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Die Frau auf dem Kirdienchor

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Um es gleich vorweg zu nehmen: der geneigte Leser möge keine Besorgnis haben. Die folgenden Ausführungen werden sich wohl mit den Beziehungen von Frau und Kirche auf einem bestimmten Gebiet beschäftigen, sie haben aber nicht vor, kirchengeschichtliche oder kirchenrechtliche Reflexionen anzustellen. Sie wollen vielmehr auf dem durchaus praktischen Boden der Kirchenmusik zeigen, in welcher Weise der aus früheren Jahrhunderten stammende strenge Satz über das Schweigen der Frau in der Kirche von zwingenden Zeitverhältnissen in anderes Licht gestellt wurde. So ist es am Platze.

Die Notwendigkeit ist bekannt: Regens-chori und Organist mußten einrücken oder hatten Spielverbot für die Kirche. Orgel und Dirigentenpult hätten somit zu Vollwaisen werden müssen, hätte sich nicht der kriegsbedingte Ersatz gefunden: die Frau. Laienapostolat im Dienst der Musica sacra war es, das da die Frau in ihre, wie man zu sagen pflegt, schwachen Hände nahm. Die künstlerische, die musikalische Begabung ist das ausgleichende Element und der Wille zu helfen, der Ansporn, dessen Kräfte ausreichten, die oft zahlreichen Hindernisse zu überwältigen. Wer wüßte nicht um jene mütterliche Stärke, die in Zeiten von Not und Gefahr oft Ubermenschliches, gerade von Seiten der Frau, zu vollbringen imstande ist. Ob es nun Krankenpflege, Fürsorge oder sonst ein Gebiet der Caritas ist — an zahllosen Beispielen hat sich das gezeigt. So ist es nur gerecht, wenn auch einmal von der Frau an der Orgelbank die Rede Ist. Die Mitwirkung von Frauen als Sängerinnen im Kirchenchor ist durch lange Übung legitimiert und braucht hier nicht in Betracht gezogen zu werden.

Man muß schon zugeben: die Königin der Instrumente von weiblichen Händen gemeistert zu sehen, erweckt zuweilen ein Etwas von Ablehnung. Den daran zu knüpfenden seelischen Überlegungen soll hier nicht nachgegangen werden. Man vermißt leicht eine gewisse Entschlossenheit in Rhythmus und Tempo, bemängelt die weichere Linienführung in Phrasierung und Klanggebung, kurz, man denkt sich dabei, ein Mann hätte das eben — männlicher gespielt. Es mag auch dem weiblichen Dirigenten gegenüber eine Spur von Ablehnung schon von vornherein entgegengebracht werden. Man läßt sich nicht gern von einer Frau dirigieren, man spürt, daß das Herrschende, Zwingende, durch Blick und Geste Mitreißende ebenfalls nicht dem weiblichen Wesen in der Regel eignet.

Aber dennoch — die Wirklichkeit, die rücksichtslos ihre Forderungen stellt, hat anders verfugt. So wurden Frauen auf die Choremporen gerufen, um am Weiterleben der Musica Sacra mitzuwirken. Dem Ruf wurde Folge geleistet und nun walten sie ihres Amtes.

Einige erlebte Augenblicksbilder mögen das veranschaulichen, wobei gern zugegeben sei, daß diese Beispiele sich bestimmt vermehren ließen. Die meisten dieser Tätigkeiten vollziehen sich in Verborgenheit, nur die nächste Umgebung weiß davon, und selbst diese kann oft nicht abschätzen, wieviel Wille und Opfergeist dazu notwendig ist.

Eines dieser Bilder: Feierliches Hochamt in der A n n a k i r c h e. Das Gedächtnis des heiligen Franz von Sales wird gefeiert. In den prächtigen Rahmen von Kirche und Liturgie spendet Haydns Mariazellermesse ihre barocke Freudigkeit. Der in ihrer Gesamtheit außerordentlich lobenswerten, weil sorgfältigen Aufführung, geleitet von Fräulein Friedl Heißl, gelang es, rhythmisch einwandfrei, die architektonischen Bögen von Haydns Formwillen in jenen Ausmaßen zu spannen, deren sie bedürfen. Die kleineren Einzelheiten fügten sich dementsprechend ein, wobei vielleicht, ohne die Güte der Aufführung zu schmälern, zugegeben werden muß, daß manche von ihnen, wie etwa einzelne der Geigenfigurationen in weniger strapaziösen Zeiten wie der unsrigen mit mehr Weichheit kommen würden.. Hierin liegt meistens die Gefahr solcher barocker Freudigkeit: sie verleitet die Ausführenden zu gedankenlosem Herunterspielen, und die Meinung, klassische Kirchenmusik klinge zu lustig, erhält neue, unerwünschte Bestätigung. Der interessante Versuch, das Proprium im Stil der Zeitgenossen der Wiener Klassiker dazuzukomponieren, gelang restlos. Dr. Ernst Tittel schuf Stilkopien, die ganz den Absichten künstlerisch-musikalischer Einheit mit Haydns Messe entsprachen. Ein Gedanke kann dabei allerdings nicht unterdrückt werden: Kopien bleiben immer Kopien, Nachahmungen — wir aber brauchen Neues, selbst dort, wo es darum geht, dieses Neue in bereits Bestehendes einzureihen.

