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Die Feste fallen

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Das kommt von der Diskriminierung des Lateinunterrichts: Wer weiß hierzulande schon, was ein Millennium ist? Eine Strafe, ein Hohlmaß oder ein Lottogewinn? Die Meinungsforscher werden es schon noch herausbekommen. Mehrheiten jedenfalls für den richtigen Tip werden sich kaum finden. Am schlimmsten ist, daß manche das Millennium für eine Einrichtung oder Erfindung der EU halten und fragen, ob dadurch das Bier teurer oder billiger wird. So überfordert ist jene Bevölkerungsschicht schon, welche die Parteien gerne die Basis nennen, die neuerdings auf unsicheren Füßen steht. Und selbst die Minderheit, die Millennium irgendwie mit einem Tausender in Verbindung bringt, mißtraut den umständlichen historischen Erklärungen. Die Minderheit der Minderheiten, die mit Latein ihr Gedächtnis und ihr Erinnerungsvermögen gestärkt hat, denkt an eine Tausendjahrfeier Österreichs zurück, die wir schon gehabt haben. Aber warum soll in einer Zeit, in der man zwecks Fremdenverkehr Faschingsumzüge im Sommer und sommerliche Arena-Festspiele winters in der Halle veranstaltet, ein Fest nicht öfter gefeiert werden? Es bestehen da überhaupt glänzende Aussichten, denn in den alten Dokumenten wird ja dieses Ostarrichi-Österreich, da es einmal Existenz ist, in gewissen Zeitabständen immer wieder genannt. Da können wir jedesmal wieder ein Millennium feiern - und schließlich wird der Ausdruck sogar ohne Latein populär. Glückliches Millenösterreich!

Aus leidvoller Erfahrung wissen alle Erdenbürger, die zum Beispiel zu Weihnachten Geburtstag haben, wie ungünstig für Feiern und Geschenke der Zusammenfall zweier Termine ist. Bei tausend Jahren spielt ein einziges Jahr keine große Rolle, so daß unser schönes Millennium fast mit dem Jubel über den heurigen 50jährigen Bestand der Zweiten Republik zusammenfällt. Man könnte es auch so empfinden: Der republikanische Fünfziger 1995 gleitet zwanglos in den historischen Tausender 1996 hinüber - und der österreichische Patriotismus steigert sich vom festlichen Auftakt zum machtvollen Crescendo. Wenn, ja wenn da nicht diese verflixte Terminkollision wäre, die wie die aus der Physik bekannte Auslöschung zweier Wellen beim Aufeinanderprall zu wirken droht.

Die Freuden-Orgie wurde längst zur Streich-Orgie. Die Vorfreude war noch die größte. Die vaterländischen Parallel-Aktionen, an deren Schilderung der Robert Musil sein real-literarisches Vergnügen gehabt hätte, setzten ihre kreativen Vorstellungen in Planungen um, die unvorsichtigerweise in den Begriff „Budget” mündeten. Bei diesem Wort ergrimmt der Finanzminister - und die ganze Regierung erzittert. Ehe die uns mit einem Budget kommen, setzen wir die Vorbereitungs-Kommissionen lieber wieder ab, oder wir lassen sie, Österreicher die wir sind, sanft aber sicher entschlafen.

Für den Republik-Fünfziger haben wir weitaus originellere Ideen, für die wir kein Budget brauchen. Also: Festsitzung, Festparade, Beflaggung, Kranzniederlegung, Festreden, Festessen. Das Protokoll rollt. Kostet nix, beziehungsweise auch nicht mehr als ein mittlerer Staatsbesuch. Den Rest besorgen die Medien. Ein paar Autoren zücken die Feder. Der

ORF durchstöbert die Archive und der Star-Kommentator wachelt uns den Atem der Zeitgeschichte ins Haus. Ein Sparpaket-Jubiläum. Soll noch einer sagen, unsere Regierung ginge nicht mit gutem Beispiel voran. Ein paar wilde Künstler verlei-,hen voraussichtlich dem ganzen Arrangement Würze und Wortspende, woraus sich unter Mithilfe der Aspiranten der Dritten Republik eine Diskussion ergeben kann, die dem Boulevard übers Sommerloch hinweghilft. Und bis zum Herbst ist der Fünfziger schon gelaufen.

Dann kommt in Frankfurt die Buchmesse, diesmal mit Österreich-Schwerpunkt. Da lohnt sich wenigstens eine knappes Budget, damit die Welt die geistige Großmacht Österreich gebührend erkennt. Doch: Wer den Fünfziger nicht ehrt, ist des Tausenders nicht wert! Über die Ausläufer der Buchmesse fährt noch der Weihnachtsmann drüber, zu Silvester werden wir resümieren, was das erste EU-Jahr gebracht hat.

Ja, und dann werden wir mit ungemein stolzgeschwellter Brust unser Millennium zelebrieren, arm aber ehrlich, bereichert durch das Bewußtsein einer reichen Vergangenheit. Das war ja schon immer unsere Stärke.

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