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Die Kunst braust ratlosen Funktionären davon

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Wenn man den Grad der Modernisierung eines I^andes davon ablesen kann, wie ähnlich seine Industrieprodukte, die Werke seiner Künstler und die Hervorbringungen seiner Werbefachleute dem sind, was im Westen „in” ist, hat China eine ziemlich moderne Konsumgüterindustrie (immerhin bekommt man auch in Österreich preiswerte chinesische Fernseher), eine erstaunlich moderne Malerei (offenbar sind Chinas Maler über die westlichen Strömungen einigermaßen informiert) und eine äußerst rückständige Werbung. Es sei denn, wir zögen eine Parallele zwischen dem feisten nackten Säugling auf einem Plakat des Jahres 1987 und der bei uns grassierenden Mode, jedes beliebige Produkt mit nackten Babypopos zu bewerben. Der Säugling transportierte die Botschaft „Auf dem Höhepunkt des Drachenjahres werden pralle Babies geboren”.

China ist einerseits Hoffnungs-markt und gibt andererseits dem Westen eine Fülle von Rätseln auf. Werbung in China ist im Westen terra in-cognita, über Chinas Kunstströmungen weiß man nicht viel mehr. Zwei neue Bücher aus dem Verlag DuMont geben einen Einblick in beides: „China - Zeitgenössische Malerei” (das Werk erschien anläßlich einer Ausstellung in Bonn) sowie „Chinesische Propaganda - Kunst und Kitsch zwischen Revolution und Alltag”.

Der Befund von der relativen Modernität der Malerei und der Rückständigkeit der Werbung, der sich aus den Bildern dieser Bücher, betrachtet man sie unvoreingenommen, ablesen läßt, hat wohl sozioökonomische Gründe. „Die Maler,” so Peter Seid-litz, „brausen den im Staub stehenden Funktionären mit dem neuesten Chrysler-Peking-Jeep davon.” Was offenbar möglich ist, weil sie sich innerhalb Chinas auf jene Schicht neuer Reicher stützen, die ihrerseits mit dem neuesten Cadillac den im Staub stehenden Funktionären davonfährt. Weil die jungen Maler hier die Marktnische gefunden haben, die ihnen die notwendige ökonomische Un abhängigkeit verschafft, kann sich in der Kunstszene die gesellschaftliche Entwicklung spiegeln. Oder Bewußtsein, Zynismus und Statusbedürfnisse der Reichen. Die neue Generation, so Seidlitz im Buch über Chinas Malerei, sei „so zynisch wie die Motive der Bilder. Geld ist das Leitmotiv”.

Herausgeber Dieter Bonte sieht es positiver oder drückt es positiver aus: China habe „ein seit etwa siebzig Jahren ausgeprägtes ausgedehntes System von Akademien, die nach dem russischen System, dem Petersburger Modell sozusagen, Technik lehren, aber auch die Kenntnis von Michelangelo, Donatello, der Aktmalerei, des Realismus als Imitatio. Es gibt deshalb sicherlich kein anderes Land, in dem - zweifellos auch schon bedingt durch die Größe der Volksrepubuk China - heute so viele Rem-brandts, Delacroix, Ingres, Courbets und Impressionisten herumlaufen und arbeiten - sprich sich malend äußern. Der Imitationsdrang ist ungeheuer, er folgt dem, was auf den Akademien gelernt wird. Es entspricht in gewisser Weise dem traditionellen chinesischen Denken, daß derjenige, der die Imitation auf das perfekteste beherrscht, genauso gut sein muß wie der Meister, der kopiert wird. Der Künstler beutet den anderen aus, weil er mangels eigener neuer Setzungen auf dessen geistiges Eigentum reflektieren muß. Doch ebenso ist China ein Land, in dem für europäische Augen sich ungeheuer viel ereignet.”

Die Verlierer der Umwälzung, so

Seidlitz, seien in China ebenso wie in Rußland „die Alten in den Staatsbetrieben, die überflüssig werden, weil die Produkte, die sie herstellen, nicht mehr gekauft werden, weil sie nicht umdenken können, den erneuten Umbruch nicht verstehen. Sie müssen als Frührentner um ihre Pensionen bangen.” Genau diese Schicht ist Adressat der politischen Plakate. Die werden von Funktionären, über welche die Entwicklung hinwegrollt, für jene in Auftrag gegeben und kontrolliert, welche die Welt nicht mehr verstehen. Diese Plakate entsprechen logischerweise dem Rewußtsein und dem Geschmack der Verlierer, und wohl ebensosehr auch der Funktionäre. Daher der Bruch zwischen Kunst und Werbung. Daher die zwei künstlerischen Welten unvermittelt nebeneinander. Der Bruch ist auch bei uns feststellbar und hat möglicherweise bis zu einem gewissen Grad ähnliche sozioökonomische Gründe, wird aber halt nicht von chinesischen Autoren erforscht.

Chinas politische Plakate wirken, ungeachtet westlicher Einflüsse, antiquiert. Die anspruchsvollsten und ansprechendsten haben den starken Einschlag von naiver Kunst, die Volksnähe und dabei das ästhetische Niveau und die Tendenz zu moderater Abstraktion, die an vielen polnischen, tschechoslowakischen und ungarischen Plakaten der Tauwetter-Zeit nach 1956 auffielen. Sie sind das Medium der alten Arbeiter und verunsicherten Funktionäre, die ein Leben lang ihre politischen Aufgaben gemacht und die Kultur hochgehalten haben. Die schlechtesten könnten mit leicht veränderten Texten 1933 im Haus der deutschen Kunst gehangen oder den Beifall Stalins gefunden haben.

Die Bandbreite reicht von wahren Unsäglichkeiten, wie einer den 70. Jahrestag der Gründung der Kommunistischen Partei Chinas verkündenden-Maid mit Mikrophon, und allerlei vorbildlich arbeitenden Männlein und Weiblein, über den nicht jeglieher Originalität entbehrenden Aufritt der goldbetreßten „Helden des Volkes” (1984) bis zur modernen westlichen Geschwindigkeits- und Fortschrittssymbolik (Eisenbahnen, Autos, Raketen, Kräne) einerseits, andererseits bemerkenswerten Arbeiten der traditionsverhafteten Art.

Nichts davon ließe den mit seinem Cadillac stolz im Verkehrsstau von Shanghai steckenden Jungmillionär zur Brieftasche greifen. Das Thema Geld reizt ihn schon eher, die mit 2,34 Meter wandfüllenden, verfremdeten Dollarnoten von Wang Qiang vermitteln ihm außerdem das Gefühl, westliche Lebensart zu repräsentieren. Offenbar kein kleiner Teil der chinesischen Maler hält sich ans Beispiel unermüdlich dasselbe Motiv wiederholender westlicher Maler. Die stereotyp lachenden Männer von Yue Minjun - sie lassen tatsächlich an Jungmillionäre denken sind längst auch im Westen gut bekannt. Masche als Erfolgsrezept. Die chinesische Malerei, soweit sie frei ist (die offiziellen Stellen waren für eine Mitarbeit an der Ausstellung nicht zu gewinnen), spiegelt Chinas Entwicklung. Technisch als typisierte, beliebig variierbare Malerei inhaltlich insofern, als sie ihre Themen (eine wichtige Stellung nimmt der unterdrückte, durch Unterdrückung deformierte Mensch ein) in einer stark an westlichen Vorbildern orientierten Weise entwickelt und sich nach langer Unterdrückung und einer harten Durchsetzungsphase im Clinch mit der Macht nun im Einklang mit den ökonomisch aufstrebenden Schichten weiß.

Wie die chinesischen Maler selbst es sehen, beschreibt Autor Seidlitz: „Es ist erstaunlich, wie manche Kritiker im Westen die neuen Maler Chinas mit der Bemerkung, das hätten wir alles schon gehabt, als,Kopien' abbügeln und wie umgekehrt die junge chinesische Elite, auch die der Maler, bei nun durch Einladungen möglichen Auslandsreisen mit überheblicher Arroganz das betrachtet, was an Gegenwartskunst in Europa und Amerika en vogue ist. Hier unterscheiden sich die Funktionäre gar nicht so sehr von den Malern. In dieser Frage sind alle erst einmal Chinesen. Mißverständnisse, nicht nur kultureller, sondern auch politischer Art, sind deshalb vorprogrammiert.”

Die chinesische Malerei geht eigene Wege, aber wenn die vor einiger Zeit in Bonn gezeigte Auswahl repräsentativ ist, hat sie ihre Wurzeln zu einem großen Teil gekappt, die erkennbare Verbindung zur traditionellen Malerei abgestreift. Gezeigt wurden freilich nur 160 Bilder von den jährlich drei bis vier Millionen, welche die 250.000 heute in China tätigen bildenden Künstler schaffen.

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