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Die grobere Kraft-ein Experiment

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Die Diskussion über eine Neuorientierung der katholischen Arbeiterbewegung ist scheinbar zu einem befruchtenden Gedankenaustausch der Arbeiterbewegung überhaupt geworden. Der letzte Beitrag, „Die größere Kraft“ von Josef K. Bügelmayer zielt undeutig darauf ab. Er hat ein erfreuliches hohes Niveau und, was besonders wertvoll ist, er hat den Kernpunkt des Problems richtig herausgearbeitet: Das Christentum ist Träger aller sozialen Dinge und erfaßt damit den ganzen Menschen, schließt den r e 1 i g i ö s - k u 11 u r e 11 e n und den sozial-wirtschaftlichen Komplex zu einer Einheit zusammen. Davon ausgehend, soll einer modernen, umfassenden Arbeiterbewegung, über den engen Horizont einer politisch begrenzten Bewegung hinaus, der Weg gebahnt werden. Fürwahr ein kühnes Beginnen.

Der Autor geht von der Analyse der Vergangenheit aus und zieht daraus Schlußfolgerungen. Hierzu gibt es einiges zu sagen.

Die Erkenntnis, daß das Christentum Träger aller sozialen Dinge ist, besonders betont durch das Erscheinen der Enzyklika „Rerum novarum“, hat in den neunziger Jahren zur Gründung der ersten katholischen Arbeiterbewegung den Anlaß gegeben. Sie war für den ganzen katholischen Kulturkreis bestimmt, hat sich jedoch nur auf den bekennenden Teil, auf die Mitglieder, beschränkt. Es war auch keine andere Möglichkeit gegeben. Diese Bewegung war nun die kämpferische Arbeiterbewegung, und es ist ein Widerspruch, ihr einen bloß „beschaulichen“ Charakter zuzuschreiben. Wer selbst als Aktivist in Deutschland, in der Schweiz und auch bei uns in Oesterreich in ihr tätig war, kann sehr viel davon erzählen, wie hoch die Wogen des Kampfes in verschiedener Richtung gingen. Hätten wir heute nur die Aktivisten, die damals für diesen Kampf Existenz und Leben in die Schanzen schlugen! Das beschauliche Dasein kann sich nur auf vereinzelte Fälle bezichen, woraus man aber keinen Schluß auf die ganze Bewegung ziehen darf. Uebrigens gab es auf dem Wiener Boden im Gegensatz zur Bewegung im ganzen deutschen Sprachgebiet eine Ausnahme, die Bewegung in Wien war vom Anfang an stark politisch betont, da in dieselbe Zeit der Siegeszug Dr. Karl I. u e g e r s gegen die liberal-kapitalistische Uebermacht fiel, an dem die Arbeiterschaft, von dem damals jungen Kunschak geführt, lebhaften Anteil nahm. In Wien war daher die Bewegung in der Folgezeit immer stark politisch betont, und es gab schon Unterschiede zwischen der katholischen und der christlichsozial orientierten Bewegung. Wenn in späteren Zeitläuften in der katholischen Arbeiterbewegung eine gewisse Beruhigung eingetreten ist, so ist dies auch darauf zurückzuführen, daß von ihr die später gegründeten christlichen Gewerkschaften einen größeren Teil kämpferischer Aufgaben übernahmen. Die Vereinsform für die Lähmung der Aktivität ins Treffen zu führen, ist meines Erachtens nicht richtig. Blieb da und dort ein Erfolg versagt, so lag das nicht an der Bewegung, sondern an der asozialen Haltung und Indolenz jener Kreise, deren Verhalten Papst Pius XI. als den großen Skandal des 19. Jahrhunderts bezeichnete.

Einer Korrektur bedarf auch die Auffassung, daß die Zeit der kämpferischen Bewegung vorüber sei. Es ist richtig, daß sich in der gesellschaftlichen Wertung und Stellung des Arbeiter- und Angestelltenstandes ein großer Wandel vollzogen hat. Nichtsdestoweniger ist die soziale Unsicherheit der unselbständigen Werktätigen nicht beseitigt. Die soziale Gesetzgebung bietet noch lange nicht den ausreichenden Schutz hierfür und wird ihn nie bieten können, so lange es Menschen gibt, denen jedes Mittel recht ist, sei es aus Geiz und Neid, Herrschsucht oder unbeherrschten! Geltungsbedürfnis, über die Leichen ihrer Mitmenschen zu gehen. In tausenden Fällen ist der Arbeiter und Angestellte auch heute noch Treibwild ohne ausreichenden Schutz. Zudem bringt der Fortschritt der Zeit immer wieder neue soziale Probleme ins Rollen, die Kampf um soziale Rechte erfordern. Kämpfe werden uns nie erspart bleiben, so lange es in der Welt ein Ringen zwischen Gut und Böse gibt, ein Ringen, das nicht bloß auf der geistigen Ebene, sondern auch in der Atmosphäre des sozialen Lebens ausgetragen werden muß. So wird auch die moderne Arbeiterbewegung eine kämpferische sein müssen, wennsleich die Kämpfe nicht mehr jene Formen haben werden, die beide Arbeiterbewegungen in der ersten Etappe nach ihrer Gründerzeit beherrschten.

Nun ein Wort zur Lage der sozialistischen Arbeiterbewegung. Diese war von allem Anfang an vereinsmäßig politisch geartet und ist es heute noch. Ohne über das Manko zu rechten, das ihre Zielsetzung aufweist, war es ihre starke Seite, daß sie konsequent um ihre organische Fortentwicklung besorgt war und sich von allen Experimenten, die Organisation des Schutzbundes ausgenommen, fernhielt, was der christlichen Arbeiterbewegung 1934 und 1945 nicht zum Vorteil war. Die bei uns verlästerte Vereinsform bewährt sich dort ausgezeichnet, ein Beweis, daß die Aktivität darunter nicht zu leiden braucht. Wie soll man denn anders eine auf demokratischer Grundlage beruhende Aktivität tätigen, als daß man sich bestimmter Vereinigungen bedient, die auf gesetzlichen Normen aufgebaut sind?

Die Wandlungen in der sozialistischen Bewegung vollzogen sich auf der geistigen Ebene, die natürlich auch die Haltung der Bewegung entsprechend beeinflußte. Sind nun diese Wandlungen so, daß man heute daran denken kann, die getrennten Brüder in eine umfassende moderne Arbeiterbewegung zusammenzufassen? Richtig ist, daß in der sozialistischen Arbeiterbewegung heute die marxistischen Ideen als treibende Kräfte weniger in Erscheinung treten. Allerdings bedeutet die Zurückstellung dieser Ideologie noch keineswegs die Aufgabe der nun einmal vorhandenen atheistischen Grundhaltung, die dieser Bewegung noch immer eigen ist. In den einzelnen Köpfen sitzt der Atheismus tiefer, als es scheinen mag. Der Grundsatz: „Religion ist Privatsache!“ ist nur ein Deckmantel dafür, womit nicht gesagt sein soll, daß es Tausende gibt, die den Grundsatz, Religion und Wirtschaft seien getrennte Begriffe, die nichts miteinander zu tun haben, für zweckmäßig halten. Sie erkennen nicht die fundamentale Bedeutung und Notwendigkeit der ethischen Untermauerung jeder Wirtschafts- und Sozialpolitik. Es bedarf, von konfessionellen Gesichtspunkten abgesehen, einer positiven Einstellung zur Ueber-natur und ihren Gesetzen, dann könnte, so unwahrscheinlich es klingt, ein Weg gefunden werden, „die größere Kraft“ für eine umfassende Arbeiterbewegung wirksam werden zu lassen.

Die große Frage ist, wie soll es zu dieser Wandlung kommen? In der Theorie nehmen sich so große Probleme in der Regel schön aus, sind aber in der Praxis sehr schwer in die Tat umzusetzen. Die Erfahrung mit dem Gewerkschaftsbund sind ein Beweis dafür. Wir hören: „Aktivisten werden es schaffen!“ Die Pioniere jedes Neulandes sind Aktivisten mit unbegrenztem Idealismus und einer nie versiegenden Einsatzfreudigkeit gewesen. Sollen die Aktivisten aus dem pastoralen Bereich kommen, der ja für die gedachte Bewegung die notwendige Ergänzung sein soll? Das französische Experiment — mag man es auch als heroisch bezeichnen — war nicht eindeutig von Erfolg begleitet. Vielversprechend wäre es auch bei uns nicht. Der Einsatz seelsorglicher Exponenten wäre an sich natürlich, und ein Weg dafür ließe sich schon finden. Das erforderte natürlich ein verständiges Zusammenwirken.

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