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Die langen Schatten

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An Tagen der Erinnerung hat es in diesem Sommer keinen Mangel, Kaum zwei Wochen sind vergangen, da warden die Gedanken urn zwei Jahrzehnte zuriickversetzt: Ein heifier Sommer- rnorgen, dieser 21. Juni 1941. Aus den Lautsprechern riefen die Fanfaren, und der Sprecher verkiindete immer wieder, dab nunmehr das deutsche Heer irn Osten zum Entscheidungskampf ange- treten sei. Zwanzig Jahre seit dem Angriff Hitlers auf Rufiland, zwanzig Jahre seit dem Anfang vom Ende des Tausendjahrigen Reiches! Und wieder zwei Wochen, und man wird die Er- tanerung an den 18. Juli 1936 wach- rufen. Spanien heifit die Szene. Vor 25 Jahren flammte hier der grofie Bur- gerkrieg auf. Bald wurde das ungliick- liche Land zum blutigen Truppen- iibungsplatz der grofien Machte, die hier ihre Waffen, ihr Material und ihre Soldaten erprobten. Der euro- paischen Demokratie aber schlug zwi- schen Faschismus und Kommunismus die Stunde.

Und dann gibt es noch ein drittes Datum, an dem in Osterreich nicht achtlos voriibergegangen werden darf. Es ist der 11. Juli 1936. An diesem Tag schmetterten keine Fanfaren, auch Kriegsbrand loderte nicht auf. Im Gegenteil: an diesem Tag wurde zwi- schen der Regierung des Bundesstaates Osterreich und der Regierung des von Hitler gefiihrten Deutschen Reiches ein ..Verstandigungsabkommen” unter- zeichnet, dessen Worte schon und woblklingend waren, das aber prak- tisch die Selbstfesselung des ersten Opfers von Hitlers GroBmachttraumen bedeutete.

Es fing so harmlos an. In Punkt l stand zu lesen: „Im Sinne der Fest- stellung des Fuhrers und Reichskanz- lers vom 21. Mai 1935 anerkennt die Deutsche Reichsregierung die voile Souveranitat des Bundesstaates Osterreich. “ Hitler selbst fiigte in einem Kom- mentar beruhigend hinzu: „Deutsch- land hat weder die Absicht noch den Willen, sich in die inneren osterreichi- schen Verhiiltnisse einzumengen, Osterreich etwa zu annektieren oder anzu- schlieBen.” Das konnte selbst einen Patrioten wie Guido Zernatto beruhigen, der — allerdings in einem amtlichen Kommentar — erklarte, er sehe in dem eben geschlossenen Abkommen einen ..wesentlichen Beitra? zur Sicherung der Unabhangigkeit Osterreichs”.

In Punkt 3 lag die Schlinge bereit: „Die osterreichische Buitdesregieruttg wird ihre Politik itti allgenteinen, wie insbesondere gegeniiber dem Deutschen Reiche, stets auf jener grundsiitzlichen Linie halten, die der Tatsache, daft Osterreich sich als deutscher Staat bekennt, ent- spricht.”

Der „deutsche Kurs” ... der ,,zweite deutsche Staat”! Zum „Ein Volk — ein Reich” war nur mehr ein kurzer Schritt. Der dazugehorende Fiihrer wartete ohnedies bereits in der Ku- lisse.

Was den in die Politik des Tages und seinen Anforderungen verstrickten Lenkern des osterreichischen Geschicks damals als ein EntlastungsstoB er- schien, zeigt sich dem Blick des Historikers als der Anfang vom Ende eines selbstandigen osterreichischen Staates. Osterreich stellte sich in seiner Eigenstandigkeit selbst in Frage, es lockerte das Erdreich, auf dem das Haus jeder Souveranitat erbaut ist. Der Einsturz konnte nur mehr eine Frage von Monaten, bestenfalls von Jahren, sein.

Wohl gab es auch damals Manner, die das Verderben ankiindigende Rie- seln in den Mauern horten. Ihre Warnungen jedoch wurden vom herr- schenden Zeitgeist gerne als „Exaltiert- heit” bezeichnet und uberhort. Warum sollte auch nicht dieses Osterreich, das 1918 noch sich als „Deutsch- Osterreich” proklamiert hatte, ein „deutscher Staat” sein, warum sollten seine Biirger nicht den standigen Balanceakt zwischen Bejahung eines selbstandigen osterreichischen Staates und Bekenntnis zum ..deutschen Volks-

turn” zuwege bringen? Seit Jahrzehn- ten war dies in Turn- und Schulver- einen, in Studentenverbindungen und Jugendbunden — und nicht / nur in deutsch-nationalen — einer ganzen Generation gepredigt worden. Sie war in jenem eigenartigen, nur der deutschen Romantik vertrauten, „Zwie- denken” zwischen Staat und Volk groB geworden.

