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Die Gegenwartskrise des Frauenlebens

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Wir können uns nicht darüber täuschen, daß die Frau heute in zwei Bereichen ihre Aufgabe weitgehend nicht erfüllt: als Kulturträgerin und als Gattin Und Mutter.

Dafür kann nicht, soweit wirtschaftliche und soziale Erscheinungen ins Auge gefaßt werden, die Berufstätigkeit der Frau an sich verantwortlich gemacht werden. Das wäre ungerecht gegen viele berufstätige Frauen, die sich ehrlich und Oft bis zur Erschöpfung mühen, die gewiß unerwünschte, aber oft unvermeidliche Doppelbelastung von Beruf und Haushalt zu tragen und ihr gerecht zu werden. Es wäre auch unrecht gegen viele berufstätige Frauen, die unter Verzicht auf Ehe und Familie im Beruf ihren Lebensinhalt suchen und auch finden. Es wäre endlich geschichtliche und soziale Kurzsichtigkeit, zu sagen, daß die Frau im Berufs- wie im Gemeinschaftsleben nichts geleistet habe. Sie ist nicht nur aus manchen Berufen nicht mehr wegzudenken (Lehrerin, Ärztin, Fürsorgerin usw.), sondern sie weist auch in der Oberschicht des Arbeitslebens in zunehmendem Maße beachtliche Leistungen auf (namentlich, wenn man dabei über die Grenzen unserer Heimat hinaussieht), für das knappe halbe Jahrhun . dert, in dem der Frau einige Gelegenheit zur Mitarbeit an maßgeblicheren Stellen gegeben ist, nicht zu wenig.

Suchen wir tiefer nach den eigentlichen Ursachen des Niederganges, so stoßen wir immer wieder auf Lebensgier und Ichsucht. Sie haben weitgehend das eheliche Gewissen bei Mann und Weib zerstört und dem zügellosen Zusammenleben der Geschlechter, das sich durch Nachwuchsverhütung aller materiellen Belastung entschlägt, Tür und Tor geöffnet. Eheliche Unordnung und gesetzlose Verbindungen sind heute sozusagen bürgerlich akkreditiert. Die Ablehnung der öffentlichen Meinung fehlt.

Leider aber wird dieser Entwicklung, und das dürfen wir nicht übersehen, Vorschub geleistet durch eine sträflich

lange und grausame Vernachlässigung d e i Familie und der Frau in der Familie von seifen der verantwortlichen Öffentlichkeit. Man denke an verschiedene Maßnahmen der letzten Zeit. Bei den Lohn- und Preisregelungen zum Beispiel gelang es erst reichlich spät, auch dem Familienerhalter gerecht zu werden. Er steht noch heute weit hinter dem Familienlosen zurück. Die Kinderbeihilfen sind gering und werden bislang nur dem Lohn- und Gehaltsempfänger bewilligt. Der Freiberufliche, der Gewerbetreibende und der Landwirt hat, auch wenn sein Einkommen für die Erhaltung einer Familie nicht ausreicht, keinen Anspruch auf Zuschuß. Die Bestimmung über die Mietzinsbeihilfe ist völlig familienfeindlich. Während die mitverdienende Gattin ebenso wie die im Erwerb stehenden

Kinder die Mietzinsbeihilfe erhalten, wird für die Nur-Hausfrau, die sich der Betreuung von Gatten und Kindern und der Besorgung des Haushalts widmet, kein Zinszuschuß gewährt, obwohl „preisend mit viel schönen Reden" oft und nachdrücklich betont wird, daß die Hausfrauenarbeit einem vollwertigen außerhäuslichen Beruf gleichgehalten werden soll.

Hier liegt mehr als ein Grund des Versagens der Frau in Ehe und Familie. Nur ein leistungsfähiger Zusammenschluß der Hausfrauen wird Wege der Abhilfe aufzeigen können, denn er wird mit mehr Einsicht und Nachdruck, als es sonst geschieht, sich um die Sorgen der Hausmutter annehmen.

Tatsächlich ist die Hausfrau heute der einzige ungeschützte Arbeiter, oft Schwer-

a r b e i t e r, im gesamten Arbeitsprozeß der Gemeinschaft.

