Die fortgesetzte Ekstase
Seit 1961 trommeln und heulen, schlagen und schreien sie auf Instrumente und in Mikrophone: junge Musiker mit bizzarem, ja archaischem Aussehen.
Seit 1961 trommeln und heulen, schlagen und schreien sie auf Instrumente und in Mikrophone: junge Musiker mit bizzarem, ja archaischem Aussehen.
1961 holte der Impresario Brian Epstein eine blutjunge Band aus den Kellern von Liverpool. Seither sind die Beatles nicht nur Begründer der Pop-Musik (die auch Beat- und Rockmusik heißt), sondern auch Englands geheime Waffe der Handelsbilanz (so Englands Premierminister Wilson über den Plattenwelterfolg). Aber seit damals — so meinte man schon — würde sich die „wilde Welle“ selbst überschlagen. Denn auf die Beatles folgten die viel härteren „Bölling Stones“, die „Animals“, die „Kinks“.
Das Gegenteil ist der Fall. Die Pop-Musik beherrscht mehr denn je die Rundfunkprogramme, die Tanzhallen, die Plattengeschäfte. Und sie ist auf dem besten Weg, einer Generation ein neues Gefühl zu geben: „Zum Teufel mit der Sachlichkeit — Gefühl ist das einzige, was wirklich zählt“, so die Pop-Sängerin Janis Joplin.
„Gefühl“ hören freilich nur die wenigsten aus den mit Sex, Politik und auch Crime angereicherten Texten. Aber tausende Jugendliche folgen schreiend und fasziniert den neuen Propheten:
• 1969 lockten die „Rolling Stones“ 240.000 Engländer zu Freilichtkonzerten in den Hyde-Park;
• Bob Dylan sang seine Polit-Songs vor 200.000 Twens und Teens auf der Isle of Wight;
• skandinavische Gruppen brachten 200.000 Schweden in den Mantort-Park bei Stockholm zum „Festival der Mitternachtssonne“;
• eine halbe Million junger Amerikaner trampte nach Woodstock, New York, wo 24 Bands zum größten bisherigen Pop-Festspiel aufspielten. Immer mehr — auch renommierte
— Plattenfirmen nehmen den röhrenden Pop in ihr Verkaufsprogramm auf. Deutschlands Jugend kauft heute um etwa 600 Millionen Schilling Platten der „neuen Gegenkultur“. Von der Langspielplatte „Blood, Sweat & Tears“ („Blut, Schweiß und Tränen“) verkauften sich bisher 2,9 Millionen Stück — ein Welterfolg.
Experten schätzen, daß die Hysterie ihren Höhepunkt noch lange nicht überschritten hat —• und daß das etablierte Show-Business noch lange mit der Pop-Musik zu raufen haben wird. Andere wieder prophezeien die völlige Auflösung aller etablierten Normen durch die neuen Lebensformen, die den Pop umgeben: Sex, Rauschgift, Widerstand.
Auf den Plätzen der Festspiele lagern auch — sehr zum Unmut polizeilicher Obrigkeiten — in Zelten und unter freiem Himmel die Jugendlichen tagelang: verschmutzt, Marihuana rauchend, einander liebend
— und hören die Rhythmen der Bands
— eine „elektrische Musik für Körper und Geist“, die mehr sein will als eine Art von Unterhaltung — vielmehr eine „Jugend- und Kulturrevolution“.
Und Deutschlands „Spiegel“ meint: „Diese Generation taugt nicht mehr zum blinden Befehlsempfang, sie verweigert sich jeglichem Drill. Wo die Rock-Musiker aufspielen, zerbröckelt die alte Autorität.“