkeiten. Die Leute haben an diesem Ort nichts zu suchen, sie ist hier z' Hause. Allem hat sie ihren Stempel aufgedrückt, und alles gehört ihr ... Ich habe immer gesagt, daß es ein böses Ende nimmt, aber niemand hört auf mich, denn ich bin eine alte Frau, die nur noch auf einem Eckzahn und zwei schlechten Backenzähnen kaut. Es heißt, daß meinem Mund nur Worte entströmen, die in den Wind gesprochen sind, und Mundgeruch. Die Leute buckeln und zeigen ihren Wanst. Sie sagen, sie wissen, was sie tun, aber sie tun nichts. Sie stecken einen Weg ab, sie deckt ihn mit Sand wieder zu. Sie errichten ein Gebäude, sie füllt es mit Termiten. Sie halten

sich für genial, mutig und eifrig... Sie können einem nur leid tun! Selbstgefällig blicken sie in den Spiegel. Sie machen einen Mordslärm, um ihre Brötchen zu verdienen. Sie wissen nicht, die armen Irren, daß ihr Leben nur eine Farce ist. Sie arbeiten und pinkeln nur in Trugbildern der Teufelin. Und wenn etwas Ungewöhnliches passiert, tun sie so, als könnte hier überhaupt irgend etwas Normales existieren. Seht, wie unterhöhlt das Land ist! Abgründe klaffen unter den Felsen und zerrissene Schluchten.”

Mit dem Beginn eines afrikanischen Brettspieles, das Ba-dio, der Ich-Erzähler, mit einem anderen Studenten spielt, kippt die Geschichte ganz unerwartet ab der Hälfte des Buches, und die eigentliche Handlung, die bis dahin im Hintergrund steht, geht nun ihrem Höhepunkt entgegen. Das Awe-le-Spiel, die Studenten nennen es auch Todes- oder Wahrheitsspiel, besteht aus einer Holzplatte mit zwölf Löchern für je vier Spielsteine. Ii geht darum, dem Gegner so viele Steine wie möglich abzunehmen, und wer am Schluß mehr hat, gewinnt. Wenn ein Spieler die Steine aus einem Loch erbeutet hat, darf er eine Frage stellen, die der andere wahrheitsgetreu beantworten muß. Im Lauf des Spieles werden die Fragen um Elgass' mysteriösen Tod geklärt: Der eine hat Idjatou, die halbwüchsige Schwester des Studenten führers, um ihr Erbe betrogen, der an -dere den Sassa (Totem) der Familie gestohlen und verkauft; Badio wird als Vergewaltiger von Idjatou entlarvt, ein weiteres Überraschungsmoment der Geschichte.

Monenembo beschreibt die Abgründe der Seele, die in der Extrem-Situation Exil aufbrechen, ohne seine Protagonisten ihrer sympathischen Züge zu berauben. In einem Inter-

view sagt er: „Wie in allen meinen Bomanen habe ich die Handlungsstruktur auf meinen Lebenserfahrungen aufgebaut, dann aber erweitert. Die Erfahrung des Exils ist, glaube ich, an jedem Ort gleich. Aber für uns junge Menschen damals war das Exil in den Nachbarländern leichter zu verkraften. Wegen der klimatischen Bedingungen, aber auch aufgrund der sozialen Verhaltensweisen”.

Wie zwei Millionen Landsleute, mußtederAutorGuinea 1969 nach seinem Abitur verlassen, um dem Terrorregime Sekou Toures zu entgehen. Dem Diktator gelang als Gewerkschaftsführer durch die Forderung radikaler Sozialreformen und erfolgreiche Arbeitskämpfe der politische Durchbruch. 1958 erklärte er, inzwischen Guineas Präsident, die Unabhängigkeit von Frankreich und baute ein autoritäres Begime sozialistischer Prägung auf. Toure, im Boman Weiß-bubu genannt (er trat immer in einem schlichten weißen Bubu, dem weiten, wallenden afrikanischen Gewand, auf), machte das Land zu einem afrikanischen Gulag. Er verwandelte die PDG (Partie democratique de Guinee) in eine Einheitspartei, die das gesamte öffentliche Leben und die Verwaltung kontrollierte. Planwirtschaft, das Ver-

bot allen privaten Handels, die Abschaffung der Meinungsfreiheit und die erbarmungslose Unterdrückung oppositioneller Kräfte entzogen einer aufgrund der Bodenschätze durchaus möglichen Entwicklung jegliche Basis.

Tierno Saidou Diallo, so der bürgerliche Name des Autors, verbrachte die ersten Jahre des Exils in Dakar und Abidjan. Er glaubt, daß das Exil dem Schriftsteller eine besondere Verantwortung auferlegt: „Guinea ist mir immer gegenwärtig. Aber vielleicht haben wir, die wir nicht im Lande leben, eine eher der Wahrheit entsprechende Vorstellung von Afrika. Vielleicht läßt uns das Exil erkennen, daß es Filter gibt, die wie Nebel den Blick auf Afrika verstellen und die wir wegräumen müssen, bevor wir zu dem vorstoßen können, was ich als das wahre Afrika bezeichne ...

Es geht nicht darum, ein längst vergangenes, paradiesisches, spielerisches Afrika, ein Idealbild, wiederentstehen zu lassen. Nein, es geht darum, die afrikanische Modernität darzustellen.”

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