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Die grofe Tochter von Siena

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Die heilige Katharina von Siena, deren Tag am 30. April begangen wird, verdient in diesem Jahre besondere Beachtung. Vor 600 Jahren, am 25. März 1347, ist die große Sienaerin geboren als das 25. Kind de Färbers Jakob Benincasa und seiner Gattin Lapa. In ihren 33 Lebensjahren hat sich ein Reichtum mystischer Begnadung entfaltet, der sie ihren Zeitgenossen als staunenswertes Wunder erscheinen ließ. Seit früher Kindheit war sie beherrscht von einer flammenden Gottesliebe, die sie nicht mehr losließ, bis sie am 29. April 1380 in einem letzten Opferakt der Liebe ihr Leben hingab.

Wie alle mystisch Begnadeten hat Katharina das brennende Verlangen nach einem zurückgezogenen Dasein, nach Einsamkeit und Verborgenheit, in deren Stille die Gottesinnigkeit erblühen kann. Wem die übernatürlichen Wirklichkeiten zum haftenden Erleben geworden sind, dem wird es eine Qual, sich in das Getriebe einer Welt zu mischen, die durch ihr Denken und Tun dem Geiste Gottes widerstrebt. Der Jungfrau von, Siena aber wurde es als „Last Gottes“ auferlegt, daß sie im letzten Jahrzehnt ihres jungen Lebens mit solcher Heftigkeit in das öffentliche Leben geworfen ward, daß sie darin einzigartig unter den Heiligen dasteht und in der Weltgeschichte nur in der heiligen Jungfrau von Orleans eine verwandte Gefährtin hat. Das leuchtende Weltwunder im Leben der großen Sienaerin ist ihre öffentliche Wirksamkeit. Dieses Mädchen aus dem Volke hat es erreicht, daß Städte, Sippen sie als Friedensmittlerin achten, daß Könige und Regierungen sich ihren Bitren und Mahnungen fügen, daß Päpste und Kardinäle auf ihre Forderungen horchen. Ihre Sendung ist weltgeschichtlich einmal. Aber vielleicht offenbaren die Quellen und Beweggründe dieser einzigartigen Mission auch allgemeingültige Linien für die Beziehung des Christen zum öffentlichen Leben.

Die Zeitenstunde, in der Katharina zum Eingreifen aufgerufen wurde, war außerordentlich verworren, friedlos und blutig. Ein halbes Jahrhundert vorher hatte Dante sein Heimatland Italien beweint als „die Herberge der Schmerzen“. Die Leiden des Landes waren aber im Fortgang des Jahrhunderts noch unsäglich gesteigert. Und Katharina erlitt sie ni-ht bloß als edler Mensch und als Patriotin, sondern als eine von G0tt ergriffene Heilige. Ja, sie erlitt nicht bloß die Schmerzen des Landes, sondern die brennenden Wunden der gesamten Kirche jener Zeit.

Rom, die Hauptstadt der Christenheit und geistige Königin der Völker, war vor 70 Jahren von den Päpsten verlassen, die des ständigen Aufruhrs der Stadt müde geworden waren und sich im milden Klima der Provence zu Avignon sozusagen ein Stilleben edler Menschlichkeit geschaffen hatten. Zwar waren dort die Männer der Tiara durchwegs edle Gestalten. Aber die „edle Menschlichkeit“ ihrer Umgebung war vielfach in einen Kulturprunk ausgeartet, der alsJ Schleier ausgebreitet war über eine totale Verweltlichung, irdische Machtgier und sittliche Verderbnis. Dies Vorbild des Hofes zu Avignon war die große Entschuldigung, auf die sich alle beriefen, die in ähnlicher Weise von der Höhe ihrer kirchlichen Würde und Verantwortung abgefallen waren. Der Zustand der Kirche schrie nach Reform, und es war niemand da, der mit Ernst und Energie das Steuer herumreißen konnte und wollte. Das Papsttum in Avignon war in Gefahr, seine Universalität zu verlieren, da es von den Völkern des Abendlandes der einseitigen Gebundenheit verdächtigt werden konnte. So bracht? es die gesamte Christenheit in die Not dts Aufruhrs und der Anarchie.' Der Angelpunkt der neuen Ordnung mußte die Rückkehr des Nachfolgers Petri nach Rom zum Stuhl des heiligen Petrus sein.

Unter dem friedlosen Zustand und seinen verderblichen Folgen litt am meisten das Heimatland Katharinas. Rom, von den Päpsten verlassen, versank immer mehr in seine Ruinen. Der Kirchenstaat war unter dem ständigen Aufruhr am Zerbröckeln. In den freien Städten flammte der Parteienkampf und der blutige Streit des Bürgertums mit den Feudalen. Söldnerheere plünderten und brannten im Lande. Mit der Anarchie herrschte das Elend im Volke und mit dem Elend der moralische Verfall. So wurde auch in dieser Sicht der Papst zur letzten Hoffnung und seine Rückkehr zum Angelpunkt einer friedlicheren Zukunft und einer sittlich-religiösen Ordnung.

Zudem flammte vor den Toren Europas das Schwert Mohammeds, das über das heilige Land herrschte und schon die Konigin von Zypern in Schrecken setzte, so daß sie durch eine Gesandtschaft um eilige Hilfe bat.

