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Die indische Tänzerin

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Häuser, gleichsam eine Mauer bildend, eine atemraubende Schaufront kostbarster Gotik. Blinkende Butzenscheiben glänzen hinter phantastischen Netzen von schmiedeeisernem Gegitter.

Alles jedoch überragend, gleich der Krone auf einem edlen Haupt, thront auf der Höhe der Palast des Ordensmeisters.

Im Schatten des Großmeisterschlosses ist ein weißes Minarett wie eine Lanze aufgepflanzt, und die Kuppeln des Gebetsraumes wölben sich darunter wie dunkle Schilde. Die Zeit der Türken vergaß ein Dutzend Moscheen und anheimelnde, von Zwielicht umsponnene Basare, bemalte Brunnen und Badehäuser. Es ist ein an Bögen reiches Viertel armbreiter Gassen, durchflutet noch von jenen abenteuerlichen Requisiten wie Fez und Schleier, und der sich unvergeßlich ins Gedächtnis prägenden seltsamen Musik mannigfaltigster Geräusche aus den halbdämm-rigen Handwerksläden. An den Brunnen finden sich noch die Bauern ein, bevor sie auf ihren Eseln, vom Markte kommend, in die Einsamkeit Auf den Wiener Litfaßsäulen des Jahres 1910 mit ihren schönen, heimartigen Verzierungen lädt eine mehr vornehme als rassige Frauensperson In „Ronachers Variete“ zu indischen Tänzen ein. Es ist dem Maler Egon Schiele, als müßte er der Verlockung auf diesem bunten Plakat Folge leisten. Irgend etwas bewegt ihn in einem Winkel seines jugendlichen Wesens, das dem exotischen Zauber verfallen ist, wie sehr sich zugleich auch in ihm Gegenkräfte lösen und vordringen ins Ungewisse. Bei Klimt und dem Kunstkritiker Roessler war er asiatischen Kultgegenständen begegnet, die ihn faszinierten: japanischen Rüstungen, javanischen Figurinen dieser seltsamen Puppenspiele. Er gönnte sich ein Billett für den Abend desselben Tages, einen Sitz nahe der Bühne. Er würde auf einer Art Reise sein in ein Land, das man nur in Träumen erlebt und neuerdings auch im kinematographischen Theater...

Der Vorhang ging hoch. Nach für Schiele langatmigen kabarettistischen Präludien und ihn kaum ansprechbaren Scherzen fühlte man die Vorbereitung auf den Star: Mistreß Alka Saint Louis. Ein Conferencier erklärte, sie habe mit ihrem jugendlichen Gatten an indischen Fürstenhöfen gelebt und bereise nun nach dessen frühem Tod die Hauptstädte der Welt, um die Menschen auf die indische Geisteswelt aufmerksam zu machen. Eine hohe, schlanke Person in buntfarbigen, langen Schleiern, goldenen Sandalen und einem mit Edelsteinen verzierten Kopfschmuck betrat die Bühne unter lebhaftem Getön einer für Sehieles Ohr zu oft von schrillen Zwischentönen akzentuierten Musik. Doch diese war hier nur Dienerin. Schiele vergaß sie beim Anblick der seltsamen, gemessenen Bewegungen der Hände und Beine der Tänzerin, deren Kopf starr und deren Blick maskenhaft erschien. Das jettschwarze Haar lag ihr in Ringellocken im Nacken, und die emaildunklen Augen unter den stark betonten Brauen und langen Wimpern bewegten sich nur leise wie Tiere in ihren Höhlen.

Schiele beobachtete mit Hingabe diese langhin gleichmäßigen und andauernden Bewegungen. Das Bild einer Schlangenbeschwörung tauchte in ihm auf, er fühlte die Betörung durch die Tänzerin wie die eines edlen Tieres durch Musik, wie aus weiten Reisfeldern und dichten Dschungeln, aus sich wiegenden Dschunken in den Häfen der fernöstlichen Meere. Waren es nicht Kitschbilder, zu denen entsprechende Kulissen und Versatzstücke die Bühne umrahmten? Schiele mochte nicht leugnen, daß in diesem Rahder Dörfer reiten. Frauen mit hohen Wasserkrügen auf den Schultern gleiten vorüber, elastisch und anmutsvoll, das Erbe von Jahrtausenden in ihrem Gang. Eine zeitlose, märchenhafte Stimmung liegt wie ein Zaubermantel über die Stadt gebreitet.

Wer an den kahlen Hauswänden vorübergeht, wird kaum vermuten, daß dahinter, in weiß gekalkten Hofräumen der Farbtaumel tropischer Gärten schwelgt. In diesen Innenhöfen, die kühl wie die Torgewölbe der Festung sind, verschläft man in süßer Ruhe die Stunden, wenn draußen die Sonnenglut über die Landschaft brennt.

Von den Türken blieb auch der Friedhof der Verbannten, der Garten Allahs an der Murad-Reis-Moschee, jenem mächtigen Korsaren, den das Volk in seiner Grabkapelle wie einen Heiligen verehrt.

Vor den ziegelfarbigen Bastionen der Ritterstadt, wo am Galeerenhafen die Töpfer der Insel Koos ihre Krüge und Schalen zum Verkauf ausbreiten, und die Windmühlen wie eine heitere Luftspiegelung den Hafen vermen ebenso ein Teil der Wirkung bestand wie in Musik und Tanz, die den Beschauer in nicht bestreitbarem Maße ergriffen. Als die strahlende Mitte erwies sich freilich die Tänzerin selbst, deren schöne Nacktheit hinter Schleiern verborgen blieb. Hier hieß Leben diese Lichtmitte, in die er einmal sein „Totes Kind“ und die „Tote Stadt“ gestellt hatte, aber auch die „Geburt des Genies“. Immer war es der geheimnisvolle, hell flimmernde Kreis, wie das Sonnengestirn, das van Gogh beseligt und verbrannt hatte. Wohin war er in Gedanken abgekommen? Im Schlußapplaus der Menge, da Mrs. Louis vor den Vorhang trat, verließ Schiele seinen Sitzplatz und schritt zur Bühne. Er mußte die „Unvergleichliche“ kennenlernen. Während das Varieteprogramm seinen Fortgang nahm, suchte Schiele in den schmalen Gängen des Hauses den Weg zu den Garderoben. Schiele zaubern, hier, zwischen dem alten Viertel und den modernen Stadtteilen, wo übergangslos der hektische Atem der neuen Welt wieder spürbar wird, verschwendet sich noch einmal, in einer beispiellosen Zeugungswut die Fruchtbarkeit der Insel. In grünen Teppichen wogt es von dem Mauerwerk herab: Geranien, Rosen, Oleander — lodernde Hecken aus Bougainvillien und Hibiskussträuchern, über die die windzerzausten Helmbüsche der Palmkronen ein ausgelassenes Schattenspiel tanzen. Im dumpfen Schrei der Dampfersirene liegt der ganze Abschiedsschmerz des Augenblicks. An Deck stehen die Touristen zusammengedrängt an der Reeling und warten auf den Abtransport in ihr alltägliches Verlies. Aus dem flammenden Halbmond des Kielwassers erhebt sich, eingehüllt im Abenddunst, die Küste Kleinasiens. Die Konturen der Insel werden merkwürdig einsam, durchsichtig, und gleiten zögernd davon wie ejne Traumbarke, die zurücksinkt in den Regenbogenschleier des Meeres.

tastete sich zu einer Tür vor und öffnete sie. Am liebsten wäre er nun still hier stehengeblieben und hätte gezeichnet, was sich ihm darbot.

