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Die große Kehrtwendung

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Der bekannte Geistesgeschichtler und Soziologe Crane Brinton sagte noch 1940, daß das Erscheinen einer konservativen Zeitschrift in Amerika eine Unmöglichkeit sei. Damals las die amerikanische Jugend die „Nation“, die „New Republic",linksgerichtete, progressive Publikationen.

Dies hat sich nun alles geändert. Konservatismus ist jetzt in Amerika ein Modewort geworden. „Amerika braucht eine gesunde Dbsis wahren Konservatismus"(„Life“).Und ob nun die akademische Jugend die respektablen Zeitschriften, wie „Life“oder „Fortüne“, oder sogar die extremen konservativen, wie „American Mercury“, „National Review“, oder gar nichts liest, sie kennt kaum noch die „Nation“ oder „New Republic“; vielleicht liest sie noch den „Reporter“, ein liberales Blatt, welches sich aber von jedem radikalen Eifer fernhält. Und wieviel neue, bisher verpönte, „unamerikanische“ Worte sich seit dem zweiten Weltkriege eingebürgert haben: „distinguished", „exclusive“, „aristocratic“. Genauso hat sich auch das Bild geändert, welches die Welt von Amerika hat. In den Augen vieler ist Amerika nicht mehr das Land der Revolution, des Fortschritts, sondern ’ der Erhaltung.

Unser anfängliches Bild von Amerika als ein unkonservatives Land bedarf nun aber doch einer Berichtigung. Auch bei Anerkennung der obigen Verallgemeinerungen wird man bei einem genaueren Einblick in die amerikanische Tradition doch wesentlich konservative Merkmale finden. Es war ja das Verdienst des großen Amerikareisenden de Tocqueville1, eben diese herausgearbeitet zu haben. Amerika war seit jeher ein Land, in dem Gott, Verfassung, Gesetz, ja Tradition eine bedeutsame Rolle spielten. Es hat auch seine ausgesprochen konservativen Staatsmänner gehabt: Hamilton, John Adams. Sie waren bestimmt keine de Maistres2, geschweige denn Pobedonoszews3. Aber jedes Land hat seinen eigenen Konservatismus, und so auch Amerika. — Zumindest könnte man aber sagen, daß die Vereinigten Staaten einen relativen Konservatismus haben. Jede Revolution bildet doch früher oder später ihre eigene Tradition. Man sagt drüben oft: „America has come of age.“ Die „Töchter der Amerikanischen Revolution“, jene seltsame Organisation, war vielleicht einmal revolutionär, doch heutzutage gibt es kaum eine mehr rückwärtsgewandte, langweilige und vielleicht gar nicht so harmlose Gruppe. Dort spricht man nicht mehr von Fortschritt, sondern eben von Tradition, Loyalität; all dies im Namen der Revolution.

Insofern es also doch eine amerikanische konservative Tradition gibt, ist der neue amerikanische Konservatismus nicht ganz so ohne Wurzeln, nicht ganz so neu. Jedoch in einer anderen Beziehung stellt er wieder ein ganz erstaunliches Phänomen der modernen Geistesgeschichte dar; steht er doch irgendwie in Zusammenhang mit den allgemeinen neukohserva- tiven Strömungen in den meisten europäischen Ländern, mit der geistigen und politischen Bewegung, die um das Ende des neunzehnten Jahrhunderts als ein Protest gegen das Zeitalter der Ratio, des Fortschritts, ansetzte. Sie stellte jene „entrüstete Tradition" dar, die Disraeli einmal piophezeit hatte. Diese Bewegung oder, genauer. Gegenbewegung, hat wohl am ersten und stärksten Ausdruck in Mitteleuropa gefunden. Das mag damit Zusammenhängen, daß, wie Thomas Mann schrieb, die besiegten Länder des ersten

Weltkrieges eher als die Sieger die Krise des Fortschrittsgedankens wahrnahmen. In Deutschland und Oesterreich breitete sich diese Bewegung weit aus, in Deutschland mit einem durchaus heidnischen Einschlag — Stefan George, Moeller van den Bruck, Spengler, Ernst Jünger —, in Oesterreich mit einem katholischen — Hofmannsthal, Seipel, Spann. Und dann muß man auch noch an den Nationalsozialismus denken, eine Form des Pseudokonservatismus, der sie alle mehr oder weniger zum Narren hielt und überspielte. — Der amerikanische Neukonservatismus ist erst eine Erscheinung der zweiten Nachkriegszeit. Er leitet sich auch gar nicht von dem mitteleuropäischen ab. Moeller, Spengler, Ernst Jünger sind soviel wie unbekannt in den Vereinigten Staaten (ausgenommen natürlich Spenglers Geschichtsphilosophie). Aber wie in Europa bedeutet der neue' amerikanische Konservatismus eine Auflehnung gegen den Progres- sivismus. Der gewohnte Linkskurs der amerikanischen Intellektuellen wurde durch die Entwicklungen der dreißiger Jahre in Frage gestellt. Man hatte in den Jugendjahren Marx studiert, man hatte — verständlicherweise — für Franklin D. Roosevelt und seinen New Deal geschwärmt, ja man schielte nach Rußland hinüber als dem Land der Revolution, des Fortschritts. Dann aber kamen die großen russischen Schauprozesse von 1936 bis 1938, der Nazi-Sowjet-Pakt, und in Amerika so langsam, manchmal sehr schmerzvoll, das Erwachen der Enttäuschten. Neukonservatismus in Amerika ist zum großen Teil Ernüchterung. — Dazu kommt noch, daß nach dem zweiten Weltkrieg Amerika sich Rußland gegenüber fand und sich nun in der Verteidigungsstellung auf sich selbst besinnen mußte. Jene aber von der Linken hatten sich — sei es durch die Tragik der Situation, sei es aus Schuld, sei es bloß auf Grund der eifrigen Mache der Rechten für den Kampf im „kalten Krieg" disqualifiziert. Sie wurden als sogenannte „eggheads"abgetan.

Die neue konservative Garnitur ist bisher noch namenlos geblieben, und das ist symptomatisch; zumindest hat man sie bisher noch nicht als „squareheads"benannt. Sie ist ja auch ganz uneinheitlich. Zum Teil, wenn auch meist in Auflehnung gegen den New Deal und dessen politischen Kurs, ist doch der amerikanische Konservatismus selbst in den liberalen materialistischen Gesichtspunkten eines gesunden Kapitalismus verstrickt. Die trifft auf die Gruppe der „liberalen Konservativen" zu, die in Walter Lippmann und August Heckscher eifrige publizistische Fürsprecher finden, die im Kongreß durch Abgeordnete wie Clifford Case vertreten sind und in der Bank- und Ind’ striewelt durch Männer, wie John J. McCloy und Paul Hoffman, und die sich auf mächtige Zeitungen und Zeitschriften (wie „Fortüne“, „Titne“) stützten.

Dasselbe trifft auch auf die sogenannten „Pseu- dokonservativen“, die sich um den nun verstorbenen Senator Joseph McCarthy scharten; über sie wird noch weiter unten einiges zu sagen spin. Beide Gruppen, wie unterschieden sie auch voneinander sein mögen, sind doch gutbürgerlich. „Tinte“ ist bestimmt kein „amerikanischer Carlyle“, wie kürzlich behauptet wurde. Othmar Spanns Angriffe gegen den „materialistischen, atomistischen, rationalistischen, kosmopolitischen … Geist“ hätte auch diese amerikanischen Gruppen von Konservativen getroffen. Hier sehen wir eben den Abstand zwischen dem mitteleuropäischen und dem amerikanischen Neukonservatismus. Am nächsten kommt wohl dem mitteleuropäischen Vorbild in Amerika der Konservatismus einer Gruppe mehr oder weniger sentimentaler Intellektuellen, die sich grundsätzlich mit den Problemen des Fortschritts, Materialismus und Kapitalismus auseinandersetzen. Ihre bedeutendsten Fürsprecher sind Russell Kirk („The Conservative Mind“, „A Program for Conservatives“)und Peter Viereck („Conservatism Revisited“).Unter ihnen befindet sich auch eine katholische Richtung, die von dem Professor der Fordham-Universität Ross Hoffman ausgeht. Interessanterweise sind diese Intellektuellen weniger gegen Franklin D. Roosevelt eingestellt; für manche von ihnen ist Roosevelt der Reformer, sogar ein Repräsentant einer modernen „Tory Democracy". Das ist gar nicht schlecht gesehen. In den letzten Wahlen mögen sie für Stevenson gestimmt haben. Der Rechtskurs dieser Burke-Schüler ist ein geistiger öder auch ästhetischer, aber nicht unbedingt politischer.

Oben wurde schon in verschiedener Beziehung von einem Pseudokonservatismus gesprochen. Aus ganz verschiedenen Gründen hat sich in Mitteleuropa sowohl als in den Vereinigten Staaten eine Abart des Konservatismus gebildet, die sich mehr revolutionär als konservativ, mehr radikal als konservativ, ja jakobinisch und durchaus plebejisch gebärdete. In Deutschland war es die Wirtschaftskrise nach dem ersten Kriege, die den Konservatismus in ein radikales Fahrwasser drängte. In Amerika war es der wirtschaftliche Wohlstand nach dem zweiten Kriege, der neuen Gruppen in der Bevölkerung zum Aufstieg verhalf. Es ist nicht ganz zufällig, daß der Kampf der homines novi — wie Senator McCarthy und William F. Buckley — sich gegen die Sprossen älterer, angesehener Familien — Roosevelt, Acheson, Hiss, Lodge — richtet. Außerifetn aber Vertreten sie-eine Politik;’;die unter der Fahne der Moralität und des Amerikanismus sich schonungslos über die Fundamente des amerikanischen Verfassungslebens hinwegsetzt. Durch den Tod McCarthys ist diese radikale Richtung ihres mächtigsten und geschicktesten Vertreters beraubt worden; dennoch kann sie nicht als ausgestorben betrachtet werden.

Eine letzte Art des amerikanischen Konservatismus tritt uns endlich in Zusammenhang mit der sogenannten „silent generation"gegenüber, der Generation nach dem zweiten Weltkriege, die anscheinend in den meisten Ländern Europas, auch in Rußland, ihr Gegenstück hat. Sie ist realistisch, skeptisch, dem Praktischen zugewandt. Indem sie Ideen und Politik als solche ablehnt, vertritt sie einen zumindest „passiven Konservatismus" (William H Whyte, „Tite Organization Man“). Viel wird über diese neue Generation diskutiert und geklagt, völlig ist ihr Umriß allerdings noch nicht klar. Es ist vielleicht ganz natürlich und nicht unbedingt gefährlich, wenn eine bestimmte Generation sich von dem politischen Leben fernhält. Es wäre weise, diesem Phänomen gegenüber Verständnis entgegenzubringen und geduldig zu sein. Die Abwendung von der Politik ist an und für sich nichts Schlechtes, zumindest als eine Reaktion gegen zuviel Politik. Der „unpolitische Mensch“ der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts ist noch ein Rätsel. Es wäre ja möglich, daß er sich nicht nur mit seinen materiellen Belangen befaßte, wie allzuoft angenommen wird, sondern auch mit Dingen, die höher als die Politik liegen, mit Fragen des Geistes, mit Religion. Anläufe in dieser Richtung, das heißt ein verstärktes Interesse in Religionsfragen, bestehen schon in Amerika. Wenn man an Hand der Betrachtung des „aktiven" Konservatismus in Amerika hätte folgern wollen, daß er eigentlich doch nur ein Windstoß sei und nicht mehr, ja daß überhaupt das liberale, progressive Amerika letzten Endes eines echten Konservatismus gar nicht fähig sei: vielleicht bedeutet der „passive Konservatismus“ doch mehr als ein „swing of the pendulum", mehr als ein bloßes Desinteressement. Unter den verschiedenen Formen des Neukonservatismus, die hier besprochen wurden, mag er sich als das wichtigste Ereignis im Gebiete des amerikanischen Sozial- und Geistesleben seit dem zweiten Weltkriege entpuppen.

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