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Die Krise wächst unaufhaltsam

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Die Chinesen befinden sieh im Jahr des Hahns. Der Hahn heißt auf dji — Und 1st ein Synonym für Glück. Ist dieses Jahr ein Jahr des Glücks für Peking?

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Die Chinesen befinden sieh im Jahr des Hahns. Der Hahn heißt auf dji — Und 1st ein Synonym für Glück. Ist dieses Jahr ein Jahr des Glücks für Peking?

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Die immer schärfer gewordene Konfrontation zwischen Rotchinesen und Rotrussen hat, fast am Höhepunkt, sich selbst mit einem Fragezeichen versehen.

Da beschimpfen sich Chinesen und Sowjets in allen Formen, und dann reist der zweitwichtiigste Mann der Troika des Kremls einfach nach Peking und spricht dort mit Rotchinas Premier. Kurz darauf stellen die Sowjets ihre schon schablonisier- ten Angriffe gegen China vorläufig ein. Ein AJbwarten? Ein Hoffen? Ein Täuschen?

Es mag bezeichnend sein, daß China nicht so prompt reagierte. Die Beschimpfungen Moskaus haben nicht ausgesetzt. - Man ist in Peking ohne Frage anderer Auffassung üiber das Ergeibnis des „Gipfels am Flugfeld” als in Moskau. Lag das vor allem daran, daß Kossygin erheblich mehr Einfluß auf die Kreml-Politik hat als Tschu En-lai auf den schweigsamen (oder angeblich kranken) Mao?

Moskaus jahrelange Schachzüge im Spiel gegen Rotchina sind zweifellos nunmehr gelungen. Die Gipfeltagung der kommunistischen Parteien in Moskau hat Peking bereits im Frühjahr isoliert und die geringe Zahl der nicht zum KP-Gipfel erschienenen Parteien hat die gelbe Anhängerschaft als minimal ausgewiesen.

Dann gelang es den Sowjets, Nordvietnam immer stärker auf ihre Linie zu fixieren. Nach HoTschi Minhs Tod ist nun eine noch stärkere Orientierung nach Moskau durch die kollektive Führung in Hanoi sehr wahrscheinlich. Denn das kleine Vietnam fürchtet den Riesen im Norden noch mehr als die gedemütigten Amerikaner.

Japans Außenminister Aitschi kam kürzlich nach Moskau. Hintergrund dieser Gespräche: die Einkreisung Chinas.

Und schon im Frühjahr reiste ein Abgesandter des Kremls nach Formosa, um Nationalchinas Staatschef Tschiangkaischek über Moskaus Meinung über China zu informieren.

Denn in Formosa stehen 528.000 Elitesoldaten, um den roten Riesen am Festland von Süden her zu überfallen.

An seiner Westflanke sucht Moskau Ruhe und Verständnis. Sowjetaußen- minister Gromyko holte sich in Belgrad bei Tito die Zusicherung, wieder korrekt miteinander verkehren zu wollen — und nicht auf den Moment zu hoffen, da Moskau fernöstlich engagiert ist. Denn auch im Ostblock herrscht Ruhe, in der CSSB sogar die Ruhe des Grabes. Die Front ist geschlossen: hinter Breschnjew sitzen jetzt brav und bieder niur noch Gomiulkas, Husaks und Ulbrichts. Und Rumänien erweist sich sogar als nützlicher Vermittler: Vor Kossygin war Ministerpräsident Maurer in Peking bei Tschu En-lai.

Freilich, unabhängig von den Besuchsreisen wächst die Bedrohung entlang der chinesischen Mauer auf beiden Seiten. Pekings rote Mar- schälle verfügen bereits über eine Serie einsatzbereiter Kurz- und Mittelstreckenraketen mit Atomspreng- köpfen. Wahrscheinlich haben sie drei Typen nuklearer Bomben, darunter eine Drei-Megatonnen-Was- serstoffibombe und mehrere Atom- raketen-U-Boote.

Es ist keine Frage, daß schon in wenigen Monaten auch Langstrek- kenraketen einsatzbereit sein werden. Dann ist selbst Moskau und das dichtbesiedelte Land zwischen Dnjepr und Ural bedroht. Es muß aus diesem Grunde in Moskau eine strategische Überlegung geben, die es für besser hält, „Chinas Atomwaffenfabriken jetzt auszuheben, anstatt später einer größeren Bedrohung gegenüberzustehen”, wie der Londoner „Daily Telegraph” meint. Daß man sich bedroht fühlt, ist offensichtlich:

• Die Armeezeitung „Roter Stern” stellte fest, daß die Raketeneinheiten Rußlands verstärkt wurden, um bei einem „Pekinger Abenteuer” mit Raketenschlag zu antworten.

• Der sowjetische Propagandasender „Radio Frieden und Fortschritt”

warnte die Chinesen auf chinesisch vor der „Zerstörungskraft der modernen Raketen”. Denn: „Mit welchen Abwehrmitteln könnten sich Mao Tse-tung und seine Lakaien gegen solche Waffen denn schützen?”

• Und Sowjetverteidigiungsminister Gretschko erinnerte an Lenins Auffassung, ein Krieg für den Sozialismus „sei gesetzlich und gerecht”. Diese ideologische Untermauerung zusammen mit der Breschnjew- Doktrin dürfte ohne Frage bei der Planung in Moskau Pate stehen. Denn man wirft den Rotchinesen im Grunde das gleiche vor wie den Tschechoslowaken 1968. In beiden Fälle ist der Sozialismus „entartet”, in der CSSR durch „liberale und bourgeoise” Elemente, in Rotchina durch den Verrat am „proletarischen Internationalismus”. Und Dubcek und Mao sind „Abweichler”, die den Sozialismus gefährden.

Moskau weiß aber auch, daß nach Maos Tod keine Tauben in Peking zur Macht gelangen. Die Säuberungen der Kulturrevolution richteten sich ja vor allem gegen alle Freunde der Sowjetunion. In Peking sitzen heute an führenden Posten nur Maoisten, die über Rußland ebenso wie der greise Parteichef denken. Und dieses chinesische Denken schließt den Einsatz von Gewalt gegen den historischen Feind im Norden ausdrücklich ein. Warum denn rüstet sich China so auf, wenn es nicht an die Expansion denkt?

Ein Land mit so eminenten wirtschaftlichen Problemen stürzt sich nur dann in das Albenteuer einer atomaren Aufrüstung, wenn es sich am Lebensnerv eingeengt fühlt. Und in China ist nichts mehr unmöglich. Die Opferproben des Volkskommunenversuches und der Kulturrevolution haben die gelben Massen bestanden. Legt man ihnen noch größere Opfer auf?

Immerhin: die Hoffnungen nach dem rätselhaften Besuch Kossygins in Peking bei Westillusionisten sind schnell verflogen. Hat Kossygin nicht auch 1968 die CSSR besucht?

Für Peking bleibt es dabei: auch Moskaus Raketen sind nichts anderes als Papiertiger. Nur sind sie rot.

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