6536991-1946_21_03.jpg
Digital In Arbeit

Die iberischen Ratsel

Werbung
Werbung
Werbung

In ihrer Aprilnummer veröffentlicht die Londoner Zeitschrift „The Nineteenth Century and after“ eine Untersuchung, „Spain 1946“, in der sich der Verfasser, E. G. de C a u, x, merklich bemüht, das durch viel Parteiung und Polemik verwirrte und oft bedrohlich erscheinende Bild der Lage und Aussichten Spaniens in objektive Beleuchtung zu stellen. Die genannte Londoner Revue, die 1877 von James Knowles gegründet wurde, und gegenwärtig noch mit dem etwas altmodisch erscheinenden Titelblatt: Die Weltkugel und die Überschrift „For thinkers the World over“, „Für Denkende in aller Welt“, erscheint, zählt heute zu den angesehensten und ältesten Zeitschriften Europas.

Die iberische Halbinsel ist heute zu stark abgeschlossen, als daß man aus der Ferne leicht ein sicheres Urteil über die dortigen Zustände formen könnte. So ist es willkommen, eine beachtliche Stimme des Auslandes zu hören, die inmitten der leidenschaftlichen Auseinandersetzungen über Spanien eine gewisse ruhige Unparteilichkeit bewahrt.

Der englische Verfasser beschreibt zunächst den Eindruck, den er von einer Reise nach Spanien mitbringt: „Der Engländer, so blasiert er auch sein mag, der in diesen Tagen nach Madrid kommt, blickt mit Erstaunen um sich: die Lebensmittelgeschäfte, die Schneider und die Eisenhändler ziehen ihn wie ein Magnet an. Hier findet er alle Bequemlichkeit, die er fast vergessen hatte. Flaschenreihen mit jeder erdenklichen Art von Getränken, Massen von Kleidern bis zur Decke aufgestockt, Metallwaren jeglicher Art, Seidenhemden, Socken, Lederwaren, Radios machen sich gegenseitig den Rang strittig. Die schimmernde Linie von Automobilen erstaunt ihn; das nie zu Ende scheinende Menu in seinem Hotel erfüllt ihn fast mit Widerwillen.

Würde er das Madrid des Bürgerkrieges gekannt haben, sein Erstaunen über diese Änderung würde mit einem gewissen Maß von wirklicher Bewunderung gekoppelt sein für dieses Volk, das einer solchen Gesundung fähig ist. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, ist Madrid mehr als eine Vorkriegsstadt, es ist die erste Nachkriegserscheinung, denn Spanien war das erste Land, das die verchiedenien Phasen von Zerstörung, Tod, Hunger und Seuchen (wozu noch eine gewisse Demoralisation kommt und ein Haß, den Gott England erspart hat) mitgemacht hat, die das Los so vieler Staaten auf unserem in Kriegszuckungen sich windenden Planeten waren. Man vergleiche die eine Million Tote des spanischen Bürgerkrieges der Jahre 1936 bis 1939 mit den 300.000 Gefallenen “der britischen Streitkräfte von 1939 bis 1945; man stelle in Rechnung den offensichtlichen Ausdruck der Vitalität im heutigen Spanien und man wird ein gewisses Maß für seine Gesundung haben.

Vor sieben Jahren war Spanien in derselben verzweifelten Lage wie viele europäische Länder es heute sind. Die Schatzkammer des Staates war leer, die Transportmittel in einem unbeschreiblichen Zustand, die öffentliche Verwaltung desorganisiert, Hungersnot herrschte. Nur das Volk, seine Hände und Gehirne, standen zwischen Spanien und dem vollkommenen Unglück und Ruin. Sie haben eine kolossale Anstrengung gemacht. Abgesehen davon, daß der Weltkrieg die Entwicklung des Handels hinderte und normale wirtschaftliche Verbindungen unmöglich machte, abgesehen von der Notwendigkeit, die Schulden an Deutschland und Italien für ihre Hilfe während des Bürgerkrieges abzuzahlen, abgesehen von der Masse der Gefängnisse, die mit Republikanern angefüllt waren, begann Spanien langsam, fast von dem Moment an, wo der Krieg zu Ende war, sich wieder zu beleben und schritt von Stärke zu Stärke. Hat diese übermenschliche Anstrengung, die dazu nötig war, es erschöpft? Viele glauben, daß sich Anzeichen dafür zeigen. Andere aber bringen vor, daß die Schwierigkeiten, die in der Zukunft liegen, nicht so groß sein können wie die Hindernisse, die schon überwunden wurden und Spanien leidet mehr von einer falschen Verwendung ihrer schwer ins Gewicht fallenden Vorräte als vom Mangel an diesen. Man bemerkt wirklich keine Kriegserschöpfung in Spanien. Die Spanier bleiben dieselben widerstandsfähigen Menschen, obwohl unter der Oberfläche viel Härte für das Individuum besteht und die ganze innere Situation furchtbar kopfschwer erscheint. Ohne Zweifel sieht Spanien einer Krise in seinem Schicksal entgegen. Aber wenn es um die Gestaltung der Zukunft gehe“ — urteilt der englische Autor —, „dann sei es die alles überschattende Angst vieler Spanier, daß auf irgendeine Weise die Schrecken des Bürgerkrieges zurückkommen würden. ,Sollte das Schlimmste eintreten', sagte jüngst ein Spanier, der auf der republikanischen Seite steht und von Franco ins Gefängnis geworfen wurde, ,müßte ich für Franco kämpfen, denn nach dem, was ich gesehen habe, ziehe ich dem Mord in Unordnung den Mord in Ordnung vor.' So sieht in der letzten Analyse die tragische Gewissensspaltung aus, in die liberale Spanier sich hineingedrängt sehen. Ist kein Weg herauszufinden?“

