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Die Landschaft des Menschen

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„Betreffend den Schutz der Pflanze Edelweiß“ hieß es in der Überschrift des ersten österreichischen Pflanzenschutzgesetzes, das am 17. Februar 1886 vom Land Salzburg erlassen worden war. In den nächsten Jahrzehnten folgten die anderen Bundesländer dem Salzburger Beispiel. Es wurden selten gewordene Pflanzen und „nichtjagdbare“ Tiere geschützt. Erst 1924 erließ die niedierösterreichische Landesregierung das erste Naturschutzgesetz, das den Schutz eines ganzen Gebietes vorsah. Die Warner in der jungen Naturschutzbewegung galten bis dahin als Träumer und Romantiker, als Rückständige, die die „Zeichen der Zeit“ nicht verstehen wollten.

Das schnelle Anwachsen der Bevölkerung, die fortschreitende Technisierung und Mechanisierung des menschlichen Lebens, die durch rücksichtslose Ausbeutung der Natur und ihrer Kräfte aufgetretenen Schäden machten den Naturschutz zu einer staatspolitischen Notwendigkeit. Der Architekt Richard Neutra erklärt:

„Die Forfexisfenz unserer Menschenart auf Erden ist in Gefahr, und das ist diesmal kein falscher Alarm. Alte Unkenrufe und Prophezeiungen scheinen aktuell zu werden, ganz abgesehen von spektakelhafter, atomischer Kriegsrüstung. Eine Million Irritationen und Gewaltsamkeiten in Stadt und Land, unvernünftig, rücksichtslos gegen die einfachste menschliche Biologie angehend, sind vielleicht verheerender als ein Bombenwurf, der möglicherweise doch noch zu verhindern ist, wegen seines mehr sensationellen Irrsinns.“

Im Land der „unbegrenzten Möglichkeiten“ hat man erkannt, was die Stunde geschlagen hat. Präsident Kennedy erließ im Februar 1960 eine Sonderbotschaft an das amerikanische Volk. Darin heißt es:

auf; unseren Boden, auf unsere WöJ-l ■dat,rrinär-unsere Wödensöhätze-üUtz^ sich das ganze Leben unserer Gesellschaft, ja, es ist einfach davon abhängig. Wenn wir es versäumen, diese Gaben der Natur weise zu nutzen, dann werden die Sorgen nicht mehr lange auf sich warten lassen. Im Jahre 2000 werden die USA mit 300 Millionen Menschen wesentlich erößere Mensen an landwirtschaftlichen Produkten, an Holz, Wasser, Mineralien, Brennstoffen, Energie benötigen, und sie werden viel mehr Erholungsmöglichkeiten im Freien brauchen als bisher. Unser Wasserverbrauch wird sich innerhalb der nächsten zwanzig Jahre bereits verdoppeln .. . Von unserem Bestand an hochwertigem Holz wird zur Zeit mehr geschlägert als nachwächst, die fruchtbaren Schichten unseres Bodens sind von der Erosion bedroht, unsere Bodenschätze werden unverhältnismäßig schnell abgebaut, und die noch unbebauten, landschaftlich schönen Gebiete werden mit Vorkaufsrechten belastet und anderen Verwendungszwecken zugeführt. Investiert man heute mit Besonnenheit in ein Programm zur Erhaltung und Nutzung der natürlichen Hilfsquellen, so wird sich das in der Zukunft hoch bezahlt machen. Versäumt man aber heute die Gelegenheit zum Handeln, dann hat man sie unter Umständen für immer verpaßt.“

Das ausschließlich wirtschaftliche Denken hat den menschlichen Lebensraum auch in unseren Breiten krank gemacht. Der Mensch hat schwere Eingriffe in den Organismus der Natur vorgenommen und dadurch das biologische Gleichgewicht dieses Organismus gestört. Goethes Wort „Die Natur versteht keinen Spaß, sie ist immer wahr, immer ernst, immer strenge, sie hat immer recht, und die Fehler und Irrtümer sind immer des Menschen“ hat seine zeitlose Gültigkeit erwiesen. Hier einige Beispiele, vorwiegend aus der österreichischen Landschaft, von den Sünden wider die Natur und ihren Folgen.

Der Wald ist Österreichs Wasserspeicher, Klimaregler, Lufterneuerer und Fundament deri..Bodenfruchtbar-keW. TÖSuscfc')intensive landwirtschaftliche 'Bodennutzung, verbunden mit einseitiger Düngung, gerät der Haushalt der Spurenelemente in den Böden immer mehr in Unordnung. Die Sünden begannen mit einer Überschlägerung, dfe in Österreich 85 Millionen Festmeter in den letzten 30 Jahren ausmacht. Der Jahreszuwachs beträgt 8,5 Millionen, die jährliche Schläge-rung 11 Millionen Festmeter. Die Blößenfläche dürfte 33.000 Hektar nicht übersteigen. Tatsächlich beträgt sie 165.000 Hektar; Kärnten meldet 83 Prozent Überschlägerung, beim Kleinwaldbesitz bis zu 166 Prozent. Die Stadt Lienz in Osttirol schlug in neun Jahren den Zuwachs von 27 Jahren. In einigen steirischen Bezirken liegt der Holzvorrat bis vierzig Prozent unter dem ohnehin niedrigen österreichischen Durchschnitt. Die Wälder sind ausgeblutet. 1927 war das Flinsingtal in Tirol noch bewaldet. Jetzt wurde das Tal erschlossen, Straßen gebaut, der Wald vernichtet. Die Folgen: 19.000 Festmeter Holz wurden durch 162 Lawinen im Winter 1934/35 vernichtet. Was bis 1955 an Holz im Flinsingtal zugrunde ging oder weiter geschlägert wurde, macht einen Wert von 18 Millionen Schilling aus. Der Versuch, die Schäden zu beheben, kostete seit 1947 rund 3 5 Millionen Schilling. Seit 1951 erlitt Österreich durch Lawinen einen Schaden von 400 Millionen Schilling.

Sehr nachteilige Folgen hat die Ausräumung der Kulturlandschaft von Baum, Strauch, Hecke und kleinem Wald ausgelöst. Eine so „ausgeräumte“ Landschaft ist nicht nur trostlos öde, sondern sie ist biologisch krank. Durch sinnlose „Flurbereinigungen“ sind schwere Schäden eingetreten: Bodenerosion und Austrocknung. Als Gegenmaßnahmen mußten Windschutzhecken gepflanzt werden, große Gelder waren zu investieren.

Die Überschlägerung ist natürlich nicht an allem schuld. Meliorisierung, Moorvernichtung, Entwässerung, Flußregulierung gesellen sich dazu. Vor 80 Jahren wurde die Donau bei Wien reguliert. Das Grundwasser s_nk in den folgenden Jahren um acht Meter. Das Marchfeld wurde zum Flugsandgebiet, das nur noch spärliche Ernten hervorbringt. Von rund 6000 Hektar Ackerfläche wurde “Hein zwischen dem 7. und 10. April 1949 Humus samt dem Saatgut durch stärkere Winde so vollständig abgeblasen, daß eine Neubestellung erforderlich wurde.

Durch die Vernichtung der Wälder wurde das Grundwasser gesenkt. Die

Wurzeln der Pflanzen erreichen das Wasser nicht mehr. Von den kahlen Hängen 'fließen die • Regen- und Schmelzwasser ungehindert zu Tal, die Quellen verschwinden. Die Moore und Sümpfe sind trockengelegt, weshalb sie die Fluten nicht mehr aufnehmen. Jetzt überfluten die Bäche und Flüsse ihre Ufer, sie müssen also reguliert, in hohe Dämme eingezwängt und eingemauert werden. Die Arterienverkalkung und das langsame Sterben der Landschaft geht seinen Weg. Die Begradigung der Flüsse und Bäche läßt das Wasser rascher abfließen, das Flußbett wird dadurch tiefer, der Grundwasserspiegel wird mitgerissen und verlagert sich in geringerer Menge ebenfalls tiefer. Eine Kettenreaktion mit unabsehbaren Folgen, deren ganzes Übel oft erst in Jahrzehnten sichtbar wird.

Inzwischen wird der Wasserverbrauch immer größer. Seit 1900 brauchen wir zehnmal mehr Wasser als vorher. 20 Liter genügten einst, jetzt sind es schon 200 Liter pro Kopf und Tag. Je eine Tonne Eisenerz erfordert

4500 Liter Wasser, Kohle 5000, Koks 17.000, Stahl 20.000, synthetisches Benzin 90.000, Papier bis 380.000. Zellwolle 5 50.000, Kunstseide 750.000 Liter Wasser. Für einen Hektoliter Bier werden 3 5 Hektoliter Wasser benötigt. Ist es da nicht unverantwortlich, mit dem Wasserhaushalt so leichtfertig umzugehen?

Das spärlich gewordene Grundwasser ist zum Teil schon verschmutzt. Ein Liter Kraftstoff genügt schon, um eine Million Liter Wasser ungenießbar zu machen. Das Grazer Wasserwerk

Süd, das mit einem Aufwand von dreizehn Millionen Schilling in der Nähe des Gaswerke«- errichtet -wurde, rfst durch Benzol im Grundwasser gefähr^ det. Auch“unsere Flüsse'-sind langst keine sauberen Gewässer mehr. Ihre Verschmutzung nimmt von Jahr zu lahr zu. Vergiftend rinnen diese Kloakengewässer durch das Land. Rund 1500 gewerblich-industrielle Großbetriebe leiten ihre Abwässer in die Flüsse, die Kleinbetriebe nicht eingerechnet. Eine Großbrauerei in Graz entleert täglich rund 100.000 Hektoliter Abwässer in die Mur. Bei Leoben führt sie schon täglich 250 Tonnen Trübstoff mit sich, die Pols täglich 120 Tonnen, die Mutz bis 1500 Kilo

Phenol. Ein großes Fischsterben ist die Folge; das Baden in den Flüssen ist lebensgefährlich. Aus den verseuchten Flüssen dringt dieses Wasser in die leergepumpten Grundwasserräume ein, das von den Trinkwasserwerken gehoben und frei ins Haus geliefert wird.

Unsere Techniker haben sich dem Problem der Luftverpestung noch nicht mit der notwendigen Umsicht zugewendet. Die rauchenden Schornsteine nehmen zu. Industrien und' Verkehrsmittel

übergeben ihre Abfallprodukte, wie Rauch, Ruß, Kohlen-, Zement-, Gips-s&ubHieh^che Gj^ga^^ea: Atern-luft. In den Ballungsräumen der Städte und. Industrien ist es; besondjers. arg. Jedes Auto jagt im Jahresdurchschnitt 2000 Kubikmeter giftige Abgase in die Luft. Wir fürchten mit Recht die Rückstände nach Atom- und Wasserstoffbombenversuchen und die der Atomreaktoren, beachten aber weniger, daß zum Beispiel die Lungenkrebsfälle in verkehrsreichen Straßen häufiger als in verkehrsarmen Straßen auftreten. 40 Prozent der Sonnenbestrahlung geht durch die über unseren Städten liegenden Rauch-, Gas- und Dunstglocken verloren.

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