Die Herabwürdigung der Frau und des Weiblichen beherrscht heute das öffentliche Bild. Kein Wunder — wenn wahre Werte zerbrechen, haben Talmiwerte Hochkonjunktur. Sinkt das Verstehen für den Sinn, den Wert und die Schönheit eines echten Familienlebens, oder auch die Hoffnung, ein solches führen zu können, zusammen, so treten flüchtiger Genuß, der Rausch der Stunde und alle Gewalt des Triebhaften in den Vordergrund. Was bei der Frau aber mitspricht, ist nicht zuletzt ein Zweifeln und Verzweifeln am Manne als Erhalter und Schützer. Sie sieht vielfach von vorneherein im Manne nicht mehr den, der ihr Leben sichern und erhalten will und kann. Der Schutz der Frau durch den Mann hat sich in vielen Fällen als unzureichend erwiesen. Die Frau hat erleben müssen, daß sie Freiwild geworden ist, und bis heute hat sich keine Stimme gerührt, die dieses heikle und bittere Kapitel aufgezeigt und versucht hätte, die natürliche Ordnung wiederherzustellen. Furcht und Gleichgültigkeit wollen darüber die Akten schließen. Aber die Leugnung der Unantastbarkeit der Person zerstört in der Frau und — in der allgemeinen Haltung der Frau gegenüber — viel mehr als beim Manne.

Das sind, rein sozial betrachtet, einige wesentliche Momente, die bei allen Versuchen zum seelischen Wiederaufbau der weiblichen Persönlichkeit in Betracht gezogen werden müssen. Es wäre nun ein einfaches und sicheres Heilverfahren,

die Menschen und vor allem die Frau, die an eich bestimmt eine größere Aufgeschlossenheit für religiöses Leben hat als der Mann, wieder an die Gnadenquellen, die uns die Heilandslehre vermittelt, zurückzuführen. Aber auch hier müssen wir Katholiken uns aus mancher Selbsttäuschung lösen. Mit der unge-

mein begrüßenswerten und auch offenkundigen Steigerung des religiösen Lebens ist nicht alles getan, wenn die Kreise, die mit der Kirche leben, eine in sich geschlossene Gemeinschaft ohne nachhaltige Ausstrahlung nach außen hin bleiben. Die Missionierung des Neu

heidentums im Kulturraum auch unserer Heimat beachtet zu wenig die bewährten und immer gültigen Erfahrungen der Missionierung überhaupt. Wer den Fernstehenden gewinnen will für eine Lebensauffassung, die ihm so viel schwerer dünkt als das pflichtlose Treiben durch Tag und Stunde, der muß ihn an der Stelle zu packen versuchen, an der dessen eigenstes Interesse, so wie er es verste ht, sich angesprochen fühlt. Wie wenig dringt zum Beispiel das pfarrlidie Leben (rühmenswerte Ausnahmen jjibt es natürlich auch hier) über die Kreise der Kirchentreuen hinaus! Wie wenig interessiert sich die katholische Arbeit für die sogenannten neutralen Lebensgebiete der Menschen im einzelnen, ihre sozialen und wirtschaftlichen Sorgen! Die Einladung, in die Kirche zu kommen, setzt, soll sie Erfolg haben, eine geduldige, andauernde Arbeit voraus: eine, die auch im Gottfernen zuerst das Vertrauen aufrichtet. Und erst das Vertrauen macht das Denken und das Wollen zugänglich. Und erst gestützt auf das Vertrauen der vielen, die sich um die Kerntruppe der Gesinnungserprobten scharen, kann die katholische Arbeit mit Erfolg öffentliche Meinung machen. Eine Meinung, die der Verwilderung von heute einen neuen und besseren Begriff der „bürgerlichen Anständigkeit“ entgegensetzt, hinter dem das Bekenntnis zu Gottes ewigem Gesetz in der Gemeinschaft und im einzelnen wieder lebendig wird.

Ausnahmegesetze, .. die dem freieren Lebensgefühl von heute widersprechen, oder der Versuch, die Entwicklung zurückzuschrauben, sind abwegig. Auch die ernste Frauenpersönlichkeit von heute lehnt sie ab. Der Weg entscheidet sich wie nach jedem Umbruch: er kann aufwärts oder abwärts führen, je nach den wirkenden Kräften, ihrer Stärke und ihrem Einfühlungsvermögen in das Lebensgefühl der Zeit.

Audi die Frau von heute steht in Zusammenbruch und Umbruch. Ein neuer Raum ist ihr wohl aufgetan, aber liegt noch voll Schutt. Man helfe ihr, von innen, aber auch von außen her, vorzudringen zu den Werten, die unter dem Schutt vergraben liegen, dann werden sie auch dem neuen Raum Klarheit und Ordnung geben. Nicht die unmündige Frau soll das Ziel der großen katholischen Sozialreform der Gegenwart sein, sondern die Frau, die um wahre Frauenpersönlichkeit, um ihren Wert und ihre Würde weiß. Der gesteigerten Freiheit muß die gesteigerte Verantwortlichkeit entsprechen. „Wer Ketten bricht, muß die Gewissen binden", zitiert Elisabeth Gnauck-Kühne in ihrem Buch: „Die deutsche Frau an der Jahrhundertwende." — Aber die Gewissen bindet nur, wer das Vertrauen der Seele hat.

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