In dieser Zeitenstunde wird die heilige Jungfrau von Siena aufgerufen — ohne Zweifel von Gott aufgerufen. Sie hatte ein Übermaß von Gnaden empfangen. Sie hatte die Gabe des Schauens göttlicher Wirklichkeit und des Vernehmens göttlichen Willens. Sie trug in sich die Sicherheit göttlicher Wahrheit und die Glut göttlicher Liebe. Sie war in ihren Ekstasen emporgerissen in die übernatürliche Welt und litt um so tiefer am Elend der Erde, am Unheil der Seelen und an der Verwilderung des Gottesgartens, der Kirche. — Aber der Herr läßt seine Gnade nicht überströmen einzig zur Beseligung eines liebenden Herzens. Gott will ja das Heil der Welt, um deretwillen sich das Mysterium von Bethlehem und Golgatha vollzog. Daß er Katharina zu außerordentlicher Begnadigung erwählt hat, ist nur der Weg zu einer außerordentlichen Sendung in einer außergewöhnlich schweren Zeit.

So sehen wir die heilige Jungfrau von Siena, von Gott gezeichnet durch die Schmerzen der Wundmale des Herrn und beladen mit dem schweren Kreuz der Leiden der Kirche und des Volkes, auf den verwüsteten Straßen von Toskana wan-. dem, in ihrem weißen Gewände und ihrem schwarzen Mantel einer Tertiarin des heiligen Dominikus. Wir sehen sie in Pisa und Florenz mit den Regierungen verhandeln und im Aufruhr der Städte unerschrocken den Weg zum Frieden bahnen. Wir sehen sie unterwegs nach Avignon zum Papste und sehen dort in ihrer Begegnung mit Gregor XI. für einen Augenblick das Schicksal der Christenheit in ihre Hand gelegt. Wir sehen, wie sich der Papst ihren flammenden Bitten im Namen des Gekreuzigten beugt und aus seinem Schwanken sich aufrafft zur Rückkehr nach Rom. Und wenige Jahre später sehen wir sie im traurigen Schisma der Kirche, als es Papst und Gegenpapst in der Kirche Christi gab, wie Katharina nach Rom gerufen wird, um vor dem rechtmäßig gewählten Urban VI. und seinen Kardinälen das Wort zu ergreifen und dem Felsen und den Säulen der Kirche im Namen des Gekreuzigten Festigkeit und Sicherheit zu geben.

Staunend überschauen wir auch den Reichtum ihrer Briefe an Fürsten und Prälaten, an städtische Regierungen und päpstliche Legaten, an Könige und Päpste. In allem geht es ihr um die schwersten Anliegen der Zeit: um die Einheit und Reform der Kirche, um die Heimkehr des Papstes auf den Apostolischen Stuhl von Rom; es geht ihr um die Befreiung des Volkes aus dem Elend der Kriege vnd Aufstände, um den Frieden der Städte und der Völker; und es geht ihr um die Abwehr des äußeren Feindes der Christenheit, um den Kreuzzug für das Heilige Land.

So wird die Färberstochter von Siena, die weder Stand noch Rang noch schulmäßige Bildung hat, zu einer staunenswerten Erscheinung der Geschichte. Die Strahlen ihres Wirkens reichen in den gesamten Raum der Christenheit. Wir denken unwillkürlich an das Wort des ersten Ko-nnther Briefes: „Was vor der Welt töricht ist, hat Gott erwählt, damit er das Weise beschäme; und was vor der Welt schwach ist, hat er auserwählt, damit er das Starke beschäme.“

Wir denken aber auch nach über die allgemeingültige Lehre, die eine so einmalige Erscheinung zu geben vermag. Die Berufung zum christlichen Leben schließt in sich die Sorge um den Heilszustand der Welt. Darum erweitert sich jede persönliche Begnadung zur Mitsorge am Heil der Welt. Darin ist Katharina von Anbeginn eine echte Tochter ihres apostolischen Vaters Dominikus, ob sie in der Gottesstille der Einsamkeit ihre Gebete und Bußübungen für die leidende Menschheit darbietet oder ob die Leiden des Volkes und der Kirche sie zum öffentlichen Eingreifen drängen. Ihre öffentliche Wirksamkeit ist nicht „Politik“ im gewöhnlichen Sinne, indem auf dem Wege der Macht ein Zustand der Ordnung erstrebt wird. Die Ordnung, die sie erstrebt, ist die Einordnung aller Lebensbereiche, des privaten und des öffentlichen Lebens, in den Willen Gottes. Der Weg, den sie beschreitet, ist nicht die Stärkung einer irdischen Machtposition, sondern die Ergriffenheit vom Verderben der Seelen und die Aufweckung religiöser Verantwortung. Gerade weil sie ganz aus dem Übernatürlichen lebt, hat sie das lebendigste Gefühl für die Quelle aller Unordnung in der Welt und das brennendste Verlangen, daß alles in die gottgewollte Ordnung komme. Von dort her hat sie auch die gebieterische Sicherheit, die ihrem Wort einen Abglanz der göttlichen Autorität gibt, immer verbunden mit einer ergreifenden menschlichen Demut. In allem aber hat sie den unbesiegbaren Schwung der göttlichen Liebe, die sich in stärkster Energie verwandelt in eine Liebe zum Heil der Welt.

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