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Die Kontaktfahigkeit

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Welche Charakteranlagen und Voraussetzungen braucht man nun, um dieser Situation gewachsen zu sein? Neben einer robusten korperlich- seelischen Gesundheit und Vitalitat scheinen mir vor allem zwei Anlagen sehr wicfitig: Erstens die Kontaktfahigkeit im Umgang mit Menschen und zweitens Verantwortungsfreude und Entscheidungskraft.

Wer dieses spontane Helfenwollen nicht triebhaft verspurt — es ist deshalb auch keine besondere Leistung —, der wird in unserem Beruf ungliick- lich. Die Kontaktfahigkeit, die der Patient sofort verspiirt, hat aber nichts zu tun mit einer Begabung zur soge- nannten „Geselligkeit”. Glauben Sie ja nicht, daB diejenigen, die die be-

liebtesten Gesellschaftslowen sind, deshalb schon eine besondere arztliche Begabung haben mussen! Es gibt sehr stille Naturen, die doch am Kranken- bett erst ein besonderes Einfiihlungs- vermbgen und Herzenswarme bewei- sen. Dazu gehbrt neben der Menschen- kenntnis, die uns die Erfahrung der Jahre bringt, vor allem Gute und Takt. Gerade das Taktgefiihl ist eine entscheidende angeborene Eigenschaft, die nach meiner Meinung auch unter Arzten selten ist, und die besonders gepflegt werden muB.

Ob einer als Arzt erfolgreich ist, hiingt viel mehr von dem so unerhbrt anstrengenden, aber entscheidenden Gegenwartigsein im Sprech- und Krankenzimmer ab, als von seinem

Wissen und den akademisch begrfinde- ten diagnostischen und therapeutischen Entscheidungen. Nun gibt es Arzte, die sind ausgezeichnete Wissenschaft- ler, Diagnostiker usw., aber sie haben diesen Kontakt, der einen wichtigen Teil der arztlichen Kunst ausmacht, nicht im entsprechenden MaB. Diese Mediziner werden im Umgang mit den Patienten nicht gliicklich sein. Aber sie konnen trotzdem noch als Mediziner berufsglucklich werden in einer Spezialverwendung, die nicht unmittel- bar auf den Kontakt mit den Patienten abgestimmt ist, zum Beispiel als theo- retische Wissenschaftler.

Entschlufikraft

Neben dieser Kontaktfahigkeit ist die Entschlufikraft und Entscheidungs- fahigkeit eine zweite wichtige Charak- tereigenschaft. Man mufi als Arzt zwischen Skrupulantentum und Gleich- gultigkeit den richtigen schwierigen Mittelweg finden. Ich kenne einige Arzte, die durch ihre aufierordentliche Gewissenhaftigkeit, die sich schon an den Grenzen des psychisch Normalen bewegte, unglficklich geworden sind, weil sie diese Entschlufikraft, wie man sie zum Beispiel in heiklen Situationen beim Sport, beim Alpinismus usw. be- obachten kann, nicht aufgebracht haben. Standig sind in Notfallssitua- tionen Entscheidungen zu treffen, die wir nicht sehr lange uberlegen konnen. Derjenige ist der beste Arzt, der kaltes Blut und trotzdem ein waches Herz hat. Er mufi ja in alien Lagen ruhig nachdenken konnen, ohne von einem Geffihl fiberwaltigt zu werden. (Das ist ja mit ein Grund, warum Arzte fast nie in ihren eigenen Fami- lien zu behandeln vermogen, weil man dort nicht den notwendigen Abstand vom anderen Menschen hat.) Aber dieser Gleichmut im arztlichen Handeln und Entscheiden ist auch eine tlbungs- und Erfahrungssache. Er laBt sich zum Teil lernen.

Auf du und du mit dem Tod

Der Arzt ist viel weniger als zum Beispiel ein Architekt oder mancher anderer in der Lage, an einem W e r k zu arbeiten und ein moglichst dauern- des Ergebnis seiner Arbeit zu erleben, wozu ja jeder die natfirliche Tendenz hat. Dem Arzt ist ahnlich wie der Krankenschwestgp, und vielen fraa- lichen Berufen ein Diens-t aufge- geben.und das ist -fur den Mann vor- erst enttauschend. Ja, es ist, oberflach- lich gesehen, deprimierend, dafi wir immer nur Riickzugsgefechte gegen den Tod durchkampfen, von denen wir von vornherein wissen, dafi letztlich der Tod siegt. In fast alien Fachern der Medizin, sogar in der Geburtshilfe, ganz besonders aber in der inneren Medizin, sind wir auch Sterbehelfer, und mit dieser Situation mufi jeder fertig werden. Letztlich versagen wir mit unserer Kunst immer, und dieses standige „auf du und du” mit dem Tod ermiidet die seelische Spannkraft und den Herzenstakt, ja es macht den- jenigen zum zynischen Routinier, dessen Ehrfurcht vor dem Leben und der Menschenwiirde nicht aus der religio und der Begegnung mit der Kunst, der Philosophic, mit grofien Menschen ge- nahrt wird. (Welchen Frauen wir auf unserem Lebensweg begegnen, ist fur unser Bild vom Menschen und die Immunisierung gegen den Zynismus entscheidend.) Es ffihrt zu offenen und versteckten Fluchtreaktionen, wenn ein Arzt nicht eine besondere Dimension des Menschlichen bejaht und ein- sieht, dafi er auch dort, wo er nicht mehr heilen kann, in der Begegnung mit dem Kranken als Leidendem eine neue Form menschlicher Erfahrung und Lebensbejahung, eine besondere Soli- daritat, findet. Um ganz zu verstehen, was hier gemeint ist, muBten Sie erst viele helle und dunkle Stunden des Berufsweges hinter sich haben.

Wir leben in einem Zeitalter, in dem von der Jugend behauptet wird (vermutlich hat man das zu alien Zei-

ten behauptet), daB sie sehr „reali- stisch” eingestellt sei und bei der Berufswahl nur darnach frage, wie man am raschesten und bequemsten zu hdhem Lebensstandard und sozia- lem Ansehen komme. Darf man da noch davon sprechen, dafi nach dem Priesterberuf der arztliche Weg am meisten einer wirklichen inneren Be- rufung bediirfe?

Aber ich bin iiberzeugt, daB es zu jeder Zeit — auch in der „skeptischen Generation” — junge Menschen gibt, denen der Sinn nach schwierigem Ein- satz steht, denen ein hoher Lebens standard zur Lebenserfullung nicht ge- niigt, denen ein Beruf mehr ist als ein Job. An diese allein sei mein „Wer- ben” gerichtet.

Lesen Sie besinnlich in den kom- menden, vielleicht freiesten aber auch verantwortungsvollsten Ferien Hires Lebens gute Bucher fiber Arzte und von Arzten, dann tragen Sie Wesent- liches dazu bei, um die schwierige Entscheidung der Berufswahl zu er- leichtern. Zuweilen sind auch kleinere und groBere Umwege zur richtigen Berufswahl notwendig, N o t - w e n- d e n d im Ursinn des Wortes.

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