Die heimliche Parole: doch noch

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Leopold Federmair lässt in seinem eben erschienenen Roman einen bunten Fisch an Land gehen - und plötzlich werden Träume wieder lebendig.

Die einstigen Aufbrüche der mittlerweile in die Jahre gekommenen Protestgeneration sind in den gesellschaftlichen Verwerfungen des Neoliberalismus und der technologischen Revolution radikal zerbröselt. Der Abschied vom bürgerlichen Individuum ist in der Virtualität des Cyberspace ebenso pervertiert Realität geworden wie die Abschaffung des Geldes in den Zahlencodes des Onlinebanking und das Konzept der freien Liebe in den Pornosites. Leopold Federmairs neuer Roman zeichnet eine Art Porträt dieser Generation, die er im Zeichen des "doch noch" liest: "Alle schließen das Studium doch noch ab, bekommen doch noch ein Kind, bauen doch noch ein Haus, kaufen sich doch noch einen Anzug, ein Kostüm. Doch noch, das war die heimliche Parole."

Verbürgerlichte Existenz

Von den propagierten neuen Lebensformen ist die Wohn-bzw. Hausgemeinschaft einer Gruppe von mehr oder minder verbürgerlichten Menschen übrig geblieben; der Enthusiasmus und die Rituale der wg-Zeiten haben sich längst verloren, die Gründermythen sind in weite Fernen gerückt und von der Ernüchterung spricht man nicht. So lebt man praktisch organisiert und mittlerweile mit ansprechendem Hausrat aus edlen, biologisch unbedenklichen Materialien umgeben aneinander vorbei wie in den konventionellen Familien auch, gegen deren Enge und Stupidität man einst angetreten war: Rosa ist Lehrerin und lebt in langjähriger Wochenend-Lebensgemeinschaft, Evelyn arbeitet als Krankenpflegerin und ist Mutter der kleinen Rigoberta, Konrad, der Zuckerbäcker, hat sich komplett in die virtuelle Welt zurückgezogen und geht dort krausen Theorien und Geschäften nach. Und Jasmin macht als Journalistin auf schicke Karrierefrau, trauert ihrem in Südamerika verschollenen Jugendfreund nach und will von ihrem afrikanischen Studienkollegen Mustafa nichts mehr wissen.

Die metaphysischen wie lebenspraktischen Leerstellen, die all die unerfüllten und enttäuschten Aufbruchshoffnungen zurückgelassen haben, sind gravierend. "Auch in den Wohngemeinschaften hat sich die Wehmut eingenistet, in diesen Raststätten einer besseren Zeit." Geht hier ein bunter Fisch an Land, sind emotionale Eruptionen vorprogrammiert. Der Fisch heißt Kave, gibt sich als geheimnisvoller Staatenloser, lebt so untätig und kontemplativ in den Tag hinein, wie man es sich für das eigene Leben einst vorgenommen hatte, und sondert poetische Sprüche und Lebensweisheiten ab. Und alle, alle springen darauf an, jeder auf seine Weise. Träume werden plötzlich wieder lebendig, Dämme brechen auf und alte Wunden, "alles, was uns in diesen Wochen, die uns wie Jahre vorkommen, zugefallen ist, haben wir von ihm. Wir wurden beschenkt von einem Gast mit leeren Händen", lautet eines der Resümees. Mit ihm gemeinsam kann die nahe Aulandschaft zum Dschungel werden, in dem der Schrei der Affen ganz natürlich klingt. Er stellt seine Phantasie in den Dienst des jeweiligen Gegenüber, hört zu und bildet eine ideale Projektionsfläche für alle Wünsche und Sehnsüchte. Kave entdeckt in den verborgenen Winkeln der Zimmer und Regale jahrzehntelang vergessene Gegenstände und erweckt mit ihnen die Vergangenheit zu neuem Leben. Das Entbergen des Verschütteten bedient sich erzähltechnisch einer Verräumlichung der Altlasten und verlorenen Träume, die das ganze Haus zum Erinnerungsraum werden lässt. Der mögliche abschließende Eklat mit dem Volksgericht der Frauen, die er alle betört hat, findet nicht zufällig hinter einer Falltür im verborgenen Keller statt.

Geheimnisvoller Fremder

Federmair legt die Geschichte vom geheimnisvollen Fremden recht klassisch an: Wir bekommen ihn nacheinander aus der Perspektive der einzelnen Wohngemeinschaftsbewohner zu sehen und ihn selbst nie zu fassen. Jeder erzählt seine Geschichte und verschweigt oder verrätselt dabei oft mehr als er deutlich macht. Alles, was wir erfahren, erfahren wir aus den wechselnden Figurenperspektiven, und so ist nichts gesichert, vieles bleibt bildhaft, verschwimmt zwischen den widersprüchlichen Figurenberichten, denn "das ist eine schlechte Ehe: das Gedächtnis und die Fakten". Auch Kaves Ende oder auch nur Verschwinden bleibt dunkel. Fast will der Bericht des Kindes am rationalsten erscheinen. Rigoberta lässt sich am natürlichsten von Kaves Phantasieleistungen und seiner unkonventionellen Art betören - ein latenter Kindesmissbrauch wird von der Mutter in den Raum gestellt, aber nicht weiter geahndet. Auch sprachlich überzeugt Rigobertas Bericht mit einem ganz eigenen Ton, der der Perspektive des Kindes ebenso gerecht wird wie der Bezauberung durch den poetischen Lebensentwurf des Luftmenschen Kave, dem der Autor eine Jugendfreundschaft mit André Heller zuschreibt.

Verstörende Lyrik

"Ein Fisch geht an Land" - der Titel entstammt einem Dichtungsversuch Rigobertas - erinnert mit den strukturell relevanten Lyrikeinlagen fast an das romantische Konzept des Gesamtkunstwerks. Die Verse, die Kave jeweils nach sorgfältig inszenierten Momenten der schöpferischen Kreativität von sich gibt, heben oft wie Kinder-oder Nonsensverse an, um dann irgendwie zu verrutschen und die Erwachsenen zu verstören wie ein unbewältigtes Selbstfindungsseminar. Kave als Mario der Zauberer wirkt wie Lakmuspapier; er setzt Prozesse in Gang, die die Gefühlshaushalte der Hausgenossen ordentlich aufmischen und die Figuren in ihrer Lebenskrise kenntlich machen.

Ein Fisch geht an Land

Roman von Leopold Federmair

Otto Müller Verlag, Salzburg 2006

172 Seiten, geb., e 18,00

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