6716616-1964_45_14.jpg
Digital In Arbeit

DIE GRENZEN VERWISCHEN SICH

Werbung
Werbung
Werbung

A ls vor Monatsfrist die ersten Stadtgespräche zwischen Prag und Wien über die österreichischen und tschechoslowakischen Fernsehschirme flimmerten, da mischte sich in die Spannung über dieses Experiment beinahe ebensoviel Skepsis, die in dem Tenor gipfelte: „Na, was wird schon dabei herauskommen?“ Nun, jeder Einsichtige wird von dieser ersten Diskussionsbegegnung von Menschen grundverschiedener Weltanschauung nicht erwartet haben, daß unsere nördlichen, jedoch sonst östlich orientierten Gesprächspartner die ihnen seit Jahren ideologisch und faktisch gesetzten Zäune und Hürden im Galopp überspringen könnten. Dies zu erreichen, lag sicher auch nicht in der Absicht der Veranstalter, von denen vor allem der österreichische Diskussionsleiter Dr. Zilk mit beachtlichem Takt und Geschmack die Versandung der Gespräche in einer gegenseitigen Polemik zu umgehen verstand. Diese Sendung war doch vielmehr als ein Versuch zu betrachten und zu werten, Menschen, die seit Jahrhunderten durch familiäre und sonstige Bande miteinander verknüpft waren, nach einer Periode hermetischen Abschlusses überhaupt wieder einmal an einem Tisch zusammenzubringen. Aufzuzeigen, wo liegen denn die Klippen gegenseitigen Mißverständnisses. Artikel, Reportagen, Reden und Erklärungen offizieller Persönlichkeiten sind dabei viel weniger wirksam, als die persönliche menschliche Begegnung, wie sie das Fernsehen mit diesem Unterfangen anstrebte. Wenn man sich gegenseitig in die Augen schauen kann, gewinnen die Dinge meist eine ganz andere, plastischere, lebendigere Silhouette, als wenn sie einem nur aus den gedruckten Zeilen oder dem gesprochenen Wort entgegentreten. Geschieht dieses In-die-Augen- Schauen dann noch in einem Medium, das Millionen anderen Menschen die optische, direkte Teilnahme an diesem Gegenübertreten erlaubt, so schlägt allein schon dieses Faktum Löcher und Breschen in scheinbar für unverletzlich gehaltene Tabus, selbst wenn sich diese Wirkung nicht sofort und für jeden sichtbar abzeichnet.

Da kam zum Beispiel im Prager Nationalmuseum der Begriff der Pressefreiheit zur Sprache, zu dessen Definie- rung der österreichische Nationalratsabgeordnete Mitterer klare und eindeutige Abgrenzungen fand. Wir wissen zwar nicht, ob seine Erklärungen richtig verstanden wurden. Nach den Schlußworten eines tschechoslowakischen Präsidiumsmitgliedes hatte man den Eindruck, daß dies nicht so ganz der Fall war. Trotzdem ist überhaupt die Darlegung dieser Auffassung vor einem solchen Forum wertvoll, selbst wenn nichts anderes dadurch erreicht wird, als daß die Zuschauer beiderseits der Grenzen dazu angeregt werden, über diese Frage nachzudenken, Vergleiche zu ziehen. Kurzum: beginnen, etwas kritisch zu betrachten, daß sie bisher nur unter einem ihnen Vorgesetzten bestimmten Blickwinkel zu betrachten gewohnt waren. — Ähnliche Empfindungen hatte man, als die österreichische Abgeordnete Körner sich menschlich und einsichtsvoll mit dem Problem des wechselseitigen Reiseverkehrs beschäftigte und dabei neben der Anerkennung der für Österreicher gebotenen Erleichterungen, auch die Frage der unbehinderten Ausreise der tschechoslowakischen Staatsbürger nach Österreich ansehnitt.

S icherlich war dieses Stadtgespräch Prag—Wien nur ein Auftakt des Bemühens, mit Hilfe des Fernsehens auf der Basis einer möglichst hautnahen Berührung mit den internationalen Verflechtungen über die Grenzen zu schauen und den eigenen Horizont so zu erweitern, daß er immer mehr von den durch Konvention und Propaganda gesetzten Scheu klappen — kein staatliches Gebilde, mag es sich auch noch so demokratisch gebärden, ist davon frei — unabhängig wird. Sich hier wirkungsvoll, aufklärend und völkerverbindend zugleich einzuschalten, darin liegen die großen konstruktiven Zukunftsaufgaben des Fernsehens.

Stärker als in jedem anderen Informationsmittel schlummern in ihm die Möglichkeiten, den Menschen für die immer gigantischer anwachsenden Probleme dieser Welt in seiner intimsten Sphäre anzusprechen und ihn für deren weitgehend objektive Beurteilung und Lösung wachzurütteln. Die Impressionen und Worte eines Rundfunkkommentators oder eines Zeitungskorrespondenten sind gefiltert durch die subjektiv-persönliche Einstellung des Berichterstatters. Das Auge der Fernsehkamera aber ist unbestechlich, wenn sie vorurteilsfrei, „sine ira et Studio“ nüchtern an die Ereignisse herangeführt wird. Photo und Kinowochenschau sind ihr auf diesem Weg vorangegangen. Die optische Information unterstützt durch das gesprochene Wort, ist das entscheidende Signum unseres Zeitalters geworden. Eines Zeitalters, das eben gerade im Hinblick auf den wachsenden Umfang und die technische Vervollkommnung seiner Informationsmittel systematisch und stetig die Geheimdiplomatie abbaut. In einem Jahrhundert, da mit Fernsehkameras ausgerüstete künstliche Satelliten im Weltall unseren Planeten umkreisen und die Länder unseres Erdballs mit wachsamen Blicken bestreichen, wobei sie theoretisch Millionen Menschen zugleich Kunde von ihren Wahrnehmungen geben können, werden die gewohnten Methoden außenpolitischer Taktiken immer mehr zu unbrauchbaren Relikten werden.

Diese Erwägungen alle auf einen Nenner gebracht, münden an dem einfachen Satz: „Was ich mit meinen eigenen Augen gesehen habe, läßt sich nicht mehr wegdiskutieren.“ Wenn eben heute die Weltöffentlichkeit auf den Bildschirmen der heimischen Fernsehempfänger Zeuge war, wie Herr Chruschtschow in der Vollversammlung der Vereinten Nationen mit dem Schuh auf die Tischplatte hieb oder wenn wir sehen, daß in unterentwickelten Gebieten Asiens alljährlich Millionen Menschen vom Hungertode bedroht sind und viele ihn tatsächlich erleiden, dann sind dies unleugbare, optisch belegte Tatsachen, die auch die ausgeklügeltste außenpolitische Verklausulierung und Maschinerie nicht zu retuschieren vermag.

A ngesichts der rapid ansteigenden Informationsmittel, unter denen das Fernsehen erst am Beginn einer noch nicht abzusehenden Entwicklung steht, werden sich die verantwortlichen Staatsmänner dieser Erde, ob sie wollen oder nicht, künftig einer „Politik der offenen Tür“ bedienen müssen. Zwischen 1950 und 1963 stieg die Zahl der Fernsehempfangsgeräte in der Welt von elf Millionen auf 130 Millionen Stück und die Zahl der Sender von 130 auf 2380. Ein Anwachsen, das zum großen Teil von Europa genährt wurde, während viele Länder Asiens, Afrikas und Südamerikas großteils aus finanziellen Gründen noch gar nicht oder nicht ausreichend zur Gestaltung eigener oder der Übernahme fremder Programme in der Lage sind. Aber auch hier wird sich die Situation im nächsten Dezennium beträchtlich ändern. Das politische Wissen um die Sorgen, Nöte und Wünsche des anderen jenseits der eigenen Grenzen wird Allgemeingut einer immer stärker interessierten und umfassender informierten Öffentlichkeit werden. Das vom Fernsehen aufgestoßene Fenster einer weltweiten außenpolitischen Unterrichtung und Aufklärung wird niemand mehr unbeschadet zuschlagen können.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung