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Die heile Welt

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Welch eine Beglückung, wenn das Gedicht nach all den Masken, die man ihm aufzwingt, endlich wieder sein wahres Gesicht zeigt! Wenn es sich wieder seiner ursprünglichen Tugenden erfreuen darf: der bilderformenden, farbenschaffenden Kraft des Wortes, der rhythmisch-melodischen Beseeltheit, der geistigen Konzentration und des gnadenhaften Einfalles, aber auch der schwerelosen Anmut, der Lust, zu spielen, zu lächeln, zu fabulieren. Was kommt einem heute nicht alles, zu Vers und Reim verkrampft, im Kostüm der Originalität vor Augen! Man hat den Eindruck, die Dichter können den Vorsprung der Maler nicht verschmerzen, die sich längst in eine Sphäre absoluter Unverbindlichkeit davongemacht haben, um dort — zu marktbeherrschenden Cliquen geeint — ihre privaten Allotria zu treiben. Die Dichter scheinen sie zu beneiden und sie versuchen, es ihnen gleichzutun; aber die Sprache ist ein heikleres Werkzeug als der Pinsel, und schneller als dieser verrät sie, daß sich hier der Mangel die Allüren des Überflusses anmaßt.

Bergengruens Gedicht aber ist das legitime Kind des Überflusses. Dieser besteht in der wahrhaft die ganze Schöpfung umfassenden Phantasie des Dichters, zugleich aber in seiner Menschlichkeit, der es geschenkt ist, bei den Engeln ebenso heimisch zu sein wie bei Salamandern und Undinen, in der Schwermut ebenso wie in der Zuversicht. In dieser aber heimischer als in jener:

.... niemand kann die Welt verwunden, nur die Schale wird geritzt. Tief im innersten der Ringe ruht ihr Kern getrost und heil.“

In diesen 158 Gedichten (145 Titel) kommt statt des heute Mode gewordenen Angsthabens die Getrostheit eines Christenmenschen zu Wort. Nicht, daß der etwa um Vergänglichkeit, Vergeblichkeit, Ängstigung, Bedrohtsein — und wie die Schatten des Todes alle heißen mögen — nicht wüßte; er kennt sie vielleicht besser als die Ausschreier höllischer Schaubuden — aber er weiß auch um das Gegenstück: das ewige Leben.

Es trifft durchaus zu, was der Verlag auf den Umschlag druckt — daß nämlich die Vielfalt und Gefühlstiefe dieser Gedichte in der zeitgenössischen deutschen Literatur kaum ihresgleichen haben; nur darf man unter Gefühlstiefe nicht jene triefende Empfindsam-keit verstehen, mit der oft Gedichte Männer als Leser abschrecken. Hier ist unter Gefühlstiefe die Macht des Dichters zu begreifen, den Dingen der Natur und des Lebens sich einzusenken wie mit Wurzeln des eigenen Wesens. Dazu ist nicht Sentimentalität imstande, sondern das von Geistesgegenwart durchhellte Gefühl, und so ist das erste, was uns aus diesen Gedichten entgegentritt, eine klare, freudige Morgenhelle. Auch den Nacht-und Dämmergedichten verleiht Bergengruens genau hintreffendes Wort Durchsichtigkeit und deutliche Zeichnung; an den Versen der Schwermut und der Verlassenheit, an denen des ruhelosen Gehetztseins aber wird am schönsten sichtbar, daß Gestaltung zugleich Überwindung ist.

In vielen Gedichten ist eine mystische Glut wirksam, der es gelingt, das Obere und das Untere in licht- und schattenreiche Bilder zu verschmelzen. Zwei Bedingungen aber bestimmen vor allem dieses Dichtwerk: die baltische Herkunft des Dichters und seine Liebe zur mediterranen Welt. Zwischen den beiden Polen herrscht einige Spannung, die nur ein wahrhaft europäischer Geist im Gedichte auszutragen imstande ist. Eine Sprachbegabung hohen Ranges ist vonnöten, um so Gegensätzliches wie Birke und Weinstock, die Wälder des Nordens und die italienische Felsenküste, Riga und Rom gleich überzeugend ins Leben zu rufen, wie es in diesen Gedichten Schritt auf Tritt gelingt. Die Handhabung der Versformen und Reirnfolgen ist die des wirklichen Meisters; die rhythmische Schmiegsamkeit des Verses ist von größter Musikalität, die Wortmelodie oft von hinreißender Schönheit. Die Phantasie, die hier am Werke ist, beutelt mitunter eine solche Fülle von Assoziationen aus dem Sack, daß die Strophen Mühe haben, den Reichtum zu fassen, und in ein atemloses Aufzählen geraten wie etwa in .Lobgesang und Lobrauch“:

