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Die große Toditer Sienas

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Ein armes Mädchen aus der Arbeiterschart, kränklich und ungebildet, lebt ihr kurzes Leben von 33 Jahren in einer politisch ganz zerrissenen und weltanschaulich höchst bewegten Umgebung und sichert sich einen Platz in der Geschichte ihrer Heimat, in der Geschichte der Kirche und der Literatur.

Das ist jene Frauengestalt, deren Name im Kalender am 30. April aufscheint, jene Caterina Benincasa von Siena in der Toskana, die von Beruf eigentlich reichlich spät lesen und erst mit 30 Jahren schreiben lernte, die aber Schüler und Anhänger, Frauen und Männer belehrte, Verirrte zur Umkehr brachte, eine geistliche Mutter für nah und ferne, eine Friedensstifterin für Familien und Städte war und lebendige, beredte, mutige, oft geradezu verwegen anmutende Briefe an hoch und nieder, an militärische, politische, diplomatische, geistliche fiund weltliche Herrschaften, ja selbst an Könige und Päpste diktierte und absandte und wiederholt mit Gesandtschaften von nicht geringer Tragweite für Staat und Kirche betraut wurde. .

An und für sich eine alltägliche, unauffällige Frau, vielleicht eine gute, vielleicht eine fromme, ersteht uns Katharina aus ihren Schriften — zirka 370 Briefe, ein kleines Buch „Uber die göttliche Vorsehung“ und eine Reihe von Gedanken und Sprüchen * — als ein Charakter von männlichem Starkmut, der nach außen eine vielseitige Tätigkeit entfaltet, innen vollkommen einheitlich, konsequent und harmonisch erscheint und dem Leser sich als Gestalt von plastischer Konsistenz dauerhaft einprägt. Klarheit in der Erkenntnis, Bestimmtheit in der Zielsetzung, Unaufhaltsamkeit im Einsatz der Mittel und die Ausdauer bis zum Ende, das sind Eigenschaften, die, zusammen mit anderen Gaben höherer Ordnung, dieses Mädchen zu einer Persönlichkeit sich gestalten und in einer Zeit wirken ließen, in der ihre engere und weitere Heimat so aufgeteilt war, daß jede größere Stadt mit Umgebung, ähnlich wie seinerzeit die alt-griechische Polis, sich als selbständiges Staatswesen behaupten wollte, in der Zeit der sogenannten babylonischen Gefangenschaft des Papsttums, einer Zeit steter, bitterer Kämpfe um Macht und Vormacht, wo abenteuerische, fremdländische Söldnerheere das Land durchzogen und überdies die Geister sich im großen Schisma in mehrere Lager teilten und die Verwirrung groß und breit um sich griff. Das war die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts.

Katharina greift nun tatsächlich in das politische Leben ihrer Zeit ein, man möchte fast sagen, mit einem vorgefaßten, bestimm-

ten Programm: den Papst will sie ans

Avignon nach Rom zurückbringen, in der Kirche will sie die Disziplin hergestellt wissen und eifert Könige und Völker zur „heiligen Überfahrt“, wie sie den Kreuzzug nennt, an. Wie kommt sie zu dieser Tätigkeit? Etwas Charismatisches, um nicht ZB sagen Paradoxes, hat ja dieses Mädel an sich. Sie will seit ihrem sechsten Lebensjahr Visionen gehabt haben und Offenbarungen. Die Bande der Verwandtschaft in der Familie empfindet sie als ein Hindernis in ihren Vollkommenheitsbestrebungen, aber bald hat sie, ungewollt und unbeabsichtigt, eine Schar Leute um sich, denen sie Mutter sein will, die sie unterweist und führt. Sich selbst nennt sie „Sklavin und Dienerin der Diener Christi“, in Wirklichkeit aber will sie, daß ihr jedermann gehorsam sei. „Ich will“ ist eine ihrer beliebtesten Redewendungen. „Ihr werdet den Willen Gottes und den meinen erfüllen“, schreibt sie im Befehlston an den König von Frankreich. Aus visionären Entrückungen geht sie hinaus ins praktische Leben des Alltags, nimmt sich der Armen und Bedrängten an und pflegt die Pestkranken ihrer Stadt. Es fehlt ihr nicht an Feinden, aber dadurch wird sie ja nur noch mehr bekannt. Ihr Einfluß nimmt zu und erstreckt sich auL immer weitere Kreise im Volk und in der Gesellschaft. Bald ist sie in Florenz, bald in Pisa oder Lucca, dann wieder in Florenz, später in Avignon und in Rom, immer wieder mit diplomati-sdien Geschäften beauftragt, an der Spitze von Gesandtschaften, wobei sie sich manchmal, wie am Hofe zu Avignon, eines Dolmetschers bedienen muß, da sie selbst nur die Volkssprache ihrer Vaterstadt spricht. 1377 schreibt sie an Papst Gregor XI. und fordert ihn zum Frieden mit Florenz auf, über das der Papst den Bann verhängt hatte. Sie verwendet sich für den Frieden zwischen der einflußreichen Familie der Salimbeni und ihrer Vaterstadt. In Florenz entsteht um diese Frau ein Aufstand in der Volksmasse und man will sie erschlagen. Sie tritt den Aufständischen ruhig entgegen. 1378 wird sie von Urban VI. nach Rom berufen. Dor* stirbt sie zwei Jahre später.

