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„Die Exzellenz“ Hofmannsthal

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Des Schweden Bertil Malmbergs Schauspiel „Die Exzellenz“ (Ber-mamn - Fischer - Verlag, .Stockholm 1945) ist kein Schlüsselstück; es behandelt einen imaginären Hofmannsthal, einen Hofmannsthal allerdings, der durch die Überzeugungskraft jener inneren Wahrheit, welche aller wahren Dichtung innewohnt, in sehr hohem Maß existent und real wirkt.

Herbert von Blankenau, „österreichischer Dichter, Minister a. D.“ — so heißt es im Personenverzeichnis des Stückes —, ist mit Hofmannsthal in Hinsicht aller wesentlichen Eigenschaften identisch, doch nicht in bezug auf die Lebensfakta: ebensowenig wie Hofmannsthal den „Anschluß“ erlebt hat, war er Exzellenz und Minister a. D. gewesen. Das Entscheidende indes verbindet ihn mit Blankenau: „österreichischer Dichter“. Und dieser imaginäre Dichter hat mutatis mutandis die gleiche weltanschauliche Entwicklung durchgemacht wie sein Vorbild.

Nicht Lust an der denkspielerischen Frage, wie Hofmannsthal-Blankenau sich bei den Ereignissen des Jahres 1938 verhalten hätte, dürfte Schaffensantrieb für den Urheber des Schauspiels „Die Exzellenz gewesen sein, sondern das durch Zeitgeschehen brennend gewordene Problem, ob ein ursprünglich aus rein ästhetischem Bezirk kommender, vom Erfolg verwöhnter und zum Christentum, zum Katholizismus — vielleicht mehr aus Sorge um bedrohte Kulturgüter als aus tiefer innerer Wandlung — sich bekennender Dichter in der Stunde schwerster Prüfung die Kraft aufbringen könne, seine Überzeugung nicht durch das kunstgeadelte Wort, sondern durch die Tat, durch klare Absage an die Gewalt des Bösen und durch das selbstverleugnende Opfer — das auch die Gegner überwältigende Opfer — zu bewähren.

Bertil Malmberg — einer der bedeutendsten Lyriker des gegenwärtigen Schweden, ausgezeichneter Ubersetzer Hofmannsthalscher, Rilkescher und Ge-orgescher Verse, durch vieljährigen Aufenthalt in Deutschland vertraut nicht nur mit den Problemen der deutschen Literatur — glaubt aus seiner inneren Erfahrung heraus (auch er hat tiefe Wandlungen von nur-ästhetischer Weltschau zu überästhetischem Ringen um weltanschauliche Gewißheit erfahren) Hugo von Hofmannsthal die Fähigkeit christlichen Märtyrertums zusprechen zu dürfen. Den Schöpfer des „Salzburger Großen Welttheaters“ und des „Turms“ hat das Schicksal nicht vor eine Entscheidung gestellt, der Herbert von Blankenau gegenübersteht: ob das Bekenntnis im Wort mehr Gewicht habe als das Bekenntnis durch die Tat, ob das Opfer im Geiste schwerer wiege denn das Opfer des eigenen Seins.

Die Wirkung des Malmbergschen Schauspiels ist abhängig von seiner Fähigkeit, zu überzeugen, ob Hugo von Hofmannsthal unter den angenommenen Voraussetzungen so gehandelt hätte wie Herbert von Blankenau: die Verbindung des Modells mit der imaginären Gestalt erweist sich — sei es, daß der Dichter dies gewollt hat oder nicht — als zu eng für die Möglichkeit einer dialektischen Differenzierung von Modell und imaginärer Gestalt.

Diese unaufhebbare Synthese Hofmannsthal-Blankenau zwingt den Leser zu einer Entscheidung, die nicht nur das Schauspiel betrifft, die in noch höherem Maß letzthinnige Bejahung oder Ablehnung von Hofmannsthals weltanschaulich betontem Spätwerk bedeutet... Die Kühnheit der Problemstellung M sie ist repräsentativ für den Radikalismus und den Ernst der geistigen Auseinandersetzungen im Schaffen Bertil Malmbergs — gibt dem Werk einen besonderen Rang innerhalb jener Dichtungen, die aus der Tiefe her entscheidende Probleme unserer Gegenwart erhellen wollen.

Am Tage der Okkupation Österreichs beschließt Herbert von Blankenau, dem das Dritte Reich so widerwärtig ist wie er dem Dritten Reich, seine Heimat zu verlassen; er fühlt sich weder zum Mär-tyrertum berufen noch eines wendigen Opportunismus fähig. Trotz der Grenzsperre ist die Ausreise möglich, da Max Karbe, der Verlobte von Blankenaus Tochter Elisabeth, als hoher SS-Funktionär (Kommandant des Konzentrationslagers Buchenwald) die notwendigen Papiere beschafft hat. Karbe, ein letzthin ehrenhafter und wohlwollender, doch in Führergläubigkeit aufgehender, durch Gehorsamsseligkeit und schwarze Uniform verkrampfter Mensch, tut dies, um dem ihm drohenden Konflikt zwischen seiner Neigung zur Tochter Blankenaus und der nationalsozialistischen, Feindschaft gegen Blankenau fordernden Pflichtideologie zu entgehen — er kann dies tun, denn die Emigration des weltbekannten österreichischen Dichters Blankenau wird von der Bonzokratie als kleineres Übel denn sein Verbleiben in Österreich angesehen. Vor der Reise in die Emigration unterschreibt Blankenau auf Wunsch seines Beichtvaters Pater Ignatius — der Blankenaus Flucht ins Ausland befürwortet

— einen flammenden Protest gegen die Okkupation Österreichs, welcher in der letzten Nummer der von Ignatius herausgegebenen Zeitschrift, „Das Kreuz und die Wirklichkeit“, erscheinen und den verantwortlichen Redakteur zum Märtyrer seiner Überzeugung machen wird.

Am Geburtstag Blankenaus, einige . Wochen nach dem 13. März, herrscht in der Wohnung der Exzellenz Stille. Keine Telephonanrufe, keine Glückwünsche, keine Gratulanten, keine Reporter, wie der alte Diener Josef — einstens Lakai eines Erzherzogs — mißmutig feststellt, der aber, unbeugsamer Hüter der Tradition, trotz allem zur Feier des Tages für reichen Blumenschmuck gesorgt hat. Nur ein Blumenkorb wird überreicht, im Auftrag Kaiser Ottos, des österreichischen Thronprätendenten. Er allein hat den Dichter Österreichs nicht vergessen, er allein wagt es, ihm zu huldigen. Weder die Tochter Elisabeth noch der Diener Josef kennen den Aufenthaltsort Blankenaus, der seit seiner Abreise nichts hat von sich hören lassen. Nur dem als Besucher erscheinenden Lagerkommandanten Karbe ist bekannt, daß die Et-zellenz am Abreisetag die tschechoslowakische Grenze ungehindert überschritten hat — rechtzeitig, denn der in der Zeitschrift des Paters Ignatius veröffentlichte Protest gegen den „Anschluß hätte sicher KZ-Haft eingebracht (in welcher sich Pater Ignatius, nun einer der Schutzbefohlenen Karbes, befindet). Karbe bringt erneut seinen fanatischen Ge-horsamswillen zum Ausdruck, aber auch seinen Entschluß, jede nicht von höherer Stelle befohlene Gefangenenmißhandlung energisch zu verhindern; er erklärt ausdrücklich, gegebenenfalls auch eine Blankenau betreffende Bestrafung — sofern dieser in ein Konzentrationslager käme

— durchzuführen. Dies entfremdet ihn Elisabeth, die Karbes Glaubensintensität achtet, aber die ihren Vater bewundernde Tochter geblieben ist. In dieser Verwirrung der Gefühl taucht plötzlich, zur Entrüstung Karbes und zum Entsetzen Elisabeths, die Exzellenz auf; ein jäher Impuls, eine Eingebung gleichsam von oben her hat Blankenau, als er schon im Zuge saß, veranlaßt, Grenzübertritts-schein und Koffer einem anderen Emigranten zu schenken und in Wien zu bleiben, wo er, wie durch ein Wunder, unentdeckt blieb. Der seinerzeitige Spott Elisabeths über die geringe Opferbereitschaft ihres Vaters und die bei allem Verständnis für das Wesen des ästhetischen Menschen nicht ganz unterdrückte Ironie des Paters Ignatius am Tage des „Anschlusses“ sowie die Tatsache, daß dieser das Schicksal auf sich nahm, vor dem zu fliehen er dem Dichter Österreichs riet, haben die große und unerwartete Wandlung in Blankenau bewirkt. Es bleibt Karbe nichts anderes übrig, als Blankenau zu verhaften.

Das erste Bild des dritten Aktes zeigt, wie der körperlichen Züchtigungen ausgesetzte Blankenau durch seine physische Widerstandskraft — die ihm niemand zugetraut hätte — und die Intensität seines durch Opferbereitschaft und selbstgewähltes Opfer bestätigtes Christentum die gedankenlose Roheit und seelische Stumpfheit eines Krankenwärters erschüttert.

Das zweite Bild — in der Amtsstube des Lagerkommandanten Karbe sich ereignend, der mit härtesten Mitteln SS-Leute, die sich an Gefangenen (darunter Pater Ignatius) willkürlich und schwer vergriffen haben, diszipliniert — hebt mit einem erneuten Zusammentreffen Elisabeths und ihres Geliebten an. Elisabeth überbringt einen verschlossenen Brief der Gestapo-Leitung, in dem unter gewissen Voraussetzungen die Freilassung Blankenaus gestattet wird. Blankenau will allen Bedingungen (auch der geforderten Emigralion, die mit einer öffentlichen Erklärung, er sei im Konzentrationslager human behandelt worden, verbunden sein muß) entsprechen, aber er ist nicht bereit, seinen seinerzeitigen Protest gegen die Vergewaltigung Österreichs zu widerrufen. Das Schreiben der Gestapo-Leitung enthält für den Fall einer Weigerung den getarnten Befehl zur Tötung Blankenaus. Diesen Auftrag wird Karbe nicht durchführen, ebensowenig wie Elisabeth fürderhin Karbe anzugehören vermag, obwohl Blankenau durch die Hingabe seines Lebens die Liebenden versöhnen will, als wahrer Christ sich für die Mitmenschen zu opfern bereit ist. Er unternimmt, um den Ablauf des Unausweichbaren zu beschleunigen, einen überraschenden Flucht versuch, wobei ihn die Kugel des Fastens am Lagerausgang trifft. Der durch diese Vorgänge innerlich vernichtete Karbe befiehlt die allgemeine Öffnung der Lagertore und freie Passage für alle — mit dem Ergebnis, daß er sogleich wegen Meuterei verhaftet wird.

Der Ring hat sich geschlossen: Karbe, einstens bedingungslos führergläubig, ist ein fanatischer, seines Lebens nicht achtender Ungläubiger geworden, Blankenau, einstens schwach im Glauben, dessen bedeutendster kultureller Exponent er gewesen, besiegelt seine christliche Überzeugung mit dem eigenen Tod.

Das Schauspiel wurde in Stockholm 1941 und 1942 mit großem Erfolg zunächst in privaten Aufführungen dargestellt, später öffentlich gegeben. Daß trotz der im Jahre 1945 erschienenen Übertragung ins Deutsche bisher keine deutschsprachige Bühne für dieses tief in die Problematik der jüngsten Vergangenheit hineinleuchtende, bei aller Wirkungsstärke auf billige Effekte der Schwarzweißzeichnung verzichtende, keineswegs nur als Zeitstück zu bewertende Werk eines wahren Dichters, der ein Meister in der Beherrschung der Technik des Dramas ist, Interesse gezeigt hat, ist bemerkenswert. Denn neben Carl Zuckmayers „Des Teufels General' gibt es keine gegenwartsnahe Leistung, die auf dem Gebiet der Bühnenliteratur so viel aktuelle Substanz zum Kunstwerk veredelt und zur Dichtung vertieft wie Bertil Malmbergs „Die Exzellenz“.

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