Als Antwort auf diese Frage glaubt der englische Beurteiler sagen zu können, daß das Regime des Generals Franco auf dem Wege zur Restauration der Monarchie sei. „Bei verschiedenen Gelegenheiten habe General Franco klar ausgedrückt, daß er, wenn die Zeit gekommen sei, kein Hindernis für die Restauration sein werde. Diese werde das Instrument einer Versöhnung sein können, die auch unter den republikanischen Flüchtlingen in Frankreich schon lange Zeit früher, im Jahre 1940, aL wünschenswert empfunden wurde. Sogar Miguel Maura, der frühere erste Innenminister der Republik, habe in einem Manifest, welches in Frankreich am Beginn des letzten Jahres gedruckt wurde, sich bereit gezeigt, einer Restauration unter einer liberalen Verfassung zuzustimmen. Auch der Expräsident Don Manuel A z a n a stimmte zu. Aber die Verhandlungen in Rom, wo damals Don Alfouso seinen Sitz hatte, wurden durch den Zusammenbruch Frankreichs unterbrochen, bevor Maura ein nennenswertes Ergebnis erzielen konnte. Damals würde“ — sagt der englische Beobachter — „der günstigste Moment für eine Versöhnung gewesen sein, da seit dieser Zeit die Situation durch die grausame Säuberung, die General Franco in den Jahren nach seinem Sieg durchgeführt hatte, verschärft wurde. Nicht zuletzt durch die Tatsache, so erklärt Maura, daß gegen diese Maßnahmen kein Protest von Seiten Alfon-sos ausgelöst wurde, der, wenn er zur Regierung käme, König aller Spanier sein würde. Trotzdem scheine die Restauration der Monarchie in Spanien die versprechendste Möglichkeit der Annäherung zu einer friedlichen Umformung des gegenwärtigen Regimes zu einem Spanien, das seinen Platz in der UNO beanspruchen könnte, zu bieten.“

Doch de Caux ist der Überzeugung, „daß nicht Franco den unmittelbaren Übergang zur Restauration herbeiführen könne; würde diese etwa durch einen Staatsstreich erfolgen, so könne Don Juan als Nachfolger König Alfons nicht die Anerkennung durch die neue Weltorganisation der UNO finden, da alle Staaten einst ja die Republik anerkannt hatten. Erforderlich sei also eine Volksabstimmung. Bei der derzeitigen Lage könne man freilich nicht sehen, wie eine unbeeinflußte Wahl in irgendeiner Weise ohne Überwachung oder Intervention von außen vor sich gehen könnte, die General Franco außerdem sehr gut zurückweisen könne, indem er vorbringe, daß Spanien nicht Griechenland sei. Aber auch ein Referendum oder eine Volksabstimmung über eine Restauration würde den Fall nicht klären. Die Republik, die zur Zeit der Erhebung des Generals Franco durch alle Mächte anerkannt war, kann einen Rechtstitel für ihre Kandidatur vorbringen, wenn eine allgemeine nationale Befragung aufgerufen wird.“ Der englische Beurteiler hält es daher für unbedingt notwendig, daß die Republik in Erscheinung trete und in ihr die Wahl durchgeführt werde, ohne die weder die nationale noch die internationale Situation um Spanien bereinigt werden könne. Informierte Beobachter in Spanien seien der Ansicht, daß eine Wahl wenig Risken einer Niederlage für die Monarchie oder für Franco mit sich bringen würde. Es wäre also ein Volksentscheid im Rahmen der Republik der . sicherste Weg.

Der Verfasser kommt zu dem Schlüsse, bevor nicht die UNO fest im Sattel sitze, sei es unmöglich, die weiteren Geschicke der spanischen und der ähnlich gearteten portugiesischen Diktatur zu bestimmen. Das spanische Volk wünsche ja Frieden und Verständigung mit dem Ausland, nur würde es alles erbittert zurückweisen, was nach direkter Intervention von außen aussehe.

Trifft diese Beurteilung der spanischen Dinge zu — und sie hat einleuchtende Gründe für sich —, so wird das iberische Problem noch geraume Zeit auf der internationalen Tagesordnung bleiben, um dann doch eine gewaltlose, versöhnliche Lösung zu erhalten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung