6791021-1970_37_16.jpg
Digital In Arbeit

Die fortgesetzte Ekstase

19451960198020002020

Seit 1961 trommeln und heulen, schlagen und schreien sie auf Instrumente und in Mikrophone: junge Musiker mit bizzarem, ja archaischem Aussehen.

19451960198020002020

Seit 1961 trommeln und heulen, schlagen und schreien sie auf Instrumente und in Mikrophone: junge Musiker mit bizzarem, ja archaischem Aussehen.

Werbung
Werbung
Werbung

1961 holte der Impresario Brian Epstein eine blutjunge Band aus den Kellern von Liverpool. Seither sind die Beatles nicht nur Begründer der Pop-Musik (die auch Beat- und Rockmusik heißt), sondern auch Englands geheime Waffe der Handelsbilanz (so Englands Premierminister Wilson über den Plattenwelterfolg). Aber seit damals — so meinte man schon — würde sich die „wilde Welle“ selbst überschlagen. Denn auf die Beatles folgten die viel härteren „Bölling Stones“, die „Animals“, die „Kinks“.

Das Gegenteil ist der Fall. Die Pop-Musik beherrscht mehr denn je die Rundfunkprogramme, die Tanzhallen, die Plattengeschäfte. Und sie ist auf dem besten Weg, einer Generation ein neues Gefühl zu geben: „Zum Teufel mit der Sachlichkeit — Gefühl ist das einzige, was wirklich zählt“, so die Pop-Sängerin Janis Joplin.

„Gefühl“ hören freilich nur die wenigsten aus den mit Sex, Politik und auch Crime angereicherten Texten. Aber tausende Jugendliche folgen schreiend und fasziniert den neuen Propheten:

• 1969 lockten die „Rolling Stones“ 240.000 Engländer zu Freilichtkonzerten in den Hyde-Park;

• Bob Dylan sang seine Polit-Songs vor 200.000 Twens und Teens auf der Isle of Wight;

• skandinavische Gruppen brachten 200.000 Schweden in den Mantort-Park bei Stockholm zum „Festival der Mitternachtssonne“;

• eine halbe Million junger Amerikaner trampte nach Woodstock, New York, wo 24 Bands zum größten bisherigen Pop-Festspiel aufspielten. Immer mehr — auch renommierte

— Plattenfirmen nehmen den röhrenden Pop in ihr Verkaufsprogramm auf. Deutschlands Jugend kauft heute um etwa 600 Millionen Schilling Platten der „neuen Gegenkultur“. Von der Langspielplatte „Blood, Sweat & Tears“ („Blut, Schweiß und Tränen“) verkauften sich bisher 2,9 Millionen Stück — ein Welterfolg.

Experten schätzen, daß die Hysterie ihren Höhepunkt noch lange nicht überschritten hat —• und daß das etablierte Show-Business noch lange mit der Pop-Musik zu raufen haben wird. Andere wieder prophezeien die völlige Auflösung aller etablierten Normen durch die neuen Lebensformen, die den Pop umgeben: Sex, Rauschgift, Widerstand.

Auf den Plätzen der Festspiele lagern auch — sehr zum Unmut polizeilicher Obrigkeiten — in Zelten und unter freiem Himmel die Jugendlichen tagelang: verschmutzt, Marihuana rauchend, einander liebend

— und hören die Rhythmen der Bands

— eine „elektrische Musik für Körper und Geist“, die mehr sein will als eine Art von Unterhaltung — vielmehr eine „Jugend- und Kulturrevolution“.

Und Deutschlands „Spiegel“ meint: „Diese Generation taugt nicht mehr zum blinden Befehlsempfang, sie verweigert sich jeglichem Drill. Wo die Rock-Musiker aufspielen, zerbröckelt die alte Autorität.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung