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Die Frau auf der Bühne

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Es hat lange in der Geschichte des Theaters gedauert, bis die Frau sich den Platz unter den Schauspielern eroberte, den sie heute einnimmt. War der Bühnenkünstler von jeher sowohl gesellschaftlich als auch allgmein moralisch als ein von der übrigen Menschheit abgesondertes und nicht ganz vollwertiges Exemplar der Spezies des Homo sapiens angesehen, so galt das und gilt sogar heute noch vielfach in erhöluem Ausmaße.

Es wäre einer Betrachtung wert und vielleicht sogar allgemein lehrreich, diesen Ursachen einer solchen abseitigen Stellung nachzugehen. Daß heute vielfach die Meinung vertreten wird, und das nicht nur bei den sogenannten „besseren Kreisen“, daßi,es- eine moralische Minderwertigkeit zeigt, sich selbst für Geld zur Schau zu stellen, ist Tatsache. Die Frau, die jeder Mann stets als das reine, keusche Wesen achtet inmitten der gehetzten und frivolen Welt der Männer, zeigt sich als Schauspielerin offen der Menge. Ja, ihre Sehnsüchte, ihr Schmerz, ihre Triebe und Leidenschaften brennen auf der Bühne noch offener und stärker und zünden so die Herzen der Zuschauer Sdiauspielertum ist eine Art seelischer Prostitution. Und das ist auch der Grund, warum so manche, und nicht nur „bürgerliche“ Eltern sich entsetzen, wenn ihr Töchterchen den Drang zur Bühne bekennt.

Und doch würde diese rein moralische Betrachtungsweise nicht restlos den Umstand klären, warum die Frau es so schwer hatte, die Bühne zu erobern, und warum es ihr gerade die Männer immer erschwerten und zum großen Teil noch erschweren. •

Ich glaube dieses Problem müßte man von der wirtschaftlichen Seite betrachten, wie es meines Wissens bisher nur Hans Calm („Kulturbilder aus der deutschen Theatergeschichte“, Leipzig 1925) tat. Schon ein kurzer historischer Überblick führt uns zu dieser Art der Betrichtung. Sowohl die Anfänge des großen griechischen Theaters als auch des christlichen Theaters des Mittelalters waren Kult und als solcher nur von Männern zelebriert. Nur in Rom erschien gegen Ende der Republik die Frau auf der Bühne, die aber meist gleichzeitig Hetäre war und als solche von den Kirchenvätern verfolgt wurde, welches Urteil gleich auch den folgenden Komödiantinnen englischer und deutscher Prägung anhaftete.

Magister Velthen war der erste, der in Deutschland die Frau auf die Bühne brachte. Es war das die Zeit, da nach dem streng patriachaiischen Eheleben die Frauen auch erstmalig als Verdienende und Fami-. lienmiterhaltende auftraten. (Erste weibliche Zünfte!)

Nun waren es aber die Männer, die mit Verleumdung und Haß den Frauer. den Weg zur Bühne verbieten wollten. Das alte Recht, wonach die sonst mit dem Tode bestrafte Notzucht, an einer Schauspielerin verübt, frei ausging, war nur ein

kleiner Teil dieser Einstellung. Die Männer witterten Emanzipation und mit dieser verbunden eine zu starke materielle Konkurrenz. Allerdings muß auch zugegeben werden, daß landfahrend| Frauen durch ihr freies und den letzten' göttlichen und menschlichen Gesetzen hohnsprechendes Benehmen oft die gerechte Entrüstung hervorriefen und so den ganzen Stand in Verruf brachten. Doch waren es gerade diese Frauen, die den größten Zulauf beim breiten Publikum hatten und so in der Tat eine ernste Konkurrenz ehrlichen Komödianten boten. Viele Prinzipale, wie Magister Velthen und vor allem die große Neuberin, machten es sich zur Pflicht, den moralischen und damit den gesellschaftlichen Stand ihrer Truppe zu heben. Caroline Neuber duldete nicht einmal Liebschaften Die Paare hatten zu heiraten oder ihre Bande zu verlassen. Diese gesell-

schaftliche Stellung zeigte sich zum Beispiel

darin, daß zwar ein ehrsamer Stadtrat der Truppe bis vor die Tore der Stadt entgegenkam, daß. aber die weiblichen Mitglieder der Truppe nicht in einem bürgerlichen Hause oder Gasthof übernachten durften. Auch wurden den Komödianten von seiten der Kirche die Sakramente verweigert.

Im Rokoko wetterte die Geistlichkeit vor allem gegen das allzu freie Entblößen der Reize, was aber der herrschenden Mode nur entsprach.

Größter Rivale wurde die Frau den männlichen Kollegen, als man dazu überging, die Kastratenstimmen durch echte weibliche Stimmen m der Oper zu ersetzen. Dort wurde die Frau wegen ihrer Stimme und auch der Erscheinung, die bei der Oper stärker hervorgehoben wurde, noch mehr gefeiert, und diese Ehrung griff auch auf die Darstellerin der Sprechstücke über. Wurde früher die Frau oft von Männern dargestellt, ging nun die Frau dazu über, große Männerrollen zu verkörpern. So gehörten vor allem der Hamlet und Romeo zu den beliebten Rollen, die von Frauen gegeben wurden. Der erste weibliche Hamlet soll Felizitas Abst 1779 gewesen sein, während Clara Ziegler als der erste weibliche Romeo gilt. (23. September 1868 in Leipzig.)

Die Gegnerschaft der sich in ihrer Existenz bedrohten männlichen Kollegen hörte noch lange nicht auf. Bis in unser Jahrhundert hinein war die Frau verpflichtet, auch die historischen Kostüme selber aus ihren Mitteln zu stellen, und auch heute noch müssen auf so vielen kleineren Bühnen die Frauen zumindest ihre gesamte moderne Kleidung für alle Stücke selbst stellen, wobei es als selbstverständlich von den Direktionen vorausgesetzt wird, daß nicht das gleiche Kleid“ in zwei Stücken getragen wird. So war denn die Frau (bei der früheren offiziellen Durchschnittsgage von 100 Schilling) gezwungen, entweder sich nach einem reichen „Freund“ umzusehen oder als eigene Schneiderin ihr Können in der Nacht vertun, statt sich für die anstrengende künstlerische Arbeit auszuruhen.

Es ist jetzt seit der gesetzlich festgelegten Mindestgage der Schauspieler besser geworden mit der wirtschaftlichen Stellung der Frau an den meisten Bühnen und vor allem in großen Städten. Es ist ein herrliches und dennoch hartes und oft qualdurchzogenes Los, das Leben einer Frau auf der Bühne, auch wenn sie eine wahre gottbegnadete Künstlerin ist.

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