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DIE FRIEDENSBOTSCHAFT DANTES

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Mit diesen Versen aus seinem philosophisch-poetischen Werke „Das Gastmahl“ hat sich Dante zu dem Zusammenhang zwischen geistiger Konzeption und ihrer Verwirklichung in Natur und Geschichte bekannt. Sein realpolitisches Denken drängte unaufhaltsam auf Gestaltung des im Geiste geschauten Bildes in die Elemente der sinnhaften, wahrnehmbaren Welt hinein. Und ob Dante sich zuweilen auch leidenschaftlich verschauen konnte, wie das in seiner genialen Utopie vom Weltfriedensreich unter Kaiser Heinrich VII. der Fall gewesen ist, so sind doch die Grundgedanken jener Utopie, wenn sie aus den zeitgeschichtlichen Bedingtheiten gelöst werden, auf alle Fälle in unserer weltgeschichtlichen Situation nachdenkenswert und auf ihre Fruchtbarkeit für die Lösung der Weltfriedensprobleme unserer Tage zu prüfen.

Je älter Dante wurde, um so wesentlicher wurde ihm, dem tapferen Soldaten der Jünglingszeit, das Friedensproblem. Er hat es nie nur als ein säkulares Problem gesehen. Die apostolische Erkenntnis: „Er ist unser Friede“, wird auch Dante vor die Frage gestellt haben, inwieweit die Verkündigung der weihnachtlichen Botschaft Gestalt in den Beziehungen der Menschen untereinander gewinnen könne. Und da es unterströmige Gemeinsamkeiten zwischen dem Evangelium der Weihnacht und der Sehnsucht nach Frieden auf Erden gibt, sollten wir uns die hohe Aktualität der Christgeburt im Zusammenhang mit den selig gepriesenen Friedenstätern in unserer geschichtlichen Stunde neu vergegenwärtigen. Dantes wachsende Sehnsucht nach Frieden ist nicht, wie man nach den schweren und zahlreichen seelischen Kämpfen dieses Dichters annehmen könnte, der Ausdruck seiner zunehmenden Müdigkeit. Sie ist vielmehr der Ausdruck seiner reifen Einsicht in die Gestaltungsprinzipien der menschlichen Gemeinschaft. Sein leidenschaftliches Herz hat in seinen entscheidenden Lebensphasen nie separatistisch, sondern universalistisch empfunden.

Keimgrund für Friedenstäterschaft und nicht für eine unverbindliche Friedensmeinung ist Dante die Nobilitä, die von dem Altissimo poeta als eine in die Seele gelegte Tugend bestimmt wird.

Dante sieht im Unterschied zur Adelsauffassung des letzten Stauferkaisers Friedrich II. das Wesen des Adels nicht im ererbten Reichtum begründet, sondern im Tun des Guten wirksam. Die Gütigkeit und Zucht der Seele, die Lauterkeit des Herzens sind nach Dante Potenzen des Adeligen.

Die kostbarste Tugend jedoch, die den Menschen am tiefsten adelt, ist nach Dante die Gerechtigkeit. Sie, die Dante als das Adelszeichen des Willens begreift, müsse für ein Handeln, das irdische Glückseligkeit des Menschen zum Ziele habe, im Bunde mit der Klugheit, dem Adelszeichen des Verstandes, stehen. Mit Entschiedenheit verwirft Dante den Adel als historische Kaste, obwohl er selbst aus einem Adelshaus stammt und auf seinen Ahnen, den von Konrad III. zum Ritter geschlagenen Cacciaguida, stolz ist und obwohl seine Ehefrau Gemma aus dem mächtigen florentini-schen Adelsgeschlecht der Donatis kommt. Dantes Erfahrung mit den dekadenten Adelsgeschlechtern seiner Zeit bestärkt Ihn darin, daß Adel eine immer in Kämpfen sich bewährende Güte des Herzens sei. In dieser Gewißheit ist der Dichter erhaben über die Chauvinisten aller Zonen und Zeiten.

Dante sieht also für eine gute Gemeinschaft nicht nur die Notwendigkeit, gerecht zu sein und gerecht zu handeln, sondern auch wahr zu sein. Er ist gesinnungs- und haltungsmäßig ein radikaler Gegner der Haltung Talleyrands: „La parole a ete donnee ä l'horome pour deguiser sa pensee.“ — Das Wort ist dem Menschen gegeben worden, um seinen Gedanken zu verkleiden, d. h. um ihn zu verbergen. Darin sieht Dante eine Entehrung des Wortes und einen Mißbrauch des Vertrauens in das Wort. Eher stimmt Dante zusammen mit der Erkenntnis Salomos: „Es gibt eine Zeit zum Reden und eine Zeit zum Schweigen“, und gesinnungsmäßig mit. der Forderung von Matthias Claudius an seinen Sohn Joha-nes: „Sage nicht alles, was du weißt; aiber wisse immer, was du sagst!“

Daß Gerechtigkeit klug und wahrhaftig getan werden müsse, schließt Irrtumsfähigkeit nicht aus. Auf unsres Lebensweges Mitte fand ich mich ganz im Wald verstrickt. (Inferno l, 1)

Mit dem Dienst am Recht und für die Gerechtigkeit sieht Dante den Willen zum Frieden zusammen.