In ihren Schriften zeigt Katharina Sicherheit und Entschlossenheit und aus der tiefen Überzeugung der Richtigkeit ihrer Anschauungen heraus entwickelt sie eine bis zur Leidenschaft rieh steigernde Wärme und Ursprünglichkeit des Ausdruckes, aber andererseits auch eine solche Freiheit in der Wahl ihrer Ausdrucksformen, daß wir Menschen unserer Zeit oft darüber verblüfft sind und mit Johann Joergensen bezweifeln möchten, ob gewisse Briefe, die Katherina an den Papst gesandt hat, heutzutage im Vatikan noch angenommen würden. So schreibt sie an die drei italienischen Kardinäle, die von

Urban VI. abgefallen waren un3 nennt s?e

„undankbar, feig und käuflich“, „käuflich und erbärmlich“, „närrisch“, „Teufel“, „würdig des Gerichtes“. Dabei möchte sie sich ihrer scharfen Worte wegen entschuldigen, aber es gelingt ihr nicht. „Wenn ich Euch mit Worten steche“, fährt sie fort, „so sollt Ihr's nicht als Härte auffassen ... viel lieber würde ich Euch diese Stiche mit der lebendigen Stimme versetzen.“ Und an Papst Urban VI., den sie unbedingt zu, refor-öiatorischer Tätigkeit - aufrütteln will, hat *ie ernste Worte: „Da ist nicht länger dahin-zuschlafen, sondern ohne jede Nachlässigkeit, mit männlichem Mut zu tun, was an Euch liegt zum Ruhm und zur Ehre Gottes bis zum Tode.“ Oder anderswo an ebendenselben: „Heiliger Vater, Gott hat Euch als Hirten über seine Schafe für die ganze Christenheit gesetzt. Er hat Euch zum Kellner bestellt, damit Ihr über das Blut Christi des Gekreuzigten verfügt, dessen Stellvertreter Ihr seid, und zwar in einer Zeit, in der das Böse bei den Untertanen mehr denn je angestiegen ist, und es ist sowohl am Leibe der heiligen Kirche als auch am Körper der Christenheit überhaupt höchste Zeit. Da ist es für Euch ganz notwendig, daß Ihr mit der Perle der Gerechtigkeit auf der vollkommenen Liebe gegründet stehet, so wie ich gesagt habe: damit Ihr nicjit. auf die Welt und ihre geheimen bösen Künste achtet, noch auf ihre Gemeinheiten, sondern damit Ihr nach Art .eines wahren Ritters und gerechten Hirten, in männlicher Weise zurechtweist, das Laster ausreißt und dafür die Tugend einpflanzt und bereit seid, gegebenenfalls auch das Leben einzusetzen.. Ach, mein guter Vater, helfet dem Übel ab und schafft Erleichterung jenen Dienern Gottes, die das so heiß ersehnen, daß sie dabei fast vergehen und doch nicht sterben können. Sie haben großes Verlangen und erwarten von Euch als ihrem wahren Hirten, daß Ihr Hand anlegt und nicht nur mit Worten ermahnet, sondern mit Hingabe die Leute zur Besserung anhaltet, so daß in Euch die Perle der Gerechtigkeit, verbunden mit der Barmherzigkeit, erglänze und Ihr frei von jeder knechtlichen Furcht jene, die sich an der Brust dieser lieben Mutter nähren, und das Blut zu verwalten haben, zur Rechenschaft zieht, wie es die Wahrheit verlangt..

