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DIE GROSSE ALTE DAME

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„Ein kleines Lied, wie geht’s nur an,

daß man so lieb es haben kann,

Was liegt darin? Erzähle!

Es liegt darin ein wenig Klang,

ein wenig Wohllaut und Gesang,

und eine ganze Seele.”

Diese Verse sollte eine leise Spieluhr begleiten, sie steht auf dem Empireschreibtisch einer alten, sinnenden Dame in der wohltemperierten Atmosphäre des Wiener Stadtparkviertels um die Jahrhundertwende. Im Jahre 1900 erhielt die 70jährige Baronin Marie von Ebner-Eschenbach als erste Frau in Österreich den Ehrendoktor der Wiener Universität. Wir sehen dabei ein gütig-ernstes Altfrauengesicht vor uns, das Altersbild der verwitweten Exzellenz im vielgefältelten Schwarzseidenkleid. So wie wir auch mit ihrem berühmten Altersgenossen, mit Kaiser Franz Joseph, die Vorstellung vom „alten Kaiser” verbinden. Man vergißt ganz, daß beide auch einmal jung gewesen sind, damals, als man noch auf den Wiener Glacis spazierenging und ins alte Burgtheater am Michaelerplatz. Sie beide, Kaiser Franz Joseph und Marie von Ebner-Eschenbach, verkörpern jenes Altösterreich, das mit ihrem Tode dahingegangen ist.

Die Dichterin vielleicht noch mehr als der Kaiser. Denn auf ihrem heimatlichen Schloß Zdislawitz bei Brünn lernte die junge Gräfin Dubski erst Tschechisch und Französisch und dann erst Deutsch. Dies geschah vor allem in den Wintermonaten in Wien, wo Marie Dubski das Stadthaus an der Donau liebgewann und besonders das Burgtheater. Der Vater hatte gegen Napoleon gekämpft, aber schon 1816 den Abschied genommen, so lebte man in einer größeren Familie das kultivierte Leben des böhmischen Aristokraten, im Sommer auf seinem Erbgut, im Winter eben in Wien. Die Mütter, erst die eigene, dann zwei Stiefmütter, machten sich um sportliche Extravaganzen der jungen Komtesse Marie einige Sorgen, denn sie ritt, schoß und jagte gern und konnte den gesellschaftlich so anregenden Winter in Wien nie so recht erwarten. Schon mit 18 Jahren — 1848 also, da ihr kaiserlicher Altersgenosse die Bürde der Krone im Augenblick schwerster Bedrängnis annehmen mußte — heiratete Marie Dubski den Geniehauptmann von Ebner-Eschenbach, der fast mehr Gelehrter als Offizier war. Nach zwölfjähriger Dienstzeit in Klosterbruck zog das kinderlose Paar endgültig nach Wien. Hier ging Ebner-Eschenbach 1874 als Feld- marschalleutnant in den Ruhestand, um weiter seinen Studien zur Verbesserung der „technischen Truppen” zu leben. Erst nach seinem Tode, 1898 — es ist dasselbe Jahr, in dem auch Franz Joseph seine Gemahlin verliert —, konnte Marie von Ebner-Eschenbach ihre jahrzehntelang ersehnte Italienreise antreten.

Bereits ein Jahr vor ihrer frühen Vermählung, 1847 also, hatte die Stiefmutter Maries ziemlich rebellische Gedichte keinem geringeren als Franz Grillparzer vorgelegt. Und dieser überkritische Meister des Wortes und der Form hatte sie gut befunden und sich für die künstlerische Zukunft der Komtesse fast verbürgt. Durch Jahre hindurch gehörte Marie von Ebner-Eschenbach seitdem zu dem immer kleiner, immer erlesener werdenden Freundeskreis des Dichters, der zusammen mit Stifter noch das Österreich des Vormärz verkörperte, während sie selbst später mit Ferdinand von Saar dem Österreichs Franz Josephs den unmittelbaren geistigen Ausdruck verleihen sollte. Ihr dichterischer Ehrgeiz ging zunächst dahin, den Sprung vom Parkett des geliebten Burgtheaters auf die Bühne zu gewinnen, doch sollte sie keine Burgtheaterdichterin werden. Mit ihren frühen Dramen, etwa „Maria Stuart in Schottland”, oder den im anmutigen Plauderton österreichischer Gesellschaftsstücke gemachten Versuchen im Stile Eduard von Bauemfelds, drang sie nicht durch; sie wurde gelegentlich gespielt, aber schließlich doch abgelehnt. (Jos. Nadler nennt als Grund der Ablehnung den bürgerlichen Hochmut der Zeit, der dem Geburtsadel keinen Zugang in die geistig-künstlerischen Bereiche gönnte.) — So sah sie es anfänglich als schmerzvollen Verzicht an, „nur” auf Erzählungen begrenzt zu sein, bis sie sich selbst ihrer Stärke in ihnen bewußt wurde. Denn diese Geschichten unterscheiden sich wenig von ihren früheren Gesellschaftsstücken, auch hier finden sich Wechselreden und szenische Bemerkungen, gerne verwendet sie auch die Dialogform des Briefwechsels; das sind die Elemente ihrer Erzählungen, von denen sie erst 1875, also mit 45 Jahren, einige erscheinen ließ.

