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Die Kirche und die Armen

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Vor zwei Wochen wandte sich das Vatikanische Konzil dem Artikel 24 des Schemas von der Kirche in der Welt von heute zu, der von der „Förderung der Solidarität der Völkerfamilie“ handelt. In der Diskussion sprach man über die Armut von drei Vierteln der Menschheit. Der hier folgende Artikel behandelt das Thema „Die Kirche und die Armen“ in grundsätzlicher Weise.

Die Redaktion

Bischof Ancel versucht in den „Informations catholiques internationales“ (Nr. 218, 15. Juni 1964, Seite 15 bis 26) aus dem, was bisher auf dem Konzil in Sitzungen und Gesprächen über das Problem „Die Kirche und die Armen“ gesagt wurde, eine systematische Lösung dieses Problems zu folgern.

Er teilt seine Ausführungen in drei Punkte: 1. Tatsachen, 2. Schwierigkeiten und Einwände, 3. Orientierung hinsichtlich der Armut.

Tatsachen:

Sie sind Zeichen der Zeit geworden; sie sind zwar bekannt,' aber werden dennoch nicht beachtet.

a) Den Armen in der Welt wird das Evangelium entweder gar nicht oder nicht genügend verkündet.

Man vergleiche die Geographie des Hungers und die Geographie der Mission. Die ärmsten Länder in der Welt bilden die Masse der Heiden.

In vielen Ländern mit christlicher Tradition sind die Armen religiös am wenigsten betreut. Das gilt im allgemeinen für die sozialen Klassen und im einzelnen für die Armen jeder speziellen Klasse. Man betrachte nur die religiöse Situation der Arbeiter und besonders der Schwerarbeiter! Das soll eine einfache Feststellung ohne jeder Beurteilung sein.

b) Die Armen in der Welt • finden ihre Situation bereits unerträglich.

Die Kolonialvölker streben ihre Unabhängigkeit . an, die Arbeiterklasse ihre Besserstellung, gleich, ob mit Gewalt und Revolution oder Krieg, oder mit gewaltlosem Widerstand und vielfältigem Druck.

Jene, die zu arm oder zu schwach sind, etwas zu tun, fallen in Resignation.

Natürlich wirft die Tatsache Fragen auf: Gäbe es einen Marxismus, wenn in der Welt eine echte soziale Ordnung existierte? Und umgekehrt: Hätte es keinen Marxismus gegeben, gäbe es auch keine Revolution?

c) In vielen christlichen Ländern erscheint die Kirche dem Armen wie eine Fremde oder gar wie eine Feindin.

Man klagt sie des Reichtums an und des Bündnisses mit den Reichen und Mächtigen. Die einėn erkennen diese Anklage als richtig an, die

Schwierigkeiten und Einwände

Man kann dieses Problem nicht objektiv studieren, ohne daß man auch die Schwierigkeiten genau untersucht. Es gibt darunter solche, die unbeachtet bleiben können. Sie werden von einer zu menschlichen Anhänglichkeit an Privilegien und einer Haltung, die dem Evangelium wenig entspricht, eingegeben. Andere verraten eine zu geringe Offenheit gegenüber den Bedürfnissen der Welt von heute.

Es gibt aber auch Schwierigkeiten, die in der Sache selbst liegen. Wenn man der Frohbotschaft Christi treu bleiben will, darf man nicht in Übertreibungen fallen, weder nach der einen noch nach der anderen Seite. Die evangelische Armut ist nicht von Ungeduld und Aggressivität getragen.

Erste Schwierigkeit: Worum handelt es sich also? Von welcher Armut sprechen wir, von der evangelischen oder von der soziologischen? Von welcher von der letzteren: von der ökonomischen, kulturellen oder der sozialen Schwäche? Handelt es sich um die individuelle oder um die kollektive Armut einer Gruppe oder einer Nation? Handelt es sich bloß um die Hungernden und Ungebildeten, oder handelt es sich um den sozialen Aufstieg gewisser Klassen? Manche behaupten, man müsse alle jene arm nennen, die in irgendeiner Weise untergeordnet und abhängig sind.

anderen bezeichnen sie als Verleumdung. Die Tatsache ändert sich dadurch nicht.

d) Es herrscht heute eine Orientierung auf die Armut und die Armen hin.

Die Zahl jener, die den Weg der authentischen Armut beschreiten, wächst, es vermehrt sich die Zahl der Männer und Frauen, die den Armen ihre Dienste leihen. Das Konzil hat eine neue Atmosphäre geschaffen. Johannes XXIII. hat das bedeutungsvolle Wort gesprochen: „Die Kirche, die die Kirche aller Menschen ' ist, will besonders die 'Kirdie der Armen sein.“ Johanais XXIII. ' und das Konzil sind gleichfalls der Katalysator dieser Frage. Was einige und diese vielleicht nur verstandesmäßig erkannt haben, ist für die ganze Kirche ein brennendes Anliegen geworden. Man versteht jetzt: den Armen wird das Evangelium nicht verkündet. Die Welt lebt in einem Zustand der Ungerechtigkeit. Für die Armen ist die Kirche ein Fremdling.

In der Kirche leitet aber der Heilige Geist eine tiefe Erneuerung nach dem Evangelium ein, nicht nur doktrinär, sondern auch pastoral, und diese steht unter dem Zeichen der Armut, des Dienstes an den Armen und der Evangelisation der Armen.

Was fordert die Gerechtigkeit, wenn es sich um eine gerechtere Güterverteilung handelt? Meint man damit individuelle oder kollektive Almosen? Handelt es sich um die Entwicklungshilfe für unterentwik- kelte Länder?

Man weist hin auf die erste Christengemeinde in Jerusalem. In ihr bestand Gütergemeinschaft und es gab keine Armen. Aus den Briefen des heiligen Paulus wissen wir aber, daß er überall Sammlungen für die arme Gemeinde in Jerusalem organisierte.

Man weist auf moderne Beispiele hin. Die Entwicklungshilfe hat ein unterentwickeltes Land mit Landwirtschaftsmaschinen versorgt. Erster Erfolg: Arbeitslosigkeit unter den Landarbeitern. Enderfolg: Ausbeutung des Bodens bis zur Erschöpfung.

Was heißt, den Armen das Evangelium verkünden? Muß man sie zuerst aus ihrer Armut herausführen, um ihnen das Wort Gottes verkündigen zu können, oder muß man ihnen gegenüber einen gewissen Paternalismus üben?

Und bezüglich der Armut der Kirche werden die Schwierigkeiten noch zahlreicher.

Zweite Schwierigkeit: Theologie der Armen und dei' Armut. Die Bibel spricht sowohl im Alten wie

im Neuen Testament über die Ariden und die Armut. Es gibt dort Punkte, die ganz klar sind, etwa, daß wir unser Herz von der Anhänglichkeit an irdische Güter freimachen und den Armen in ihrer Not zu Hilfe kommen müssen. Aber was ist zum Beispiel die Bedeutung der Armut im Leben Christi? Was bedeutet das Wort: „Ich bin gesandt, den Armen das Evangelium zu verkünden“? Worin besteht die Gegenwart Christi im Armen,' seine Identifikation mit dem Armen? Was bedeutet das Wort: „Weh euch, ihr Reichen! Es ist leichter, daß ėm Kamel durch ein Nadelöhr geht, als daß ein Reich ei1'-in das Himmelreich'

eingeht“? Wie verpflichtet die Armut der Apostel ihre Nachfolger?

Es gibt also Fragen, die man nicht voreilig, oberflächlich oder in sentimentaler Weise beantworten kann. Wir haben noch keine wahre Theologie der Armut. Es hat in der Kirche immer Arme gegeben, aber man hat sie mehr als eine Ausnahme betrachtet, und gewisse Formen der Armut beziehen sich mehr auf die evangelischen Räte als auf die Gebote. Man beschäftigte sich wenig mit der Armut der Kirche selbst, inwieweit nämlich die Armut vom Apostolat her gefordert werden kann.

In das Schema „Über die Kirche“ wurde in den Konzilsakten ein dogmatischer Text über die Armut eingefügt, über den die kommende Sitzung beraten wird. In den Katechismen kann man wohl eine Verurteilung der Habsucht als Kapitalsünde finden, aber nirgends findet

man etwas über den Wert der evangelischen Armut. Ob hier das Konzil eine definitive Antwort wird geben können?

Dritte Schwierigkeit: Folgen einer

evangelischen Erneuerung in bezug auf die Armen und die Armut.

Die Lehre des Evangeliums ist sicher revolutionärer als jede soziale, ökonomische oder politische Theorie. „Selig die Armen im Geiste “ „Weh euch, ihr Reichen!“ oder aus dem Magnifikat: „Er hat die Mächtigen vom Throne gestürzt und die Demütigen erhoben, die Dürftigen hat Er mit Gütern erfüllt, die Reichen ließ Er leer ausgehen.“ Das ist eine vollkommene Umkehrung der Wertordnung.

Aber das Evangelium? Trotzdem nicht gleichzusetzen mit irdischen Revolutionen, etwa mit der Revolution von 1789 oder 1917. Man kann nicht die Worte des Magnifikats auf das Exil Napoleons I. oder den Untergang Mussolinis, Hitlers oder auf den nachträglichen Sturz Stalins anwenden.

Wenn es sich bloß darum handelte, die Pflicht des Almosens zu predigen oder die Freiheit des Herzens irdischen Gütern gegenüber, dann wäre es einfach. Aber heute kann man nicht allein von einer individuellen Haltung zur Armut sprechen, sondern muß auch von einer kollektiven Haltung sprechen. Wenn man also von der besseren Verteilung der Güter auf der Erde spricht und die Ungerechtigkeiten der gegenwärtigen Situation verurteilt, muß man sehr vorsichtig sein. Das Evangelium will keine revolutionäre Propaganda

betreiben, sondern will zu einem großen Werk der Liebe aufrufen.

Auch wenn man von der Reform der Kirche spricht, kann man nicht einfach sagen, sie soll sich ihrer Güter entkleiden und in der Armut leben. Man kann auch nicht einfach die Reichen vom Heile ausschließen. Man könnte Bischöfe und Papst in unlösliche Probleme stürzen. Wie können sie ihre weitgespannten und komplexen Pflichten ausüben, wenn sie nach der Weise des Petrus und Paulus leben, die Welt bekehren sollen? .

Vierte' S&^fėtįSkėii: Die " Armut der Kirche.

Man' zitiert 'off den' Pfarrer vöfi Ars, der gesagt hat, daß es nichts Schöneres für Gott gäbe als die persönliche Armut, und will damit sagen, daß die Kirche auch auf ihren äußeren Glanz in bezug auf Gotteshäuser und Liturgie verzichten soll. Aber der Pfarrer von Ars hat selbst große Ausgaben gemacht, um seine kleine Kirche zu verschönern. Schon oft ist über den Reichtum der Kirchen kritisiert worden. Diese Kirchen — so sagt man — sind mit den Opfern der Gläubigen erbaut worden und sollen das Lob Gottes künden. Mit welchem Recht könnte man den Gläubigen verbieten, daß sie ihre Gotteshäuser schön ausschmük- ken wollen? Bleibt dann nur übrig, daß man nichts tue?

Allgemeine Orientierung auf die Armut hin

1) Erneuerung der Lehre über die Armut. Was bedeutet die Armut der Person Jesu Christi? Worin besteht der menschliche und spirituelle Wert der evangelischen Armut?

2) Die Seele eines Armen haben. Wer eine solche Seele hat, nimmt sich hin so wie er ist, mit seinen Grenzen, Fehlern und Sünden. Er steht vor Gott wie der Zöllner, er urteilt nicht über die anderen, wie es der Pharisäer macht.

Wer die Seele eines Armen hat, ist sanftmütig, er will nicht über die anderen herrschen. Er nimmt sie so, wie sie sind, und erträgt sie und will mit allen in Frieden sein.

Wer die Seele eines Armen hat, liebt die Armen und ist beinahe eifersüchtig, wenn sie ärmer sind als er. Er weiht sich ihrem Dienste und beschützt sie, er verteidigt sie, ohne daraus Gewinn zu ziehen.

Wer die Seele eines Armen hat, hat auch die Seele eines Apostels. Er liebt Gott und seine Brüder und leidet darunter, daß viele Ihn nicht kennen. Er respektiert die Freiheit der anderen, macht nicht nur Propaganda, sondern gewinnt sie.

Wer die Seele eines Armen hat, ist frei. Die äußeren Dinge nehmen ihn nicht gefangen, je nach seinem Stand, den Umständen, dient er seinen Brüdern.

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