An den gefeierten Heerführer J. Hawk-wood sendet sie unter anderem nachstehende Botschaft: „Ich bin sehr erstaunt, daß Ihr hierzulande Krieg führen wollt, da Ihr doch, wie ich höre, versprochen habt, die große Überfahrt mitmachen zu wollen, um für Christus zu kämpfen und zu sterben. Das ist nicht jene heilige Vorbereitung, die Gott von einem verlangt, der sich auf die Uberfahrt nach einem so heiligen Lande vorbereitet. Ich glaube, Ihr solltet Euch einem tugendhaften Leben widmen, bis der Tag für uns und für die andern kommt, die ihr Leben für Christus hingeben werden. Auf diese Weise werdet Ihr beweisen, daß Ihr ein Mann und ein echter'Ritter seid.“

Die Berufung auf die Männlichkeit kommt bei Katharina oft vor, aber noch viel häufiger findet man die Begriffe „Feuer“ und „Blut“. Sie weiß vom Feuer der Leidenschaft zu erzählen und will die Menschen vom Feuer der Liebe und des Eifers für die gute Sache ergriffen, durchwärmt, angebrannt, entzündet, durchglüht und durchflammt, durchstrahlt und durch-brannt wissen. „Blut“ aber, das ist ihr Wort. Ohne „Blut“ kann Katharina nicht diktieren. Ihr Blut, das will sie für Christus hingeben. Das Blut Christi aber ist für sie Blut im höheren, wahren Sinn; das ist das Blut schlechthin; das ist für die Phantasie dieser Künstlerin und Heiligen eine unerschöpfliche Quelle fruchtbarster Bilder und Vorstellungen und alle sind sie ungezwungen und lebendig, dann aber wieder leidenschaftlich, kühn und verwegen. „Wer die Wahrheit nicht liebt, der wird auch in der Selbsterkenntnis und in der Erkenntnis des Blutes die Wahrheit nicht finden. Wer die Wahrheit nicht gekannt hat, ist der Freude am Blute und der Güte und der Früchte des Blutes beraubt...“ „Ertrinket im Blute Christi“, ruft sie, „badet im Blute, betrinkt euch mit dem Blute, sättigt euch mit dem Blute, bekleidet euch mit dem Blute. Wäret ihr ungläubig geworden, so taufet euch wieder im Blute; hätte der böse Feind euer geistiges Auge getrübt, wascht es euch mit dem Blute; wäret ihr für die erhaltenen Gaben undankbar geworden, seid dankbar im Blute; wäret ihr ein schlechter Hirt ohne den Stab der mit Klugheit und Milde gewürzten Gerechtigkeit, so greift ihn aus dem Blute heraus; mit dem geistigen Auge wirst du den Stab im Blute sehen und mit der Hand der Liebe wirst du ihn ergreifen

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Hand nehmen.“

Mit wenigen Grundbegriffen und tausend Worten — immer wieder dieselben — vermag diese Frau eine plastische Kunst und eine lebendige Beredsamkeit zu entfalten, die den Leser fesselt und zum Weiterlesen

antreibt. Allerdings gibt es dann aucS

Stellen, wo ihre Bildersprache für den gewöhnlichen Menschen störend wirkt. Doch das sind Störungen, die von der Fülle von gelungenen reizenden Bildern, die uns in ihren Schriften überall begegnen, reichlich übertroffen werden.

DU wenigen angeführten Ausschnitte wollen eine kleine Kostprobe aus dem Ideen-und Kunstschatz Katharinas von Siena sein und uns erinnern, daß sie ein Kind ihrer Zeit ist und die Eigenart ihrer Zeit an sich trägt, darüber hinaus aber ein gottbegnadetes Wesen ist und so erst verstanden werden kann.

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