Die Tänzerin hatte ihren Kopfschmuck und einen Teil ihrer Schleier abgenommen und stand nun vor dem Spiegel, ihr zu Füßen kniete eine Frau in mittleren Jahren, die Goldsandalen in Händen hielt. Plötzlich mußte die Schöne der Anwesenheit eines Fremden im Spiegel gewahr geworden sein, denn sie stieß einen unterdrückten Schrei aus wie den eines Vogels, während die andere Frau abwehrend Schiele entgegentrat. Schiele brachte seine Bewunderung vor und den Wunsch, Mrs. Louis zu zeichnen. Diese, die verstanden haben mußte, gab mit großer Geste deutlich ihr „Nein“ zu erkennen. Als -Schiele nicht nachgab und die ihn bedrängende Garderobierin fragend den Kopf umwandte, erklärte sie: „Morgen.“ Schiele, der nlch genau wissen wollte, ob das keine Ausrede sei, wurde schon fast aus der Tür gedrängt, als der Star in etwas gebrochenem Deutsch entschied: „Zu Sekretär Alexander, melden!“ Alexander aber schien unbestechlich. Erst als Schiele ihm eine Aktstudie versprach, die aussehe wie die des berühmten Malers Klimt, ließ er sich erweichen. Heute gehe es wirklich nicht, Madame Louis habe eine Verabredung im Sacher, wohin er sie in der nächsten halben Stunde bringen müsse, aber für morgen werde er seine ganzen Einfluß geltend machen, daß Herr Schiele an sein Ziel komme. Er werde ihm auch in der Beleuchterloge einen Platz anweisen, den er schon öfter Kundschaften verschafft habe, wenn das Haus ausverkauft gewesen sei. „Sie wollen doch? — Aber vorerst die Zeichnung, daß ich sehe, daß Sie kein Patzer sind, sondern einer wie Klimt. Könnten Sie die Signatur nicht vielleicht auch nachmachen?“ Schiele lächelte und versprach, pünktlich zu erscheinen.

Ein teures Entree — oder auch nicht, sagte sich Schiele. Mrs. Louis kennenzulernen, war ihm den hohen Preis wert. Natürlich, die Signatur sollte Alexander sich selbst machen. Wohin bin ich geraten? Roessler darf davon nicht erfahren. Klimt wird einmal darüber lachen. Bin ich von Arm zu Reich übergelaufen, aus der Wirklichkeit in eine trügerische Scheinwelt?

Am Abend klappte es mit dem Sekretär, der den „Klimt“ sogleich hocherfreut in die Schreibtischlade sperrte, aber nicht mit der Lady, die Migräne vorschützte. „Sie will nicht gezeichnet werden“, sagte Alexander schmerzvoll. Schiele gab sich konsterniert Sollte er das Blatt vergeblich geopfert haben? Plötzlich hatte er eine Idee. „Zeigen Sie es ihr, Herr Alexander, und dieses da auch, daß sie einen Eindruck gewinnt.“ Das half. Der Sekretär kam fast freudig mit der Botschaft, die Blätter hätten gefallen. Wegen der fehlenden Signatur machte er sich keine Sorgen. Er öffnete Schiele die Tür. „Bis zum Schluß der Vorstellung!“ Eine halbe Stunde. Es schien Schiele keine besondere Verschärfung. Er würde sie überreden, mit ihm' zu kommen. Aber in welcher Sprache würde sie ihn verstehen? Sie hatte ihm ihre zierliche Hand gereicht, er atmete den feinen Duft von Blüten, er dachte, es könnte Indien sein ... „Excusez madame ...“, begann er.

Sie blickte aus ihren mandelförmigen Augen auf ihn herab, legte ihre Hand auf seine, die die ihre an den Mund führen wollte. „Sprechen Sie ruhig deutsch, mein Herr. Meine Mutter ist aus Wien. Ich dürfte es Ihnen nicht sagen, aber ich verstehe Französisch nur wenig.“

Schiele atmete auf und vergaß, sich zu verwundern. Er lächelte nur befreit. „Ich auch nicht...“ Sie sah ihn wortlos an. Ihr ruhiger Blick strich über die ganze Fläche seines Gesichts.

„Wenn Sie glauben“, erwiderte sie mit slawischer Melancholie. In ihrer Sprache war auch der Tonfall dieser Spezies der Wiener, das singende Idiom der böhmischen Nachbarn. „Ich darf nicht sprechen zu Ihnen“, sagte sie, „aber malen Sie, bitte. Das sind herrliche Bilder.“ Er hatte noch eine Anzahl Zeichnungen vor ihr ausgebreitet und bemühte sich, sie rasch wieder an sich zu nehmen. Sie sollten nicht vergessen werden und liegen bleiben. Er öffnete den Zeichenblock ...

Wieder berührte sie seine Hand. War es nun der Duft der mährischen Felder, der Wälder an der Moldau, der ihn bewegte? „Sie werden schweigen? Es ist mein Renomee.“ Sie hatte sich selbst des Nimbus' entkleidet, den er so gern um seine Gestalten legte. Empfand er noch wie vorher ihre „überirdische“ Schönheit? Wie verwandelte nur das Scheinwerferlicht! War es auch mit dem „Genialen“ so? Eigentlich saß er ein wenig ernüchtert hier auf einem niedrigen Hok-ker. Er fühlte tief in der Brust die Erschütterung, wie man sie fühlt, wenn der Eisenbahnzug plötzlich ohne sichtbaren Grund anhält und die Lokomotive pfeifend sich Raum schafft in ihrem Innern. Es waren seine Augen, die Augen eines Malers, die sich durch Firlefanz nicht täuschen ließen ... aber ihre Gestalt war noch die einer fürstlichen Person, ihr Köpfchen von bestrickender Apartheit; sie hatte nichts von dieser Hoheit verloren, als Schiele sie zeichnete, und er erst auf seine Fragen erfuhr, der Freund ihres Tanzlehrers sei Inder, und beide hätten ihr die Tänze beigebracht. Die Choreographie stimme nicht ganz, aber sie habe die Schritte leichter gefunden als damals, da sie zum ersten Male Polka tanzen lernte. „Gute Arbeit“, sagte sie bewundernd, Schieies Zeichnen verfolgend. „Gute Arbeit“, wiederholte er und meinte ihre Bemühung um den indischen Tanzschritt. „Und Ihre Schönheit“.

Sie hatte wieder dieses stoische, großmütige Lächeln zur Antwort, das einer leise aufblühenden Kamelie glich. „Schönheit?“ fragte sie. „Ich weiß es nicht. Vater war Bäk-ker in Olmütz. Kinder von Bäckern, na ja ...“

Schiele war nicht mehr erschüttert, die einzelnen Lagen in ihm, die er durcheinandergestürzt wähnte, hatten wieder organisch zusammengefunden. Seine Bäckerstochter aus Olmütz war schöner als die adeligen Frauen Klimts, aber er war nicht seinen Proletariern untreu geworden, nicht hinaufgestiegen zu den „Hochfliegenden“, er war bei seinen Erdenschweren, nun fühlte er die weiche Hand der Bäckerstochter fast gewichtig, sie sollte ihn beschwören: Bitte schweigen!

Er wußte nicht, wie er ihr dieses Schweigen, das ihre Existenz war, zusichern sollte... Also strich er ihr mit der Zeichenhand, mit nur drei Fingern — zwei hielten den Bleistift — über diese zarte Maharani-wange, und als er fühlte, daß sie sich ihm zuneigte, küßte er sie auf diese Wange einer Fürstin, als die er sie gestern noch gesehen hatte. „Ich wünschte sehr, daß Sie zu mir ins Atelier kommen...“ Seine ganze Überredungskunst wollte er in seinen Blick gebannt haben, aber Mrs. Alka Saint Louis neigte nur leicht das Haupt. — Es ging nicht. Sie war mit dem Tanzlehrer verheiratet und wohnte mit ihm in Favoriten, einem wenig vornehmen Bezirk. Er wartete nicht im Sacher, wie Sekretär Alexander im Sinne des Direktors des Unternehmens erklärt hatte, sondern bei den ,J5rei Hakken“ im Extrastüberl und spielte eine Schachpartie mit dem indischen Freund.

Schiele hatte am nächsten Tag die „Tänzerin“ wie im vergangenen Herbst die „Chrysanthemen“ in mehrfacher Farbauflage aquarelliert, in Gelb, Rot und Orange. Trotzdem erschien ihm am Ende, bei genauer Betrachtung, der schwarzgetuschte Dandy Oppenheimer, den er einige Tage vorher porträtiert hatte, besser geglückt als die bunte böhmische Inderin.

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