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Die Falirt nadi Kefermarlct

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An einem heiteren Frühsommernachmittag, nach Stunden, da ihn ein düsteres Gemüt, wie schon so oft in den letzten Jahren, geplagt hatte, ließ der Schulrat Adalbert Stifter die Lohnkutsche an seiner Wohnung auf der Unteren Donaulände vorfahren, den vier Wänden, die ihn wie ein Gefängnis dünkten, zu entfliehen. Die Ehefrau Amalie war ausgegangen, und so ließ er ihr ein Billett zurück, worauf er schrieb, daß er nach Kefermarkt gefahren sei, an den Standbildern des geliebten Schnitzaltars wieder frei zu werden von der heimlichen Last der Seele.

Da fuhr er nun im abgedeckten Zweisitzer, wie er ihn stets benützte, über die Donau, die hier eine Schleife macht. Wie er so für die Zeit der Fahrt über die Brücke zuerst stromaufwärts, dann stromabwärts blickte, wollte es ihn überkommen, als habe er noch nie so recht bedacht, wie die Altvordern klug gewesen, da sie gerade an dieser Stelle die Stadt angelegt hatten. Doch wie oft hatte er das, von der Höhe des Frein-berges oder des Pöstlingberges auf Linz herabschauend, schon erwogen! Nun sah er nach dem buckligen Lande im Norden, In dessen Hügelwellen er bald hineinfahren würde. Sein geliebtes Mühlviertel!

Die Sonne wärmte ihn, aber das Land, das leuchtend in ihrem Scheine lag, vermochte ihm die dumpfe Not des Herzens nicht zu nehmen. Er blickte auf die Wiesenhänge mit den weißen Bauernhäusern und auf die Kuppen mit den kleinen spitztürmigen Kirchen, doch nichts rief ihn aus dieser herrlichen Landschaft an. Ein griesgrämiger, alter Mann war er geworden, so wie der Franz Grillparzer in Wien, pensionierter Archivdirektor bei der Hofkammer und Dichter wie er. Auch ihm hatte die Behörde das Leben schwer gemacht, und er hatte sich am Schluß verbittert zurückgezogen. So würde es auch mit ihm kommen.

Auf den Feldern schnitten die Bauern mit ihren Leuten den Klee, oftmals ganz nahe an der Straße. Da zischten heiser die Sensen. Die Weiber häufelten die Erdäpfel. Manch einer der Männer griff nach dem Hut, den Schulrat, der ihnen kein Unbekannter war, zu grüßen. Stifter dankte dann mit einem Winken der Hand, aber seine Gedanken waren nicht ganz zugegen, er machte es gewohnheitsmäßig, ohne Sinn für die Handlung, die den einfältigen Menschen gelten sollte, diesen Bauern, die er über ihrem gläubigen Wesen in sein Herz geschlossen hatte. Doch sie merkten nicht, wie abwesend er im Grunde war.

In Kefermarkt entstieg er dem Wagen und trat, ohne sich umzusehen in der Gegend, in die Kirche. Sein Schritt störte die Ruhe, fand er, und es fröstelte ihn auch. Da ging er mit leisen Sohlen und hüllte sich enger in den leichten Mantel, den er während der ganzen Fahrt nicht abgelegt hatte.

Jetzt stand er vor dem Schrein des schönen Schnitzaltars, der durch seine Tatkraft vor dem das Holz zerstörenden Wurm gerettet worden war. So viele Stunden in seinem Leben hatte er seine Figuren betrachtet, Wolfgang, Petrus, Christopherus mit dem Menschensohn. Diesen liebte er mit den kleinern Gestalten, dem Lorenz und dem Stephanus, vor allen andern. Was hatte der unbekannte Meister nicht alles in sein Antlitz gelegt, wieviel Sprache nicht seinem Körper gegeben! Allein heute rührte er die Seele des Dichters nicht an, sie war tot. Oder war nur er zu taub, sie zu

hören?

Lang verharrte er vor dem Altar. Sie alle mußten doch zu sprechen beginnen, er wußte es von früher her. Aber es war nur die Kälte da, die ihn durchfror. Da kehrte er den Heiligen den Rücken und verließ die Kirche. Draußen nahm er die Wärme des Tages wie ein seltenes Geschenk hin, er blieb an der Pforte stehen und bot den Körper der Sonne, die von ihrer Kraft noch nichts eingebüßt hatte.

