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DIE GNADENSTUNDE

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Pfingsten war es und der Wienerwald stand in tausend Blüten. Ein Bauer hatte den Pfarrer zum Mittagessen eingeladen, ln Kriegszeiten eine doppelte Wohltat. So machte ich nach dem Festhochamt einen Spaziergang durch das Dorf den Berg hinan. Plötzlich aber bleibe ich stutzig stehen. Eines meiner bravsten Madel im Ort im Gespräch mit einem SS-Soldaten, deT gerade auf Fronturlaub in der Heimat ist. Zwei Gegensätze: Sie ist Sodalin, Marienkind, wie sie sich, trotz ihrer 18 Jahre noch immer nennt. Er, aus der Kirche ausgetreten, vom Glauben abgefallen. Sie steht einfach vor ihm; er schaut beinahe ehrfürchtig auf sie. Ich biege in den Waldweg ein, ohne daß mich die beiden bemerkten. Es war Sitte in unserer Marianischen Mädchenkongregation, daß jede es mir mitteilte, wenn sie mit einem Burschen ernste Bekanntschaft machen wollte. Diese aber sagte nichts; und ich selber erwähnte nie etwas.

Nach einiger Zeit kam ein Feldpostbrief — es war inzwischen der Herbst ins Land gezogen — ungefähr folgenden Inhaltes: „Herr PfarrerI Sie werden wohl viele Feldpostbriefe bekommen, sich aber sehr wundern, daß Sie heute einen von mir erhalten. Ich komme mit einer Bitte. Ich habe zu Pfingsten ein Mädchen kennengelernt. Darf ich mir die Nennung ihres Namens erlassen, denn ich weiß ja gar nicht, ob sie meine Neigung erwidert. Aber das eine weiß ich, daß ich mich nie wieder unter ihre Augen wagen werde, weil ich aus der Kirche ausgetreten bin. Sie wissen, wie das war, wie mancher von uns, in jugendlicher Unüberlegtheit, damals diesen Schritt getan hat. Ich hab mir selbst im Feld keine besonderen Gedanken darüber gemacht. Jetzt aber weiß ich, was ich getan habe. Bitte, zeigen Sie mir den Weg, wie ich es wieder gutmachen kann.“ Ich schrieb ihm, er möge bei seinem Feldkuraten beichten, und von ihm sich wieder in die Kirche aufnehmen lassen.

Die stillen wehmütig-ernsten Kriegsweihnachten waren vorüber, und nach den Feiertagen traf ein Feldpostbrief von ihm ein. Es war ein Brief voll Labsal in dieser schweren Zeit, voll Freude und Frohsinn. „Herr Pfarrer, ich hatte zu Weihnachten Gelegenheit, mit dem Herrgott Frieden zu machen und bin wieder Mitglied der heiligen Kirche. Ich habe mir fest vor- genommen, was ich gefehlt habe, wenn ich heimkomme, durch feste Mitarbeit in der Pfarre wieder gutzumachen.“ Von dem Mädchen stand kein Wort im Brief.

Ganz kurz darnach, Mitte Jänner, kam wieder Post von ihm. Er teilte mir mit, daß sie in schweren Einsatz gehen, er gehe ruhig und danke dem Herrgott für die vergangenen Weihnachten, die die schönsten seines Lebens gewesen seien. „Ich werde aus diesem schweren Ringen vielleicht nicht lebend herauskommen. Für diesen Fall sende ich Herrn Pfarrer beiliegend mein Testament."

Wir hatten es zu Kriegsbeginn ausgemacht, die Burschen und Männer. Wer ein besonderes Anliegen hat, für den Fall, daß er nicht mehr heimkommt, kann dies dem Pfarrer schriftlich übergeben. Kommt er heim, bekommt er sein Testament zurück; kommt er nicht heim, dann ist dies sein letzter Wille. Und so lag in einer Schatulle ein Testament neben dem ändern. Ein Bursche, der sonst verschlossen seiner Mutter gegenüber war, schrieb: „Herr Pfarrer, meine Mutter hält große Stücke auf Sie.

Es ist mein letzter Wille, daß nicht der Ortsgruppenleiter, sondern Sie ihr die Todesnachricht überbringen. Sie werden auch die richtigen Trostworte für meine Mutter finden.“ Ein anderer:

„Es ist mein letzter Wille an meine Frau, daß sie die beiden Buben in die Ministrantenschar der Pfarre aufnehmen läßt, damit sie unter der Obhut des Herrn Pfarrers heranwachsen.“ Als ich nun dieses Testament dazulegte, da kam es mir wie eine Ahnung, daß ich es bald werde durchführen müssen.

Kurz darauf kam die Todesnachricht. Die Mutter kam weinend in die Pfarrkanzlei. „Herr Pfarrer, ich weiß, er kann kein feierliches Requiem bekommen wie die anderen, weil er aus der Kirche ausgetreten ist, aber ich wollte mich bei Ihnen ausweinen.“ „Mutter, er bekommt seinen Totengottesdienst." Und es war mitten im größten Leid für sie der schönste Trost, als ich alles mitteilen konnte. Ich kündigte für nächsten Sonntag den Gottesdienst an und verständigte den Kirchenchor. „Und nach dem Requiem singt ihr diesmal kein Grablied, sondern die ganze Pfarre das Lied: Fest soll mein Taufbund immer stehn.“

Ich verlas das Evangelium der Totenmesse. „Wer an Mich glaubt, wird leben in Ewigkeit. Ich bin die Auferstehung und das Leben.“ Ich will heute keine Trauerrede halten wie sonst, dafür lieber die Briefe des Toten vorlesen. Und sein Testament: „Hochwürdiger Herr Pfarrer! Ich gehe nun in den Einsatz.

Es werden schwere Kämpfe werden, und ich werde vielleicht nicht mehr zurückkommen. Ihnen den Namen des Mädchens zu nennen, wäre jetzt sinnlos. Sie wird aber ganz sicher bei dem Requiem für mich dabei sein. Und da bitt’ ich Sie um das eine, sagen Sie — als meinen letzten Willen — für mich ein Wort des Dankes. Ich danke ihr aus ganzem Herzen, daß ich durch die Macht ihres reinen Herzens wieder zum Glauben und Frieden meiner Kindheit zurückgefunden habe.“

Dann wandte ich mich an meine Pfarrgemeinde: „Und ich danke als Pfarrer diesem Mädchen, daß diese Begegnung des jungen Mannes mit ihr eine gnadenvolle war, es hätte auch anders sein können.“

Das Requiem war zu Ende.

Ich hatte die kirchlichen Gewänder in der Sakristei bereits abgelegt; der letzte Ministrant war gegangen. Da klopfte es an die Sakristeitür. S i e kam herein mit rotgeweinten Augen. „Hochwürden, haben wir heute nachmittag Kongregation?“ „Wieso fragst du? Selbstverständlich, wie immer.“ Sie schaute mich an, als ob ich noch etwas zu sagen hätte. Ich aber sagte nichts.

Sie grüßte und ging.

Das alles ist nun schon zwanzig Jahre her. Doch sooft das Fest des Hl. Geistes kommt, immer wieder zu Pfingsten, muß ich mich an dieses Erlebnis erinnern. Und heute weiß ich, daß diese PfingststuiflJe für einen Todgeweihten die letzte Gnadenstunde war.

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