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Die kühnen und einsamen Taten der Künstler

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Auf dem Gebäude des Wiener Konzerthauses wehen wieder die Fahnen der Nationen: Wieder , findet hier ein Internationales Festival statt. — Diese Musikfeste sind entstanden und bestehen weiter aus der Gemeinsamkeit einer Geisteshaltung, welche, in gro ßer Vergangenheit wurzelnd, alle Elemente der Musik bereichern und dem Schaffen der Jungen neue Wege bahnen möchte. Man hat, nicht zu Unrecht, gesagt, neue Musik reiche in Wien weit zurück, denn die Aura ihrer Meister ist unzerstörbar. Immer waren es die aus einmaliger, unwiederholbarer Anstrengung hervorgehenden Leistungen, die das Ansehen eines Volkes in der Kulturwelt begründen. Auch Oesterreichs Ruhm auf dem Gebiete der Musik beruhte seit jeher einzig und allein auf den kühnen, den einsamen Taten, nicht vielleicht auf der Fülle eines sich dem konventionellen Rahmen leicht anpassenden Durchschnittes.

Eine ununterbrochene Tradition adelt die Musik, die sich in Oesterreich seit Jahrhunderten erneuerte. Im Mittelalter war es das Land, wo man „singen und sagen lernte“, Kaiser Maximilian, der letzte Ritter, schenkte seiner Hauptstadt jene Hoikapelle, der noch ein Anton Bruckner angehören sollte, in Wien erblühte die italienische Oper, sie fand hier ein Heim nördlich der Alpen und brachte zu den vorhandenen germanischen und slawischen Elementen die zum Dreiklang noch fehlende südliche Komponente, dieser Boden trug als herrliche Frucht die „Wiener Klassik“, Schubert führte die Wiener Symphonie über Bruckner zu Gustav Mahler, und schließlich begann mit Arnold Schönberg eine „Neue Musik“, deren Entwicklung durchaus noch nicht abgeschlossen ist.

Den stärksten Einfluß, auch auf das Ausland, nahm unter den Schülern Schönbergs wohl Alban Berg, dessen „Wozzeck“ einen Siegeszug sondergleichen über die Opernbühnen der Weit genommen hat.

Das Werk Alban Bergs, auch eines der Kühnen, der Einsamen, steht im Mittelpunkt des diesjährigen Musikfestes. Am An fang seines Weges stand die gewaltige Erscheinung Schönbergs, dieses Genies des Lehrens aus dem Lernen, des Findens aus dem eigenen Suchen. Berg, der die Größe Schönbergs intuitiv erfaßt hatte, ging anfangs die Wege mit, die der Lehrer ging. (Dieser tat übrigens keinen Schritt, ohne ihn mit den Schülern, den Weggefährten, zu beraten.) Sehr bald aber durfte der Lehrer für das eigene Schaffen seines Schülers auch vor der Oeffentlichkeit eintreten. Als der erste Weltkrieg vorbei war, stand Berg schon in der vordersten Reihe. Auf zahlreichen Veranstaltungen, besonders des Auslandes, wurden seine Werke gespielt. Nach Amerika, Holland, Belgien, Rußland hörte auch England den „Wozzeck“, der von Erich Kleiber in Berlin uraufgeführt worden war. Nach anfänglichen Widerständen begann man Verständnis zu haben für solche Arbeit von strengster Form, für diese Gedanken von ungewohnter Neuheit. Auch in diesem Falle zeigte es sich: es gibt ein untrügliches

Zeichen des Echten, das nämlich, daß es erkannt, oder vielleicht nicht so sehr erkannt wie gefühlt, von Mensch zu Mensch übertragen wird. Ein großes Herz schwingt in Alban Bergs Musik, ein großer Mensch spricht, und es ist im letzten Grunde gleichgültig, in welcher Sprache er es tut.

Ist Alban Berg der eine Pol, um den das Musikfest kreist, so ist M o n t e v e r d i der andere. Zu ihm führt ein Bogen, der einen Zeitraum von mehr als dreihundert Jahren überbrücken muß. Die Wiedererweckung seines 1607 geschriebenen „Orfeo“ ist um so bedeutender, als sich einer der größten Musiker von heute, Paul Hindemith, persönlich dieser Aufgabe unterzieht. Die revolutionäre Tat Monteverdis war lange Zeit vergessen und unverstanden geblieben, ja sie war kaum noch vorzustellen, doch durch die Beziehungen der Musik von heute zur Kunst der Vorklassik wurde auch der packende dramatische Ausdruck wiederentdeckt und nicht selten zum Vorbild mancher musi kalisch-dramatischen Ausdrucksform der Gegenwart.

Bei der Zusammenstellung der Programme waren Ueberlegungen ausschlaggebend, die erkennen lassen, daß die völkerverbindende Funktion, die Jahrhunderte hindurch im Schatten des Stephansturmes geübt wurde, auch heute noch lebendig ist. Ost und West, Nord und Süd begegnen einander wie seit jeher in Wien.

Der Wunsch nach Ueberwindung des Alltags, das Verlangen nach etwas, das mehr und höher ist, als Materie, verstummt nie. Eine Ergänzung der Musikpflege sind Musikfeste, wie sie schon das Barock gefeiert hat. Je schwerer die Zeit ist, desto größer wird die Sehnsucht nach fester Gemeinschaft, nach Freude. Wo aber wären reinere Freuden als die der Musik, und welche könnten den Menschen stärker ans Herz greifen?

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