... lobt dich das Seufzen und Säuseln der .Äolsharfen im Garten und das Flüstern der Luft in Blättern, Drähten, Standarten, lobt dich zur Heuzeit das schmetternde Sen-: sengedengel,

lobt dich das Flügelrauschen der Adler, der

Greifen, der Engel... lobt dich der riesigen Städte verworfener

Brodem

und der Gemsen, der Kinder, der Feldmäuse reinlicher Odem ...“

Nur ein Dichter vom Range Bergengruens vermag solche Litaneien in echter Schöpferfreude und mit jener Intensität des Gefühls durchzuhalten, die den Hörer oder Leser zwingt, Bild um Bild in sich nachzuverwirk-lichen und so den Kreis einander unverwandter Dinge erstaunend auszuschreiten, in welchem der Dichter von Sphäre zu Sphäre geheime Verwandtschaft gefühlt hat.

Welcher Zartheit das Bergengruensche Gedicht fähig ist, sollen die beiden Strophen .Sterne im Winter“ zeigen:

Niemand weiß, wo ihr Nest sie bereiten.

Schimmernde Vögel, Jahrtausende lang,

ohne Beginnen und ohne Vergang,

ziehn sie gelassen durch blauschwarze Weiten.

Einer ließ zu flüchtiger Rast

auf der erstarrten Buche sich nieder.

Unter dem atmenden Silbergefieder

bebte leis der bestrahlte Ast.

Es ist nidit die Zartheit des Gemüts, sondern die gefestigtere des Geistes und der Anschauung; es ist aber auch die Frömmigkeit des Geistes vor den Bildern der Schöpfung.

Durch das ganze Buch weht ein Wind der Wanderschaft, nirgends ist der Dichter so ganz zu Hause, oder besser: er ist überall zu Hause, wo sein weltfrommer Blick hinfällt, und wenn es auch Orte auf dieser Welt gibt, die er besonders liebt — er nennt die Städte Riga, Kiew und Rom —, so ist seine wahre Heimat doch die Katholizität des Geistes und die Gewißheit, geborgen zu sein in Gottes Hand.

Diese Gewißheit ist auch der Boden, auf dem das selten gewordene Kraut wächst, das Kraut Humor, das gegen so vieles erschaffen ist, wogegen sonst nichts hilft.

Berufeneren Händen bleibt es vorbehalten, die einzelnen Stücke dieser Sammlung genauer zu befühlen, sie zu wägen, jedes für sich und dann alle gegeneinander: zu ertasten, ob in diesem mehr das Empfinden oder der Verstand, in jenem mehr die spielende Phantasie oder der unverhoffte Einfall, im dritten mehr der überwundene Schmerz oder die gottgeschenkte Heiterkeit am Werke waren. Jenen berufeneren Händen muß es auch überlassen bleiben, Bergengruens lyrisches Werk, das nun meines Wissens aus fünf Gedichtbänden besteht', in die deutsche Lyrik unserer Zeit einzuordnen und — an dieser gemessen — ihren Rang zu bestimmen. Für einen, den die Gabe erfreut wie sonst eine freundliche Begegnung im Leben, sind derlei Fragen nicht besonders wichtig.

Eine Notiz wie diese kann überdies keine literaturwissenschaftliche Untersuchung, sie soll nur ein Hinweis auf die erstaunliche und tiefbeglückende Tatsache sein, daß audi mitten in der Wüste unserer Tage der reine Quell entspringt, wenn der rechte Moses gegen den Felsen schlägt.

1 Die heil Welt ' Die verborgene Frucht / Die Rote von Jericho / Zauber- und Segenssprüche / Dies irae — alle im Verlag der Arche, Zürich.

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