Ein anderes Bild: Die Schottenkirche. Eine einfache Betsingmesse, gestaltet mit jener liturgischen Sauberkeit, die den Altardienst der Benediktiner seit je auszeichnet. Im einfach strengen Chorraum zwischen Altar und Volk der Orgeltisch und an ihm Fräulein Maria Pawlik, die Organistin. Mit selbstverständlicher Gelassenheit, getragen von innerem, betenden Rhythmus, ertönt das Kirchenlied, man spürt — beinahe möchte man so sagen — die Zucht, die aus mönchischer Ordnung ausgegossen wird über alles, was sich in ihren Bannkreis begibt. Gleichzeitig aber mag der, dem dieses Bild zum ersten Male sichtbar wird, etwas erstaunen, hier in dieser liturgisch gehaltenen Welt die Gestalt einer Frau zu erblicken. Und dennoch: zwei kunstgeübte Hände helfen, auf daß die Feier des Gottesdienstes keine Einbuße erleide. Es ist Not am Mann, die Schottenabtei hat schwere Verluste erlitten — die Tätigkeit einer Frau ist Brücke in eine bessere Zukunft.

Und wieder ein neues Bild, jenseits der Donau, in der Pfarre Kaisermühlen. Anderer Boden, andere Leute, aber die Sorge um die Kirchenmusik ist da ebenso groß wie irgendwo. Schwester Adelheit Fiedler hat die Betreuung von Chor und Orgel übernommen, ihr steht eine zweite Organistin zur Seite. Die Chorproben leitet an Stelle des eingerückten Regenschori der Pfarrer P. A. Scheidl. Schwester Adelheid hilft beim Einstudieren, sie beschäftigt sich auch mit dem Kindergesang, der in dieser Pfarre auf schöne Leistungen zurückblicken darf. Die Kirchenmusik hat in dieser Gänse-häufel-Pfarre eine eifrige Pflege gefunden, und das den ganzen Krieg hindurch. Man muß eine Fronleichnamsprozession in Kaisermühlen, eine Auferstehungsfeier oder eine Silvesterandacht mitgemacht haben, um zu sehen, wie hier Altar, Kanzel, Kirchenchor und Volk zu tätiger Einheit sich zusammenschließen. Die ständige Kleinarbeit dafür lag während der ganzen Kriegsjahre in den Händen einer Frau.

In der entgegengesetzten Himmelsrichtung von Wien, in Mariabrunn, ist ebenfalls das weibliche künstlerische Talent Pflegerin und Hüterin der Kirchenmusik. Fräulein Gertrud Lindl, selbst noch Studentin, ist seit drei Jahren in diesem Wirkungskreis und erreicht mit bescheidensten Mitteln beachtliche Erfolge. Haydns kleine Orgelsolomesse, Schuberts G-dur-Messe sind Leistungen, die von jedem Einsichtigen entsprechend lobend bewertet werden müssen. Daneben werden Messen für Frauenchor und Orgel gepflegt und auch dem Volksgesang gebührende Aufmerksamkeit geschenkt. Das kirchenmusikalische Leben braucht nicht zu stocken, wird vielmehr weitergetragen von jugendlicher Begeisterung, von weiblicher Tatkraft.

Das seien einige Beispiele zu der heute lebendigen Beziehung: Frau und Kirchenmusik. Zu gerechter Würdigung muß noch hinzugefügt werden, daß es gerade für Frauen mancherlei Schwierigkeiten gibt, die dem Mann nicht erwachsen. Sie hat es sicher oft schwerer, sich vor allem älteren Chormitgliedern gegenüber durchzusetzen, sie wird mit Vorurteilen empfangen ad muß oft vielleicht gerade dort Energie ad Kraft anwenden, wo sie lieber durch Güte und Verstehen wirken möchte.

Trotz allem aber wird man der Meinung begegnen, daß es doch nicht Sache einer Frau sein kann, Orgel zu spielen oder einen Kirchenchor zu leiten. Der strenge Standpunkt des Männlichen in der Kunst und vor allem m der Kirchenmusik wird wohl immer, rein schon von der Seite der Kunst — nicht am der Kirche —, erhoben werden. Und wenn wieder Zeiten kommen, die diesen Grundsatz in die Tat umsetzen können, dann möge man sich daran erinnern, daß in den Zeiten ärgster Not die Frau hier praktisch katholische Aktion verwirklicht hat. Dazu aber sind die Laien beiderlei Geschlechtes aufgerufen worden. Die Verdienste um die Kirchenmusik in Wien liegen solcherart auch in Frauenhänden, sie sollten einmal vor aller Öffentlichkeit anerkannt werden. Das „mulier taceat m ecclesia“ hat in unseren Tagen ein sinngemäße Wandlung erfahren, die ebenso von der Weltweite der Kirche wie von der Tatbereitschaft der Frau beeinflußt wurde.

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