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Die Hoffnung auf das Böse

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Jeder Kriminalroman lebt von jener alten theologischen Weisheit, daß nichts so bedrohlich ist, so übermächtig, wie das Namenlose. Was aber einen Namen hat, ein Gesicht, eine Gestalt, das ist gebändigt, humanisiert. Das gilt vor allem für das Heilige. Daß Gott im Alten Testament so namensscheu ist, im Neuen aber einen Namen und eine Biographie hat, sich verkörpert, das ist gewissermaßen die erste scheue Säkularisierung Gottes. Was für das Heilige gilt, gilt auch für das Böse. Das definierte Böse ist zwar noch immer böse, aber es ist umgänglich. Es ist eingeordnet in einen Kontext: sei er theologisch - wie bei Augustin, oder therapeutisch - wie bei Freud, oder politisch - wie bei Marx, oder biologisch - wie bei Hitler. Weltbilder haben immer auch die Funktion, dem Bösen einen Ort zuzuweisen und es damit zu sozialisieren. Mit dem Verlust all unserer Weltbilder, sowohl der religiösen als auch der aufklärerischen, haben wir unsere Macht über das Böse verloren. Der Bann unserer Begrifflichkeit ist gebrochen. Das Böse ist entfesselt. Seit dem Fall des letzten großen imperialen Weltbildes, des Kommunismus, wissen wir nicht mehr was gut und böse ist. Denn nicht nur für sich definierten Hitler und Stalin, was gut und böse sei, sondern auch, negativ, für uns. Solange es sie gab, wußten auch wir, was gut und was böse ist. Nun müssen wir uns dieser Frage wieder stellen: nackt und bloß.

Die Aufklärung lebte von der 1 loff-nung, der Welt ihre Geheimnisse und

Mit dem Verlust unserer Weltbilder haben wir auch die Macht über das

Böse verloren. Dem entfesselten Bösen müssen wir uns nun nackt und bloß stellen. damit auch ihre Gefahren entreißen zu können. Alles, auch das Böse, sollte menschlich und damit harmlos sein. Menschlich wurde es, wie wir wissen, sehr wohl, aber keineswegs harmlos. Gerade die Banalisierung des Bösen machte es zur Weltmacht.

Daß die Aufklärung zudem in einem „Mythos des 20. Jahrhunderts” ihre Vollendung finden würde, dokumentiert ihre böse Dialektik. Alles schien - zumindest prinzipiell — geklärt. Bis die Rauchfahnen wieder aufstiegen: nicht mehr von den Altären, auf denen die Rauchopfer einst gefeiert wurden, sondern aus den Gasöfen von Auschwitz. Die alten ungebändigten Mythen, mißachtet und verachtet, sind wieder da, und alle Versuche, sie in harmlose Vemünftigkeit zu übersetzen, scheitern.

Der Mythos ist - und das bedeutet ja seine Herausforderung an alle Vernunft - verrückt. Er zehrt zwar von den sozialstrukturellen und geschichtlichen Veränderungen, aber er mischt sie auf, unterwirft sie seinem eigenen, ganz und gar nicht aufklärerischen Gesetz. Da gab es den Anspruch der Aufklärung auf individuelle Selbstverwirklichung und Vollendung. Der Mensch sollte zu sich kommen. Das ist er auch, und jetzt graut ihm. Prozesse der Individualisierung haben zum Zerfall von Institutionen und Bindungen geführt. Sie haben die Individuen in die Anomie entlassen, ihre Sehnsucht nach Sinn nicht gestillt, sondern sie süchtig werden lassen. Im 20. Jahrhundert ist gerade der aufgeklärte Mensch zum Amokläufer geworden.

Dieser von Hannah Arendt beschriebene Tatbestand erinnert bezeichnenderweise an die Individualisierungsthese des Münchener Gesellschaftstheoretikers Ulrich Beck, allerdings mit durchaus konträren Implikationen. Für Hannah Arendt begründet die Individualisierung den Weg in die totalitäre Entfesselung.

Für Beck begründetsieden Weg in die befreite Gesellschaft.

Die Antwort des Totalitaris-mus auf die aufgeklärte Gesellschaft besteht eben gerade nicht darin, neuen Sinn zu vermitteln, sondern neue Loyalitäten. Sowohl für den russischen wie den italienischen wie auch den deutschen Totalitarismus war der Rückgriff auf Loyalitat als identitäts-stiftende Selbstdefinition von entscheidender Bedeutung. Auch hier zeigt Hannah Arendt, wie inhaltslos -und wer das berühmte Buch „Die Zerstörung der Vernunft” von Georg Lukäcs gelesen hat, wird auch sagen können: wie geistlos - totalitäre Bewegungen sind. Sie sind I Ieimat, nicht Inhalt. Die Geste ersetzt den Gedanken. Ob Reichsparteitag in Nürnberg, Erster Mai in Moskau oder Love Parade in Rerlin, die Verschmelzung aller mit allen schafft die totalitäre Identität. Nicht das Gespräch, die Bindung an den Nächsten, sondern die ästhetische Abstraktion schafft den Mythos der Gemeinsamkeit. Die Ideologien des 20. Jahrhunderts, die sich so gerne auf das Rationale berufen, sind auch ihr Gegenteil: Sie sind archaische und blinde Gefolgschaft. Die Prozesse der Individualisierung schaffen auch ihr Gegenteil: Sie bringen nämlich jenen hündischen Konformismus, den der Total itarismus für seine Zwecke braucht, hervor.

Dieses Denken zielt auf Apokalypse. Es ist getragen von der Hoffnung auf das Gute, das durch das Böse erst möglich wird. Daß Hoffnung ihre Quelle in der Verzweiflung, daß Wahrheit ihre Quelle in der Lüge habe, das ist dialektisch, das ist apokalyptisch gedacht. Dialektisches Denken ist mythisches Denken. Und nur im mythischen Denken hat das Böse einen Platz. Die Welt läßt sich theoretisch oder mythisch erklären, aber Theorien und Mythen sind nicht kommensurabel. Sie sprechen eine andere Sprache, sie haben sich schon lange voneinander getrennt. Auf der einen Seite die luzide Hilflosigkeit, auf der anderen Seite die dunkle Macht. Theoretisch läßt sich das Böse nicht erklären. „Durch Tod zum Leben”, „durch Lüge zur Wahrheit” ist keine wissenschaftliche, aber durchaus eine mythische Wahrheit. Gut und Böse sind dort eine dialektische Einheit.

Wenn die Apokalypse die Vollendung des Bösen ist, wenn die apokalyptischen Reiter alles verseucht, verbrannt, verwüstet haben, dann und nur dann kommt die Erlösung. Erst wenn der läppische Alltag, das Sinnlose, das Banale, im Purgatori-um des Bösen verbrannt ist, entsteht jäher Sinn. Auch in unserer, der vordergründig so säkularisierten Welt, wird das Böse zunehmend zur Rettung vor dem Banalen. Denn auch die für die Aufklärung charakteristische Phantasie der Revolution ist apokalyptisch gedacht. Auch in der Revolution setzt das Gute, um zu sich zu kommen, auf das Böse. Auch wir setzen, so scheint es, mehr denn je und täglich mehr auf das Böse als unser Prinzip Hoffnung.

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