Als er so vor dem Glanz des Himmels stand, daß er ihm etwas von seinem Schimmer ins Herz senke, und die Augen schloß, näherte sich ihm scheu ein Mädchen und grüßte ihn. Schnell sah er auf, die Stimme des Kindes hatte bei ihm angeklopft, er fühlte sich mit einemmal erleichtert, er erwiderte den Gruß und fragte das Mädchen, wie es denn heiße. „Annerl“, antwortete es und zog an seiner Schürze. Aber bald war die Scheu über der Begierde zurückgedrängt, dem Herrn Schulrat wissen zu machen, daß er es schon einmal, vor einigen Jahren, bei einem Besuch in der Schule, nach dem Namen gefragt habe.

Solche Treuherzigkeit belustigte den Mann, und er entgegnete, ja, das sei schon so gewesen, aber er habe den schönen Namen noch einmal aus dem Munde des Mädchens selbst hören wollen.

Darüber lächelte das Kind still.

Stifter sah ihm in die hellen Augen, und es schien ihm, als habe er vorerst diesem Mädchen begegnen müssen, um die Grübeleien von sich werfen zu können, die ihn immerzu gepeinigt. „Du bist ein gutes Mädchen“, sagte er nach einer Weile, griff in die Tasche und drückte dem Kinde einen Halbgulden in die Hand. Er dachte dabei gar nicht, was er mit dem Geldstück bezwecken wollte. Mochte das Mädchen damit tun was immer! Er knüpfte an die Gabe keine Lehre, wie sie am besten angewendet werde. Er wußte nur, daß die Eltern des Kindes arm waren, wie nahezu alle Leute, die hier wohnten. Schließlich strich er ihm noch über die Wange und schritt nach dem Wagen aus. Und wie das Gefährt schon den Berg hinabrollte, sah er zuletzt, daß das Mädchen sich noch nicht von der Stelle bewegt hatte. Er winkte ihm. Doch das Kind blickte nur auf die Münze in seiner Hand, bestürzt und wiederum freudig bewegt.

Der Wagen fuhr durch den sinkenden Abend nach Linz zurück. Der Schulrat lehnte in der Ecke, und das Bild des beschenkten Mädchens stand vor seinem Geiste. Und wiewohl die Sonne schon hinter dem Horizont tauchte und nichts als die von der Erde festgehaltene Wärme sich jeglichem Wesen, ob Mensch oder Baum oder Pflanze, bot, freilich noch stark genug, die Kälte der heranrückenden Nacht für eine Zeit zu bannen, hatte Stifter den Mantel weit aufgeschlagen. Was war es mit der Kälte gewesen, die ihn in der Kirche frieren gemacht? Er scheuchte den Gedanken fort. Weg! Da stand noch immer das Mädchen und sah auf das Geldstück herab.

Es dämmerte, als er vor dem Haustor den Kutscher entlohnte. Er stieg langsam die Stufen zur Wohnung hinauf und sperrte die Tür auf. Die Frau hatte ihn aber schon heranfahren sehen und empfing ihn an der Schwelle. Sie wartete, daß er etwas sagen werde, vielleicht ein frohes Wort, das ihr verriet, wie sehr die Fahrt nach Kefermarkt seinem Gemüt gut getan. Als er sie nun nur anblickt und schwieg, fragt di Frau:

„Wie ist dir, Mann?“ Er ging an ihr vorbei, bis an seine Zimmertür, dort kehrte er sich der Frau zu und legte den Finger an den Mund. Amalie erschrak. Was war mit dem Manne geschehen? Stifter jedoch lächelte und sagte: „Das Kind!“ Dann öffnete er die Tür und verschwand im Zimmer. Er sah nicht mehr, daß die Frau an ihr Herz griff und aus dem Raum eilte. Konnte er es denn gar nicht verwinden, daß ihre Ehe kinderlos geblieben war?

Adalbert Stifter hatte mit dem Wort aber gemeint, daß ein Kind alle Brunnen in ihm geöffnet und ihm neuerlich Macht über die Feder gegeben habe. Und er setzte sich an den Schreibtisch und begann den „Witiko“.

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