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Die Heimkehr

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Wie scheue, Vögel mit zitternden Flügeln Umfängt uns einst alle des Meisters Hand,

Die wenigen, die ihn schon früh erkannt,

Die vielen, die spät sich ihm zugewandt.

Und manchen wohl, der ihn auch dann nicht fand Mit all' seinem Grübeln und Klügeln.

Denn einmal, da kommt uns vom Schattenland Der heimliche Bote ins Haus gesandt,

Begehrt nichts zu wissen von Art und Stand Und bettet uns lächelnd in Gottes Hand Wie scheue Vögel mit zitternden Flügeln.

@@@dies heute verblauen wollten. Wer aber darf es wagen, die Menschheit — auch die Zeitgenossen — so weithin als ein Bündel schwach- un,d schlechtsinniger Narren, Verbrecher, Lügner und Mörder darzustellen, wie Haecker es nicht ein-, sondern ein dutzendmal gewagt, gesagt, getan hat?

Ein Held? Ein Heiliger? Ein Vermessener? Doch wohl auf jeden Fall nur einer, der im Auftrag einer Sendung, einer höheren Mission steht: ein Gottesknecht, ein Prophet, der die Geißel des Wortes über das Fleisch der Brüder schwingt, weil er selbst aufs tiefste verletzt ist durch den „Pfahl im eigenen Fleische“. Wer mit anderen ins Gericht geht, muß zuerst — und immer wieder — und zu allerletzt noch einmal über sich selbst zu Gericht sitzen. Dies tut Haecker in seinem letzten Werk „D e r Buckel Kierkegaard s“. Es kann nur verstanden werden als das Selbstgespräch eines Gezeichneten über sein Stigma, über das Zeichen, welches zugleich Mal der Ausscheidung, der Schande und der einzigartigen Begnadung ist. Haecker ist tief erschüttert, als er 1937 aus einer dänischen Publikation über Kierkegaard erfährt, daß dieser schief, verwachsen, bucklig war. Ha, da haben wir’s: so schreien die moderne Psychologie und Psychoanalyse, der Biologismus der Ärzte, die Milieuforschung der Naturwissenschafter und Soziologen. Der erbitterte Lebenskampf Kierkegaards gegen sein Zeitalter, was ist er anderes als die Giftspritze ohnmächtigen Ressentiments eines neurotischen, hysterischen Buchligen, der alle Welt schief sieht, weil er selbst schief gewachsen ist! Haecker muß sich vom ersten Augenblick an selbst getroffen gefühlt haben: war er selbst doch ebenso wie Kierkegaard ein Gezeichneter: „Der Mann mit der zerbrochenen Nase“, der, aus einer protestantischen Welt Schwabens kommend, in die altblühenden Gefilde des katholischen deutschen Kosmos einbrach, zeitlebens ein Außenseiter blieb, ein Einsamer ... Auch deshalb die Wucht seiner Angriffe, seiner Polemik: ein Rufen, ein Schreien, das aus einer tiefen Ferne kommt und in eine große Ferne eintaucht — echtes Echo wird lange ausbleiben ...

Wie verteidigt Haecker „Kierkegaard", sich selbst? Gar nicht; er zeigt vielmehr in einer Offenheit und Zartheit, welche erschütternd wirken, die Wunden auf. Hier gibt es nichts zu bagatellisieren. „Das Geheimnis des Leibes ist groß“ (S. 72). Kierkegaard leidet tatsächlich schwer an seinem Leib, an seinem Buchei: „Man muß es sagen: er wurde damit zuweilen nicht ganz fertig und dieser Pfahl im Fleisch zerriß auch sein Denken.“ Daher die tiefe Schwermut, welche das ganze Leben und geistige Ringen, das Gesamtwerk Kierkegaards-I aeckers überschattet (S. 80 ff.). „Es hat ihn zwar mit den Jahren weniger geplagt, aber er mußte doch immer wieder daraufstarren, von der Erinnerung heimgesucht. Der Kampf hatte wehe Wunden, die schwer vernarbten, hinterlassen, hatte ihn reizbar gemacht, beinahe rachsüchtig, ihn vor allem der Leidenschaft der Menschenverachtung ausgeliefert, nicht des Menschenhasses, das dürfen wir ihm glauben, aber Menschenverachtung ist auch keine christliche Haltung" (S. 88/9).

Confessio. Letztes Bekenntnis. Ja, jawohl: der „Buckel", der nur Symbol, rechtsgültiges Zeichen des Pfahls im Fleische ist, der äußerlich oder innerlich, verborgen oder unverborgen allen Propheten, allen Zeugen des Wortes vom Alten Bund bis zu Klerke- gaard-Haecker eingebrannt ist, er ist ein Mal der Schande, der Schuld, zumindest steter Versuchung. Er gefährdet die gesamte seelische und geistige Existenz seines Trägers aufs äußerste, eben weil er ständig Wunde, letztes Offensein schafft: er stellt eben deshalb die Frage der „Existenz“ des Einzig-einzelnen,der unrettbar seinem Schicksal verhaftet ist, weit in den Vordergrund vor' alle anderen Fragen dieser und jener Welt. Damit ist aber — für den Menschen, der in einem Verhältnis zu Gott steht, für den Christen, erst ein Anfang, nicht ein Ende gesetzt: es kommt darauf an, was Paulus, Kierkegaard und Haėcker mit ihrem Pfahl im Fleische machen ... Täglich, stündlich setzt sie der „Buckel“ in die Situation der Enscheidurtg, zwingt sie zur Verantwortung, zu seiner Annahme und damit zur Annahme der Gnade oder der Verfluchung. Ungeheure Kräfte weckt er in seinen Trägern — durch die Spannung, die er ständig, einfach durch seine Existenz, durch sein Dasein, in ihnen wirkt. Wir wissen, welche Energien der Hölle ein Meister der Lüger, in allem und jedem ein

Gegenspieler Haeckers, in unseren Tagen aus seinem „Gezeichnetsein“ geschöpft hat: dieser kam aus kernsattem katholischem Kultur- und Seelenraum und humpelte ins Verderben... Haecker aber kam von der anderen Seite her und ging festen, starken Schritts seinen Weg: einen Weg, der ihn, wie er in diesem seinen letzten Werk bekennt, in zahlreiche Versuchungen geführt hat — denen er als Mensch zum Teil erlegen ist, B r u d e r M e n s c h —, die er aber überwunden und besiegt hat. Der Christ— und Haecker zeigt dies an seinem „Kierkegaard“ neuerlich auf, wird nur als Geschlagener Sieger — durch die Annahme seiner Schuld: sein „Buckel“ ist eine schreckliche, furchtbare Angelegenheit — er ist so groß, daß er alle Welt, alle Umwelt zu überfinstern droht. Dann strömen schwarze Ströme der Galle, des Hasses, der Bitterkeit von ihm aus. Freiwillig angenommen, mit Gottes Kraft ertragen, wird er jedoch zum Berg der Gnade: Lieh t, Erleuchtung für viele Tausend Seelen, welche im Dunkel wohnen, strahlt nun von ihm aus. Damit aber enthüllt sich der „Buckel“ des Kierkegaard und des Theodor Haecker endlich als das, was er wirklich ist. Konkrete irdische existentielle leib- und lebenshafte Manifestation des größten Schand- und Gnadenmales der Weltgeschichte, des Kreuzes.

Großes Zeichen über unserer Zeit: die Gesandtschaft dieser beiden „Buckligen“: Kierkegaard und Haecker.

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