„Der Weltfriede“, so ruft sein Herzdenken, „ist das beste unter allen Gütern, die zu unserer Glückseligkeit hingeordnet sind.“ (Monarchia I, 3.) Für sie zu kämpfen und zu leben, ist des Menschen höchstes Erdenziel. Im Gegensatz zu Augustta, der in seinem „Gottesstaat“ alles staatliche Bemühen für sehr fragwürdig, ja vom Bösen her diktiert sieht, weiß sich Dante von Aristoteles, dem griechischen Philosophen, in seiner Auffassung von der Bedeutung der staatlichen Macht beeinflußt. Aristoteles ist ihm der Philosoph.

Für den Weltfrieden hat Dante zweierlei Gefahren erkannt: Die erste allgemeine Gefahr sieht er in der Cupiditas, in der vielgestaltigen Gier. Die zweite spezielle Gefahr steht vor ihm im Mißbrauch der kirchlichen und im Mißbrauch der staatlichen Macht. Die Gier in der besonderen Gestalt der Machtsucht hat, genau besehen, ihren Grund in der Neugier, in dem, was Aristoteles so sagt und was Dante an den Anfang seines Gastmahls gestellt hat: „Omnes homines naturae scire desiderant“ (Alle Menschen begehren von Natur zu wissen). Angesichts solcher Gefährdungen des Friedens fordert Dante, daß die Wogen der blinden Begehrlichkeit gedämpft werden müssen. Nur dann würde die Menschen frei den vollen Frieden genießen können, denn dann ist die Tugend wirksam, das rechte Maß zwischen Zuviel und Zuwenig.

Aus der Cupiditas, der Gier, wachsen nach Dante zahlreiche, die Gemeinschaft und den Frieden der Menschen bedrohende Mächte, über die gesagt werden muß, daß sie alles gesunde Organische und alle gesunden Kommunikationen unter den Einzelmenschen und Völkern zersetzen, ja zerstören. Mit der Sucht zur egozentrischen Lebensführung hängt seltsamerweise, aber tatsächlich zusammen die Feigheit, die das Wagnis fürchtet. Es ist die chamäleonartige Unverbindlichkeit, sagen wir mit Dante; „Questo misero modeo / tengon l'anime triste die colore / che visser sanza infamit e sanza lodo.“ (Solch Elend leben müssen / die trüben Seelen jener Menschen führen, die ohne Lob und ohne Schande lebten. — Inferno III, 34—36.)

Es sind die Lauen, die im Grunde Feigen. Dante hat sie mit tiefer Verachtung gestraft. Gerade auch sie gefährden das, was wir im einzelnen Menschenleben und im Leben der Gesellschaft Charakter heißen.

Eine andere Abart des Gesunden und Harmonie Stiftenden ist die Wollust. Gewiß wird man sehr verschieden über den Wert der Wollust vor allem auch für das Element des Künstlerischen denken. Die Kategorie des provinziellen Moralismus jedenfalls wird ihrer Mächtigkeit und ihren Wesen nicht gerecht. Das weiß auch Dante, denn keiner Entartung des Menschen begegnet Dante mit so viel barmherzigem Verstehen als jener Leidenschaft, deren Folgen er in der ergreifenden Szene von Francesca und Paolo (Inferno V), vielleicht neben der Ugolinoszene die großartigst im Inferno, so plastisch und so voller Verstehen darstellt. Dennoch ist die Wollust Frieden zerstörend, indem sie gemeinschaftszersetzend wirkt. Aber auch Schiemimerei, Maßlosigkeit im Gebrauch der Nahrung zersetzt und erregt Unfrieden.

Jedenfalls kündet der 6. Gesang des Inferno davon. Ver-schwenduingissuaht und Geiz als kontrapunktische Greuel der menschlichen Gemeinschaft, Wut und Verdrossenheit tragen Degenerationsfermente und Zersetzungsstoff für das Ganze in sich. Auch der Wucher als Ausgeburt der Unredlichkeit im Umgang mit dem Geld im Bunde mit dem Geiz stiftet Streit und Krieg (Inferno XII und XVII). Und gemejnschaftszer-störend und friedengefährdend ist für Dante die Sodomie. Die Perversion des Geschlechtslebens, die im 15. Gesang des Inferno verdammt wird, und die Kuppler wie die Radfahrertypen, die nach oben hin buckeln und nach unten hin treten, die nur auf sich bedachten Schmeichler und Heuchler, die es immer nur mit denen halten, von denen sie sieh Vorteile versprechen, sind im höchsten Maße sogar staatsgefährdend (Inferno XVIII und XXIII). Mit den Ämterschacherem im Bereich der Kirche, den Simonisten (Inferno XIX), sind wir nun bei dem Thema vom Mißbrauch des kirchlichen Amtes, und mit den Gestalten des Guido da Montefeltro (Inferno

XXVII), des Königs Philipp IV., den Dante das Mal di Francia (das Übel Frankreichs) nennt, und mit der Gestalt des Grafen Ugolino (Inferno XXXII) sind wir beim Thema vom Mißbrauch der weltlichen Macht.

Dante hat sowohl den Mißbrauch des weltlichen wie auch den Mißbrauch des kirchlichen Amtes als das größte politische Hindernis für den Frieden unter den Menschen erkannt und benannt.

Die mittelalterliche Auffassung von der Abhängigkeit des Imperiums vom Sacerdotium hat Dante als die Quelle aller Friedlosigkeit in den Beziehungen nicht nur zwischen Staat und Kirche, sondern auch unter den Völkern angesehen.

Den Mißbrauch der weltlichen Macht sah Dante in einem zweifachen offenbar. Er sah ihn einmal darin, daß die sich entwickelnden Nationalstaaten, deren Existenz er begrüßt. sich gegen die imperiale Idee eines Weltfriedensreiches und seines Monarchen wandten. Es war Dantes realpolitischer und geschichtsphilosophischer Irrtum, daß er glaubte, in dem lauteren Lützelburger Heinrich VII. sei der friedlosen Welt der Garant des Friedens gegeben und daß es gottgewollt wäre, daß nur einer der Repräsentant des Weltfriedens sein könne, der Monarch. Jedoch hinter dieser großartigen Utopie stehen zwei geschichtsträchtige Visionen und ganz reale Vorstellungen von der Entwicklung des Gemeinschaftslebens der Völker. Es ist der Gedanke einer Weltfriedensbewegung unter den Völkern, der sich in unseren Tagen immer kraftvoller zu entfalten beginnt; und es ist der Gedanke einer Weltregierung, deren erste und vornehmste Aufgabe es bleiben werde, Frieden zu stiften und Frieden zu erhalten. Inwieweit sich zaghafte Ansätze dazu fruchtbar werden weiterbilden lassen, bleibt abzuwarten.

Zum anderen sah Dante den Mißbrauch der weltlichen Macht darin offenbar, daß sie Herrschaftsansprüche auch über die Kirche anmeldete und mit dem ihr anvertrauten irdischen Gut nach Gutdünken verfahren dürfte. Niemals hätte Dante der realisierten Herrschaft Karls über die Kirche zugestimmt, und niemals hätte er die Adoration Karts durch Leo III. und das Schreiben Karls an ebendenselben Papst gebilligt, dieses Schreiben nämlich: „Gavisisumus in humili-tatis vestrae oboedientia et in promissionis ad nos fidelitate“ (Wir sind erfreut über den Gehorsam Eurer Demut und über die Uns versprochene Treue). Hier liegt auch der Grund dafür, daß Dante dem Staat das Recht bestreitet, an die Kirche weltliches Eigentum abzutreten, wie er der Kirche den Anspruch verwehrt, vom Staate Eigentum zu nehmen oder zu fordern. Im 22. Kapitel der Monarchia sagt er: „Es ist also klar, daß weder die Kirche auf dem Wege der Besitzergreifung etwas nehmen noch jener (der Staat) auf dem Wege der Veräußerung etwas abtreten konnte.“ Mit diesem Satz richtet er sich gegen die Konstantinische Schenkung, deren Echtheit er nicht bezweifelt hat. Das Fundament der weltlichen Macht ist für Dante das Recht und nicht die Tyrannis. Die Tyrannis ist eine Perversion recht gebrauchter Macht. Sie wurde von Dante im Inferno XII gerichtet. Jeder verantwortliche Mensch habe dazu beizutragen, daß die dringlichsten Aufgaben des Staates, Erhaltung des Friedens und Förderung der Glückseligkeit, erfüllt werden könnten. Im 1. Buch des 1. Kapitels der Monarchia schreibt Dante: der Bürger begehe „eine Pflichtvergessenheit, wenn er zum Gemeinwesen keinen Beitrag liefert, obwohl er in politischen Fragen Bescheid weiß“.

Eine andere sehr wichtige Einsicht Dantes in das Verhältnis zwischen Kirche und Staat wird so formuliert: Die weltlichen Macht ist unabhängig von der Kirche. Der Dichter hat die beiden Bilder von den zwei Lichtern und den zwei Schwertern als Sinnbilder für das Abhängigkeitsverhältnis des Staates von der Kirche verworfen. Sie waren ihm nicht sachgemäß.

Der Mißbrauch der kirchlichen Macht ist für Dante darin gegeben, daß sie Herrschaftsansprüche auch über die weltliche Macht erhebt. Er sagt: „Zur Wesensform der Kirche gehöre es, in Wort und Tat Christus zu folgen.“ Und er fügt hinzu: „Aus alldem ergibt sich, daß das Vermögen, die Würde des Reiches zu verleihen, mit der Natur der Kirche im Widerspruch steht.“ Ihre Aufgabe sei es, daß sie durch ihren Dienst auf Erden die Menschen zu dem Gegenteil anzuhalten und zu bilden habe, was Dante in seinem Inferno mit einer scharfen und kühnen Kritik an den Zuständen seiner Zeit verurteilt hat. Das aber vermag die Kirche nur, wenn sie selbst sich nicht berauscht, sondern an Christus, ihrem Herrn, als an dem guten Hirten orientiert bleibt.

Grenzüberschreitung der staatlichen Machit und Grenzüberschreitung der kirchlichen Macht gefährden den Völkerfrieden. Nun aber ist auch Dante, ich sag' es nooh etamal, der Friede unter den Völkern in Gestalt der Respektierung der sich entwickelnden Nationen und ihren Kulturen wie ta Gestalt des Respektes der weltlichen und kirchlichen Instanzen voreinander das höchste Ziel der Menschheit auf Erden. Und um dieses Zieles willen gelte es nach Dante, daß Kirche und Staat sich nicht hindern, ihre Mission zum Wohle der Völker zu erfüllen. Dazu aber bedürfe es weder der Glorifizierung des Staates durch die Kirche noch der Adoration der Kirche durch den Staat. Vielmehr sei geboten, daß beide, Kirche und Staat, aus der Ehrfurcht vor dem Leben wirken. Dante freilich bezieht diese Ehrfurcht vor dem Leben auf den in Christus geoffenbarten Gott, wenn er im 3. Gesang des Paradieses seiner Göttlichen Komödie bekennt: E'n la sua volon-tate e nostra pace (In Seinem Willen ist für uns der Friede).

Es ist kein Zweifel, daß Dante vor allem den Christen bei der Verwirklichung des Friedens auf Erden hohe Verantwortung auferlegt und sie dringend warnt vor Gleichgültigkeit, falscher Sicherheit, vor fanatischem Eifer, vor falscher Anpassung um eigener Vorteile willen und vor ideologischer Wendehalsigkeit. Er fordert von ihnen tätiges Leben im Dienste der Mitmenschen und charaktervolles Zeugnis im Dienste des Friedens. So ruft er im 5. Kapitel des Paradieses, des dritten Gesangs der Göttlichen Komödie, aus:

Siate, christiani, a muovervi, piü gravi!

Non siate come penna ad ogni vento, e non crediate ch'ogni acquavi lavi.

(Regt euch mit mehr Bedachtsamkeit, o Christen!

Seid nicht wie Federflaum bei jedem Winde!

Glaubt nicht, daß jedes Wasser euch kann waschen!) Denen gegenüber jedoch, die nicht im christlichen Glauben standen,verhielt sich Dante in großem Respekt und in der wachen Bereitschaft, von ihnen zu lernen, wenn sie sich wirklich als Gehilfen der Freude und als Wegführer zu den Weisheitsschätzen der Völker erwiesen und in zuchtvoller Arbeit am Bilde des Menschen bewährten.

Was also können wir heutzutage und in unserer Gesellschaft im Ringen um den Frieden für die Völker der Erde von Dante lernen? Ich meine: nichts Geringeres als vertieftes Verstehen aller großen redlichen Geister, die ihr irdisches Leben zum Wohle ihrer Mitmenschen gelebt und auch geopfert haben, indem wir ihre fruchtbaren Erkenntnisse für die Gemeinschaft und die Verwirklichung des Friedens anwenden und selbst nicht müde werden, im eigenen Ringen um den Frieden zwischen Mensch und Mensch, zwischen Volk und Volk lauter und redlicher zu bleiben mit der Kraft, die jedem von uns zuteil ist und die, das dürfen wir hoffen, sich entfalten kann.

Der Autor dieses Artikels, Pfarrer Otto Riedel aus Zwickau, ist Vizepräsident der gesamtdeutschen Dante-Öese llschaft.

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