Wieder ist es das alte Österreich, das in seiner sprachlichen und sozialen Vielgestaltigkeit in diesen einfachen Erzählungen lebt, vor allem in dem patriarchalischen Verhältnis zwischen Schloß und Dorf; manches ist ähnlich dem, wie es eine Generation vorher Annette von Droste-Hülshoff in „Bei uns zulande auf dem Lande” geschildert hat. So etwa in der „Bozena”, der Geschichte einer Magd, oder in „Lotti, die Uhrmacherin”, die mit der Arbeit ihrer feinen Hände einem Dichter aus seiner Haltlosigkeit helfen will. Als die greise Dichterin im Jahre 1902 diese „Dorf- und Schloßgeschichten” in einem Sammelband erscheinen ließ, hatte sie ihrem Gesamtwerk den gemäßen Titel verliehen. Denn die geborene Komtesse war früh aus den Vorurteilen ihrer aristokratischen Welt herausgetreten und hatte teilgenommen an den Sorgen der ärmeren Schichten, und dies in einer Zeit, da die Bauern, die ihr Heimatschloß umgaben, gerade erst aus der Erbuntertänigkeit entlassen wurden. Sie hat bis in ihr hohes Alter ein sehr waches soziales Empfinden gehabt, ohne am politischen Tageskampf teilzunehmen wie etwa ihre Alters- und Standesgenossin Berta von Suttner, eine geborene Gräfin Kinsky. — Gerade weil sie sich den starken inneren Spannungeh der Zeit nicht verschloß, hielt sie an ihrem Glauben an das Gute fest und diesen tapferen Optimismus der pessimistischen Welt Schopenhauers entgegen, für die sie sich in ihrer Jugend einmal begeistert hatte.

„Der Glaube an das Gute ist es, der lebendig macht, und im Zeichen dieses Glaubens werde ich immerdar kämpfen”, das ist das Motto, das über all ihren oft sehr realistischen Erzählungen steht, in denen sie ihre kleine Welt eingefangen hat, die sie deshalb so liebevoll schildert, weil sie ihre Enge und Not keinesfalls verkennt. Daß diese Not dem anderen, dem Nächsten, eine Aufgabe stellt, dafür findet sie den treffenden Ausdruck: „Wenn du deinen Teller füllst, sorge dafür, daß es in deiner Nachbarschaft so wenig wie möglich leere gibt.” — Vielleicht sind es diese Aphorismen, die Marie von Ebner-Eschenbach noch bekannter gemacht haben als ihre Erzählungen, mit denen sie freilich mit Storm und Keller, Raabe und Heyse bald in eine Reihe trat. Es ist das reife Frauentum, aus dem ihre besten Menschendarstellungen kommen und das sie auch zu dieser aphoristischen Meisterschaft führt. In ihr geht sie vor allem dem feilen Kritizismus ihrer Zeit zuleibe, der sich im Negativen gefällt, ohne positive Werte entgegenzustellen: „Die jetzigen Menschen sind zum Tadeln geboren, vom ganzen Achilles sehen sie nur noch die Ferse.”

Eingangs wurde von einem gütigen Altfrauengesicht gesprochen, das eine echte Mütterlichkeit ausstrahlte, obwohl Marie von Ebner-Eschenbach eigene Kinder versagt geblieben. Ihr Herz gehörte einer ganzen Welt, einem Reich, das zwei Jahre nach ihrem Tode zum Unheil Europas in Stücke geschlagen wurde. Und das war mehr als eine politische Wende, ein Zeitalter ging dahin, in dem eine behutsame Gebärde oft mehr bedeutete als ein lautes Wort, eine kurze Sentenz oft gültiger auszusagen wußte als eine ganze Abhandlung. Und der Mittelpunkt dieser Welt war Wien, auch für die Dichterin; von hier aus, von ihrem „papierüberfluteten Schreibtisch”, gehen noch im Jahre 1902 ihre letzten Grüße aus, die „Stillen Stunden” und „Aus Spätherbsttagen”. Keine naturalistischen Anklagen, sondern immer wieder im leichten Plauderton des gepflegten Wiener Salons decs Bekenntnis eines guten Herzens, das bis ins hohe Alter jung geblieben ist. Der Weltkrieg kam wie ein grauenvolles Wetter über das greise Haupt dieser friedvollen Frau, sie hatte nur noch einen Wunsch, ihrem.

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