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Die große Wodie

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„Gib endlich Frieden, ich tu dir schon den Willen!“

Seinem Buben vermag der Leonhard Steinöder schließlich doch nicht zu widerstehen, vor allem heute nicht, am Palmsonntag. Das zweite Jahr geht er nun zur Schule. Dem Leonhard lacht das Herz, wenn er das Kind betrachtet.

Jetzt läuft der Bub zum Kasten. Der Vater ist ja erst halb angezogen und macht sich eben an das Waschen. Da ist ein Handtuch herzurichten und das schöne Gewand herauszulegen. Die guten Schuhe stehen rechts unten, nur leuchten sie nicht recht. Ein feiijier Staub liegt auf dem schwarzen Glanz.

Wie der Hartl zur Bürste greift und Leonhard, der Vater, um die Seife, überkommt es diesen wie ein Erinnern an eine Welt, die weit im Gestern liegt.

So hat er selber in den Kindertagen — doch schon am Samstag Abend — die Schuhe geputzt. So wie sein Hartl freute Such er sich auf das Fest, das ihm der Gang hinein in den hellen Sonntag an der Seite des Vaters bedeutete. Da fingen dann die Bäume und Wiesen, ein jedes Ding fing da zu reden an. Und ob er sdiwieg oder rastlos plapperte, war einerlei. Denn alles hatte eine Mitte an diesem Tag und diese Mitte war in allem, am trautesten freilich in der Nähe des Vaters zu spüren. Er sieht noch heute das dunkle Gewand, er hört noch den ruhigen Schritt, er steht sein Weilchen in der Sonne vor der Kirchentür und findet ebendort nach dem Amt den Mann, mit dem er sich während des Gottesdienstes im Heiligtume eins gewußt. Dann durfte er wohl mit an den Wirtstisch, u|nd das Summen und Brummen der Männeitstimmen im gewölbten Räume, zwischenhinein die klare Rede oder das Scherzwort aus derfl geliebten Munde neben -ihm, kann er aus jenen Sonntagen der Kindheit ebensowenig wegdenken wie das Hochamt und die Predigt des Priesters.

Leonhard reibt sich die Augen und schaut auf seinen Buben. Es wäre gescheiter, diesem heute die Bitte abzuschlagen, instatt gefühlvoller Anwandlungen wegen nachzugeben. Der Kleine ist krank, er gefällt ihm schon die ganze Zeit her nicht.

Der Hartl aber legt eben die Palmzweige auf den Tisch, dazu den grünen Buchsbaum und ein schönes Band. Da stirbt dem Vater das Nein auf den Lippen.

Nur ein Unmensch kann dem Kind die Freude zertreten. Und es scheint, daß er selber halb und halb schon einer ist.

Wieder drängen Bilder der Vergangenheit nach oben, diesmal aber sind ihre Linien schneidend scharf.

Er sieht sich in die Uniform schlüpfen. Damit wollten sie den Leonhard Steinöder auslöse ien. Sie mühten sich redlich darum. „Auf — nieder“ — „Auf — nieder“ — „Auf — nieder“! Über die Öde des Exerzierfeldes hin suchten seine Augen in jenen ersten Tagen nach der plötzlichen Einberufung die Heimat: „Anna, so erziehen wir unseren Buben nicht!“ Ach, sie hatten damals nicht mehr viel mitsammen zu erziehen. Nicht einmal zu einem kurzen Ab-sdniednehmen wollte man ihm Urlaub geben. Dann ging es sogleich ins Feld.

Seither kennt er die Menschen. Seither kennt er auch sich von mehr als einer Seite. Seither kennt er auch Gott auf eine neue Weise, die freilich der Anna nicht behagen will.

Im Schweigen hat er sich diese Kenntnisse gesammelt. Zunächst schwieg er, weil das das einzige war, was man ihm an Rebellion durchgehen ließ. Dann sdiwieg er in einem großen Staunen über alles, was er sah. Schließlich wurde dieses Schweigen sein Kreuz, an dem er blutete, Tag für Tag.

Wejter denkt er nicht. Die Mutter kommt eben aus der Frühmesse. Da machen sich der große und der kleine Hartl auf den Weg. 1

Im j Gehen sind die beiden gleich sonderbar. Sie reden nicht viel und jeder meint, der Grund hiefür liege im andern. Es will keiner die Krankheit in der eigenen Brust verraten.

Vielleicht kommt es dadurch, daß ihnen ein Ereignis während der Prozession mit den geweihten Palmen zum Erlebnis wird. Der Vater nämlich bleibt mit den übrigen Männern in der Kirche, während der Priester mit den Kindern, den Frauen und dem Chore auszieht. Wie dann die Prozession zurückkommt, schlägt der geschäftige Mesner der heiligen Zeremonie wegen jäh die Türe zu. Der Hartl kann mit seinem Buschen gerade noch hinein. Hier steht er nun zitternd und schmiegt sich an den Vater. Dunkel ist es. Da wirken Dinge und Handlungen doppelt geheimnisvoll. Dumpf klingt der Zwiegesang an der verschlossenen Tür, als suchten einander zwei Seelen durch eine Mauer von Steinen.

Der Bub greift nach der Hand des Vaters. Er fiebert, denkt dieser. Eine ungemeine Spannung hält das Kind umfangen. Da öffnet sich das Tor unter den harten Stößen des Kreuzes. Bei dem Schlage durchzuckt es den schmalen Körper, als sei er selbst von dem Stoß getroffen. Wie ein unfaßbares Wunder starrt Hartl die Menge an, die jetzt mit dem strahlenden Lidit des Tages in den Raum hereinbricht.

Da weiß der Vater genug. Er nimmt sein Kind und sie gehen nach Hause.

Des andern Tages holt Leonhard den Arzt. Der macht kein gutes Gesicht.

Anna und ihr Mann kennen die Art dieses Menschen. Er packt die Krankheit mit dem ersten Wort. Oder er geht ihr nach, er muß sie suchen. Dann kann er sich stundenlang an ein Krankenbett setzen und die ganze Welt ringsum vergessen.

Täglich kommt er jetzt zum Steinöder-Buben und täglich bleibt er länger. Es ist wie ein verbissenes Ringen. Er sitzt dort und schließt die Augen, als zwänge er den Blick durch eine sternenlose Nacht.

Am Donnerstag, an dem die Glocken sterben und das Holz ertönt, bleibt er bis in die Dunkelheit. Er hilft dem armen Leib noch gegen das Fieber. Dann sagt er: „Ich fahre in die Stadt. Am Morgen bin ich wieder hier.“ Da wissen die Eltern alles.

Sie tun kein Auge zu.

Immer wieder klagt das Kind in seinen Träumen über eine schwere Last. Langsam kommt ein hochbeladener Wagen hergefahren. Mit starren Augen ruft der Bub um Hilfe. Denn jetzt bridit das Fuder in jähem Falle nieder. Mit Händen und Füßen arbeitet sich der heiße Körper aus den Kissen. So glühend sind die Träume.

Dann wieder ruft der Hartl nach dem Vater: „Komm!“ und „Macht die Tür auf!“ — „Weiter, weit!“

Der junge Tag bringt den Arzt und den Professor aus der Stadt. Die beiden Männer beraten lange. Dann wagen sie ein letztes.

Nun fragt die Mutter, ob sie den Priester rufen solle.

Der Arzt darauf: „Ja, holt ihn bald“.“

Nüchtern hat er aus dem, was er am Krankenlager hier erfahren, für sich festgestellt: der Bub ist ein frommes Kind; er steht vor 9einer ersten Kommunion und bat die Eltern, mit ihm zur Beichte und zum Tisch des Herrn zu gehen; das klare Nein des Vaters hat ihn hart getroffen, auch wenn oder gerade weil es hinter vielerlei Ausflüchten sich verbirgt. Abgöttisch liebt er diesen von der Stunde an, in der er nach Krieg und Gefangenschaft zum ersten Male wieder den Fuß auf sein Gütl gesetzt; aber es ist ein anderer Vater, der ihm nun begegnet als jener, den ihm die Mutter mit dem Erwachen von Herz und

Sinn vor die Seele gezeichnet — sie hat es nicht geahnt, daß sich ein Mensch so verändern könne ... Das mit der Tür muß vom Palmsonntag sein.

Darüber sprechen die beiden Ärzte, während sie den Berg hinuntergehn.

Bald kommt der Priester.

Da geht der Leonhard Steinöder aus dem Zimmer: in das Auge schaun muß man dem Leben und es beim rechten Namen nennen; der aber heißt hier Tod.

Wie im Traume geht er zum Schuppen, der die Streu für die Tiere und den Vorrat an dürrem Holze birgt. Er greift zur Hacke. Er muß etwas tue und er spaltet Scheit um Scheit mit dem scharfen Eisen. Jeder Schlag gibt ihm ein Stück der verlorenen Ruhe wieder.

Indes holt drinnen in der Stube die Mutter das alte Sterbekreuz hervor. „Barmherzigkeit“, betet sie mit dem Kind, „Barmherzigkeit für uns alle“.

Leonhard zeigt sich dem Priester nimmer. Das Holz unter dem Beile singt diesem einen nicht alltäglichen Abschiedsgruß.

Wie er aber nach einiger Zeit in das Zimmer tritt, liegt das Kind in einem tiefen, ruhigen Schlaf.

Am Nachmittag kommt der Arzt. Seine erste Frage geht nach dem Erbrechen.

„Seit jener Stunde erbridit er nicht.“ Die Mutter sagt es. Der Steinöder steht daneben in einem ratlosen Schweigen. Er weiß nicht, soll er lachen oder weinen.

Da sdilägt der Bub die Augen auf und wie aus tiefen Hintergründen blickt den Dreien das neu erwachte Leben entgegen,

Dann sind drei frohe Menschen noch lange Zeit beisammen. Ein großer Friede liegt über allem, die Heiterkeit eines unfaßbaren Glückes.

Endlich treibt es den Mann doch wieder ins Freie.

„Ist etwas zu tun, Mutter?“

„Es ist die große Woche, Leonhard, in der haben wir immer schon am Freitag Feierabend gemacht. Morgen ist ja schon die Auferstehung.“

Damit geht die F^nfa in die Küche. Endlich kann sie hier wieder nach dem rechten sehen.

Dem kleinen Hartl sind die Augen schwer geworden und er hat jetzt auch nichts anderes zu tun, als zu schlafen.

Der große Hartl geht in den Schuppen. Holz gehackt hat er jetzt genug, nun muß er es nur noch in die Küche schaffen. Und er hat dabei Zeit, über vieles nachzudenken.

Ein klarer Abend ist diesem Karfreitag geschenkt, es wird einen schönen Ostertag geben.

Mit einem Birkenbesen fegt der Steinöder noch den Hof, als sie im Tale unten schon das Licht anzünden. Schön macht er es und freut sich im Herzen auf den Tag, an dem ihm der Hartl zum ersten Male dabei helfen wird.

Schön macht er es, so schön, daß am heiligen Samstag der Auferstandene auch durch das Häusl in der Einschiebt hier heroben ziehen könnte.

Und wenn der Pfarrer wirklidi, wie er es dem Buben versprach, seinen Emausgang hier herauf machen will, soll ihm die abgelegene Steinöde seine Osterfreude nicht verderben.

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