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Die Kader Christi?

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An den Pariser Hauswänden kann man einiges über Politik lernen — wenigstens darüber, wie man mit einem Mindestaufwand an Worten schlagkräftige politische Propaganda macht. Seit einigen Wochen steht dort überall, teils von Hand hingekritzelt, teils auf gedruckten Klebezetteln, das Wort „Budapest“ zu lesen. Und plötzlich nimmt sich in den Augen des Franzosen, der bis dahin einfach stolz auf den Besuch des „röten Zaren“ bei seinem Staatschef war, die von dem Treffen erhoffte „Entspannung“ in anderem Lichte aus.

Der Mann, der propagandistisch so simpel — und deswegen so wirkungsvoll — zuzuschlagen weiß, heißt Georges Sau g e.

DER RENEGAT Das Wichtigste an Sauge ist wohl, daß er ein Exkommunist ist. Der einzige Mann, der bisher in Frankreich eine faschistische Massenbewegung aus dem Boden zu stampfen vermochte, der am Ende des zweiten Weltkrieges umgekommene Jacques D o r i o t, war in seinen Anfängen auch ein Kommunist. Allerdings: Sauge ist in der KP nie so hoch gestiegen wie Doriot, der schon als

GEORGES SAUGE junger Mann sich der Freundschaft von Trotzkij und später von Stalin rühmen konnte und zu dem engen Kreis der Kominternspitzenfunktionäre gehörte. Der heute etwa 40jährige Sauge soll die KP schon mit 18 Jahren verlassen haben, und manche, denen er heute auf die Nerven fällt, wollen überhaupt abstreiten, daß er je etwas mit dieser Partei zu tun gehabt habe-Der Fall ist bis jetzt nicht geklärt. Abgesehen davon, daß Sauge selbst sich stets als „bekehrten“ Kommunisten vorstellt, spricht manches dafür, daß es sich da nicht bloß um eine Legende handelt. Zunächst einmal verkörpert Sauge schon in seinem Äußeren einen bestimmten, in Frankreich häufigen Typus eines kommunistischen Kämpfers: jene Mischung von beharrlicher Beständigkeit und etwas jungenhaftem Idealismus, wie man sie in „naiven“, das heißt noch nicht mit der bolschewistischen Realität konfrontierten kommunistischen Parteien oft findet. „Das Gesicht breit und voll, mit dem strahlenden Lächeln eines in die Höhe geschossenen Pfadfinders, schwitzt Georges Sauge durch alle Poren die Befriedigung darüber aus, daß er Georges Sauge ist: der bekehrte Kommunist, der von seinen ehemaligen Meistern die Waffen mitgebracht hat. mit denen er sie schlagen wird.“ So schildert ihn eine politische Gegnerin, Madeleinc Garrigou-La-g r a n g e, die im Novemberheft des „Esprit“ unter dem Titel „Integrismus und Nationalkatholizismus“ eine höchst interessante Studie über das politische Lager veröffentlicht hat, dem Sauge heute zugehört.

SEIN TRUMPF: DIE LAPIDARE ALTERNATIVE Wie gewisse faschistische Gruppierungen sich nach dem Vorbild des (von ihnen gehaßten) Jesuitenordens stilisiert haben, wobei ehemalige Jesuitenzöglinge oft eine führende Rolle spie-ten — genau so richtet sich Sause methodisch nach dem Kommunismus aus. Die Konsequenz, mit der er dabei verfährt, verleiht seiner kommunistischen Herkunft größte Wahrscheinlichkeit.

Die Stärke des Kommunismus — zumindest in unserer westlichen Welt — beruht in seinem „Manichäismus“: er ist eine Weltanschauung ohne jegliche Differenzierung, die Welt teilt sich ihm in eine schwarze, böse Und in eine lichte, gute Hälfte. Man mag die „terribles simplificateurs“ noch so abscheulich finden — eines läßt sich objektiverweise nicht abstreiten: daß sich in unserem Jahrhundert diese „fürchterlichen Vereinfachungen“ zumindest politisch bezahlt machen. (Daß 1945 ein Vereinfacher durch andere in den Orkus gestürzt wurde, ist, weiß Gott, kein Gegenbeweis.) Nun — Georges Sauge war bei seiner Spitzkehre von links nach rechts, mit der er seinen politischen Aufstieg begann, ein pfiffiger junger Mann, der sich das hinter die Ohren geschrieben hatte.

Zunächst einmal räumt er“ gewaltig auf. Arabischer Nationalismus, Panislamismus, dritte Kraft, Bandung, junges Afrika? Gibt es alles nicht. Das sind für ihn alles nur Fassaden, hinter denen der eine und einzige Gegner, Moskau, steckt, oder — um einen seiner Lieblingsausdrücke zu verwenden —: „courroies de trans-mission“ (Transmissionsriemen) von Moskau. Aber nicht nur nach außen räumt er auf, sondern auch nach innen. Eine „nichtkommunistische Linke“ gibt es nicht: selbst wenn sie subjektiv gegen den Kommunismus sind, arbeiten die französischen Antikolonialisten, die sogenannten Liberalen, und die ihm besonders verhaßten Linkskatholiken im praktischen Endergebnis nur dem Kommunismus in die Hände. Auch eine „Mitte“ irgendwelcher Art gibt es nicht — „tabula rasa“ ist die Losung.

Für Sauge gibt es nur zwei Lager in der Politik: „Gegen den modernen Umsturz (Subversion), der im internationalen Kommunismus seine vollkommenste und mächtigste Verkörperung fand, hat man nur ein einziges Gegengift gefunden: die katholische und römische Kirche, die von Jesus Christus; nur ihre robuste Doktrin ist imstande, den kolossalen Apparat des Marxismus-Leninismus schachmatt zu setzen.“ Wenn die Bewegung von Sauge auch unzweifelhaft faschistischen Stiles ist, so lehnt er doch den Faschismus als Inhalt ab. Warum? Weil Faschismus stets etwas Besonderes absolut setzt — sei es nun ein bestimmtes Volk oder eine bestimmte Rasse oder eine bestimmte soziale Tradition. Dem Kommunismus als einer universalen Macht könne nur eine ebenso universale Macht entgegentreten, und das sei eben die internationale katholische Kirche, die über den nationalen und übrigen Sonderheiten stehe. Man spürt allerdings bei Sauge stets die Hoffnung durchschimmern, daß in dieser Phalanx Frankreich den entscheidenden Stoßtrupp stelle. Es dürfte ihn wenig gefreut haben, als Kanzler Adenauer kürzlich in Rom diese Rolle mit rheinländischer Ungeniertheit für die Deutschen in Anspruch nahm.

DIE KADER CHRISTI?

Zu diesem „System“ von Sauge kann man nur sagen: ist es schon Wahnsinn, hat es doch Methode. In der auch im Geistigen pluralistisch aufgesplitterten westlichen Welt mit ihrem weitverbreiteten Skeptizismus hat ein so radikal simplifizierendes Weltbild natürlich seine Faszinationskraft, nicht zuletzt auf junge Menschen und nicht zuletzt in Frankreich, wo die offizielle, staatstragende Ideologie längst innerlich ausgehöhlt ist.

Georges Sauge ist übrigens nicht der einzige, der heute diesen speziellen Sehschlitz aus einem Panzerturm auf die unendlich mannigfaltige Welt offeriert. Zunächst einmal steht er in der Tradition jener Strömung innerhalb der katholischen Welt, die man wegen ihres Festhaltens an einem „integralen“ (das heißt ihrer Meinung nach nicht abgeschwächten) Katholizismus mit der Etikette „Integrismus“ versehen hat. Diese innerkirchliche Richtung gibt es, seit es eine Linke und eine auf sie reagierende Rechte gibt — also seit der Französischen Revolution. Wie die kluge Untersuchung eines jungen deutschen Gelehrten* kürzlich nachgewiesen hat. setzte damals schon mit der französischen Staatsphilosophie der Restauration das ein, was auch an Sauge auffällt: daß nämlich zwar die

“ Robert Spaemann- „Der Ursprung der Soziologie aus dem Geist der Restanration. Studien über L. C. A. de Bonald.“ Kösel-Verlag, München 1959.

Lehre der katholischen Kirche als die einzige Wahrheit gepriesen wird, man jedoch in Wirklichkeit diese Heilslehre zu einem Instrument der Gesellschaftsbewahrung macht und damit ihrer Absolutheit beraubt.

Aber Sauge steht nicht nur in dieser Tradition, deren letzte Blütezeit in Frankreich die Zeit des Kirchenkampfes (1906 bis 1920) nach der Trennung von Kirche und Staat war. Er steht auch in einer ganzen Phalanx von integristischen Zirkeln und Organisationen drin, die mit dem Algerienkrieg in Frankreich auf breiter Basis neu aufgeschossen sind. Die neben Sauges Organisationen umfangreichste Bewegung dürfte die „Cite Catholique“ eines anderen Konvertiten, des ehemaligen Anarchisten Jean O u s s e t sein, deren „Zellen“ über ganz Frankreich verteilt sind und von der Zeitschrift „Verb e“ mit Parolen versorgt werden. Daneben gibt es die von General W e y g a n d präsidierten „Amis de Jeanne d ' Ar c“, das „Mouvement pour un Monde meilleur“ und manche anderen geistlichen oder weltlichen (oder gemischte) Organisationen. In einem Lande, wo soviel von einzelnen Zeitschriften ausgegangen ist, seien auch die Revuen nicht vergessen, die die „integristischen“ Gedanken ausstreuen: „La Pensee Catholique“ von Luc J. Lefdvre (der nicht mit dem Ultraideologen Dr. Jean-Claude Lefevre zu verwechseln ist), „Defense du Foyer“ von Pierre L e m a i r e und „I t i n e r a i r e s“ von Jean M a d i r a n. Die letztere ist die auch außerhalb des katholischen Bereiches bekannteste darunter, denn Madiran war jahrelang Chefredakteur des „Rivarol“, des rechtsextremistischen Organes mit der größten Auflage; er trat dort 1958 mit Krach zurück, als man Lucien R e b a t e t, den Verfasser des antichristlichen Romans „Les deux Eten-dards“ („Die zwei Fahnenträger“, 1951 bei Gallimard), zum Starkolumnist machte.

ZELLENBILDUNG UND PRGAN, r-lfe /Gwrlnstellt,4as„.w#s,äich,um„d|e stftrke ufiggydft von, Geojges J a u| p kristallisiert hat, zweifellos den extremsten, das heißt den faschistischesten Pol dar •* mag man sich dort auch (und zwar subjektiv, durchaus ehrlich) noch so sehr vom Faschismus distanzieren und sogar von dem alten Rechtsextremismus im Stil der „A c t i o n F r a n c a i s e“ von M a u r r a s (der immerhin auch, wenn auch nicht ausschließlich katholisch geprägt war). Faschistisch ist an der „Force: Psycho-1 o g i q u e“ (Psychologischen Kraft), wie die Sauge-Bewegung meist genannt wird, die Zielbewußtheit, mit der sie dem Kommunismus einen in genauer Analogie zur KP konstruierten Kriegsapparat von gleicher Totalität entgegenzustellen sucht. Überhaupt bat man bei ihr — auch das ist faschistisch — den Eindruck, daß ihr die M e t h o d e n wichtiger sind als die Inhalte, und das ist ja hier die christliche Heilslehre, in die aber so manches an Sauges „Stil“ nicht hineinpassen will. Kein Wunder, daß es oft recht summarisch herauskommt, wenn dem kommunistischen „Materialismus“ der christliche „Spiritualismus“ entgegengestellt wird. Der kommunistische Feind hat deutlichere Konturen als das eigene Ziel.

Methodisch aber weiß Sauge genau, was er will. In recht systematisch geplanten Schulungskursen drillt er seine Kader, welche im Lande herum die eine Wahrheit zu propagieren und überall Zellen zu gründen haben. Die beiden ersten Kurse sind theoretisch: zuerst wird der Schüler in Doktrin und Strategie der KP eingeführt, hierauf in die „christliche Doktrin in ihren historischen, juristischen und sozialen Anwendungen“. Der dritte Kurs ist dann „technisch“: in ihm wird Massenpsychologie, Rednerkunst, Schreibkunst und ähnliches gelehrt. Die ganze Schulung dauert ein Jahr, bei ein oder zwei Schulungsabenden pro Woche. Organisierendes Zentrum ist das 1956 von Sauge gegründete „C e. n t r e d' £ t u d e s s u p e r i e u-res de Psychologie Sociale“ (Zentrum für höhere Studien in Sozialpsychologie) — eine Art von „zivilem“ Gegenstück zu den Büros für „Psychologische Aktion“ in der Armee (über die de Gaulle nach dem zweiten Putsch von Algier ein Auflösungsdekret verhängte, von dem man noch nicht weiß, ob es praktisch auch befolgt werden wird). Braucht noch eigens angemerkt zu werden, daß zwischen den beiden Organisationen mehr als ein Faden gesponnen wurde?

Natürlich ist Sauge Antigaullist: auch der Gaullismus ist für ihn nur einer jener „Transmissionsriemen“, die dem Kommunismus das Heu in die Scheune bringen. Es sind aber zwei spezielle Züge seiner Agitation, die der Regierung besondere Sorgen machen. Erstens einmal ist Sauge in den vergangenen vier Jahren eine starke Unterwanderung der Armee geglückt; seinen äußeren Ausdruck fand das bis vor kurzem darin, daß er mit Erlaubnis gewisser Kommandostellen als Aufklärungsredner in der Armee wirken konnte.

Nun hat allerdings die Regierung in der Abwehr Sauges einen wertvollen Verbündeten: den hohen französischen Klerus. Vor allem aber fällt der Hierarchie schon lange auf die Nerven, wie Sauge ;n'Anspruch rtfrnmt!dieeinzig wahre politische Konsequenz aus der katholischen Lehre fjPffcWt&rf 'vergessen, cfät'fnM-halb des Weltkatholizismus die Kirche in Frankreich allgemein als Exponentin des „linken Flügels“ gilt — so relativ Begriffe wie links und rechts in diesem Bereich auch sein mögen. Zwar ist es noch nicht zu einem offenen Krieg des Vollzugsorganes der französischen Hierarchie, nämlich der Kommission der Kardinäle und Erz-bischöfe, gegen Sauge gekommen. Aber die Kommission soll bereits Anfang des letzten Jahres de Gaulle auf die von dieser Seite drohenden Gefahren aufmerksam gemacht haben.

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