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Die Front im Hafen

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In el-Akaba, dem verschlafenen jordanischen Hafendorf gegenüber der aufstrebenden israelischen Wüstenstadt Eilaih, grassiert nackte Furcht. Früher bestaunten Touristen und Einheimische bei Dämmerungseinbruch die aufflammenden Lichter der „feindlichen“ Metropole, die sich in der blaügrünen Brandung spiegelten. Der Sonnenaufgang machte die grauweißen Häuser jenseits des Niemandslandes zu einer unerreichbaren Fata Morgana. Doch Hunde und Fremde störten sich nicht an dem Kriegszustand. Nachts streunten die struppigen gelben Wüstenköter durch Stacheldrahtverhaue und Minenfelder auf die andere Seite. Ihr unheimlich klingendes Geheule und Gejaule unter dem südlichen Mond war nichts als artgemäßes Liebesgeflüster. Vielleicht war es auch der anklagende Protest der Kreatur gegen die widernatürliche Frontziehung der Menschen. Manchem Kläffer wurde ein versteckter Sprengkörper zum Verhängnis, doch manches jordanische Hundebaby hatte eine israelische Mutter und manches israelische einen jordanischen Vater.

Die Fremden ignorierten gleichfalls die Feindschaft. In beiden Häfen mieteten sie die charakteristischen Boote mit gläsernem Boden, um auf hoher See die wunderbare Fauna und Flora des Meeresgrundes zu erforschen. Wer sich dabei zu weit hinauswagte, verletzte leicht des anderen Hoheiitsgewässer. Das führte weder zu * diplomatischen noch zu militärischen Verwicklungen. Der Akabagolf war auch noch nach dem seine Besitzverhältnisse gründlich verändernden Sechstagekrieg das friedlichste arabisch-israelische Grenzstück.

Jetzt gibt es in el-Akaba, im Gegensatz zu Eilath, kaum noch Touristen. Die Einheimischen kommen weder nachts noch tagsüber gern aus ihren Hütten. Auf die neue Prachtstraße, die vom „Stadtkern“ hinunterführt bis fast an die Demarkationslinie, wagen sich nur wenige Autos und schon gar keine Fußgänger. Sie ist ein zu leicht einsehbares Ziel für die höchstens neun Kilometer entfernten gegnerischen Artilleriebatterien.

Kürzlich bombardierte die israelische Luftwaffe den Hafen el-Akaba. Vom Kirchturm seines einzigen christlichen Gotteshauses hatte es gerade einmal geschlagen, halbfünf Uhr morgens, da detonierte ein Sprengkörper in seinem Langschiff. Andere zerstörten eines und beschädigten zwölf weitere Hausier. Neben sieben Leicht- und zwei Schwerverletzten gab es acht Tote. Alles Zivilisten.

Die Bevölkerung befürchtet weitere schwerere Vergeltungsschläge wegen des Raketenüberfalles palästinischer Terroristen auf die israelische Siedlung am Südzipfel der Negevwüste. Nur wenige sympathisieren mit den „Fedajin“. Der Pächter des „Akaba Rest House“, des ältesten und früher besten Hotels der arabischen Seite, schildert am überzeugendsten ihre Gefühle. Der grauhaarige Mann versteht neben arabisch und englisch hervorragend hebräisch und einigermaßen jiddisch. Die ersten vierzig Lebensjahre verbrachte er unter Juden in Jaffa. Er ist für die Verständigung zwischen beiden Nationen. „Die Palästiner sind ein unterentwickeltes Volk“, fügt er hinzu, „die Israelis, ob wir das wahrhaben wollen oder nicht, eine moderne Industrienation.“ Er lächelt nur über das Gerede von den hundert Millionen Arabern gegen zweieinhalb Millionen Juden. Seine Landleute vergleicht er mit den Azteken und Inkas und mit den Indianern Nordamerikas. Sie alle besaßen eine blühende Kultur, argumentiert er, trotzdem unterlagen sie den weißen Pionieren. Ganz ähnlich beurteilt er den Vergleich des Juden — mit den Kreuzfahrerstaaten: „Die Kreuzritter waren fremde Eroberer, die zugrunde gehen mußten, die Juden haben hier ihre letzte Heimat.“ „El-Fatah“ verkörpere nichts als die Wüste und wie die Indianer die Rückständigkeit; Israel sei eine fortschrittliche Urbane Gesellschaft, und je mehr es verstädtere, um so sicherer bleibe es schließlich Sieger.

Die pessimistische Beurteilung der Terroristen beschränkt sich nicht auf diesen Mann, sie ist charakteristisch für eine wachsende Anzahl gebildeter Araber.

Obwohl die gutfunktionierende Propagandamaschinerie der „El-Fatah“, insbesondere der von Ägypten finanzierte Kairoer Sender „es-Saud el-Assifa“ („Die Stimme des Sturmes“) aus den „Fedajin“ einen ernstzunehmenden innerarabischen Machtfaktor machte, erringen die Kommandos gegenwärtig immer weniger militärische Erfolge. Israelischerseits wußte man bereits Anfang 1969 von den Absichten der „El-Fatah“, sich auch in Südjordanien festzusetzen. Inzwischen verfugen die Terroristen über Operationsbasen in dem sich an der Negevgrenze erstreckenden Wadi Araba, im unweit der antiken nabatäischen Totenstadt Petra, früher einem touristischen Hauptanziehungspunkt, gelegenen Wadi Musa und nordöstlich von el-Akaba. Doch sie bilden eine weit größere Gefahr für die benachbarten arabischen Siedlungen, die Vergeltungsangriffen schutzlos ausgesetzt sind, als für Israel. Hier entstand keine neue Front, sondern die „Fedajin“ wichen nur von dem ihnen zu heiß gewordenen Jordanostufer in den einstweilen noch weniger gefäbr'ichen Süden aus.

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