Es ging jedoch nicht mehr. Die Ge- schichte zeigte deutlich, daB ein Staat, der nicht in jedem seiner Burger sich selbst — und nur sich selbst — wollte, auf die Dauer keinen Platz auf der Landkarte haben konnte. Dazu brauchte es nicht einmal eines Mannes aus Braunau.

Das alles ist Geschichte. Warum daran erinnern, wo wir heute, ein Vier- teljahrhundert nachher, ein Osterreich haben, das seine politische Existenz auf eine ganz andere geistige Basis ge- stellt hat als jenes unserer, durch den Zusammenbruch des Vielvolkerstaates im Herzen Europas, orientierungslos gewordenen Vater und GroBvater. Weshalb davon iiberhaupt sprechen in einer Zeit, wo wir nicht das Dritte Reich des Verfassers von „Mein Kampf” zum Nachbarstaat haben, son- dern die Bundesrepublik Deutschland Konrad Adenauers, dessen AuBen- minister vor Jahren bei seinem ersten Staatsbesuch in Osterreich als Ziel der Politik seiner Regierung die Festigung der Freundschaft zwischen bei- den Staaten und Volkern bezeichnete — ein Vorhaben, das mit Recht Sympathien auf breiter Front in Osterreich erwarten durfte.

Warum daran erinnern, weshalb davon sprechen... Weil ein aufmerksamer Beobachter in den letzten Jahren mitunter den Eindruck gewinnen mufite, daB die Lehren der Geschichte allmahlich wieder zu verblassen dro- hen — und weil auch von unserer offiziellen Politik das Steuer eines osterreichischen Kurses nicht immer kraftvoll auf geradem Kurs gehalten wird. Werden wir wieder problema- tisch? Dies muB man sich bisweilen fragen, wenn man sieht, wie das ru- hige Selbstverstandnis osterreichischer Eigenstandigkeit unbewufit oder be- wuBt in Frage gestellt wird.

Zugegeben: es gibt kaum jemanden heute, der noch einmal 1938, noch einmal die „Ostmark”, noch einmal die Zerschlagung unseres Staatsver- bandes in von einer fernen Zentrale gesteuerte Donau- und Alpengaue wollte. Aber der Geist des Juli 1936 geht in den letzten Jahren wieder um, nur fiihrt er heute andere Narnen.

Sehen wir bei hellem Tag Gespen- ster? Gem wird dies behauptet, wenn man solchen Gedankengangen auch npr nahertritt. Allein die langen Schatten von 1936 mahnen. Und eben den Weg im Schattenreich wol- len wir nicht mehr gehen. Weder als Staat, noch als Volk, noch als einzelne.

Eines ist gewiB: Einen „AnschluB a la 1938” wird es nie wieder geben. Mit Schellenbaum und Hohenfried- bergermarsch. Diese GewiBheit allein beruhigt uns jedoch nicht. Def Marz 1938 kehrt nie wieder, der Juli 1936 aber ist ein Modell, das mit zeit- gemaBen Anderungen durchaus auch in Gegenwart und Zukunft verwen- dungsfahig ist. Klar gesprochen: Um was es heute geht, ist, ob Osterreich in politischer, wirtschaftlicher und geistiger Eigenstandigkeit in die euro- paische Ordnung eintritt — wir ver- sagen uns ihr keineswegs — oder ob es uber den Weg einer neuen „deut- schen Politik” diese Entwicklung als Filiale eines Nachbarstaates mitmacht. Der Geist des Juliabkom- mens von 1936 auf das Jahr 1961 iibertragen, heiBt namlich: nicht die osterreichische Flagge herab- holen, keineswegs die osterreichische Selbstan- digkeit auf dem Papier beseitigen, aber doch die Verhiiltnisse so zu gestal- ten, daB Ostereich letzten Endes zu seinem deutschen Nachbarn in ein Verhalt- nis kommt, wie das Konig- reich Bayern seinerzeit zum Bismarck-Reich. Der osterreichische Bundesprasident kann dann ruhig weiter in der Hofburg re- prasentieren, die Regierung in Wien verwalten, eigene Briefmarken drucken und Diplomaten in die Welt schicken; das politische und okonomische Kraft- feld liegt schon lange ganz woan- ders... Und das ist es, was wir nicht wollen. Im osterreichischen Interesse, aber auch im deutschen.

An den in vorderster Front in politischer Verantwortung stehenden Man- nern in Osterreich wird es vor allem liegen, jede Zweideutigkeit zu meiden. Das fangt bei einer grofieren Zuruck- haltung im Geben von Interviews an und hort bei der Berufungspolitik ... auf. Dazwischen Jiegt ein weites Feld fur eine osterreichische Staatspolitik, die nicht nur dem Namen nach eine solche ist.

..Osterreich uber alles — wenn es nur will”, hat es einmal hochtrabend geheiBen. Wir mochten nicht, daB die, die nach uns kommen, eines Tages niichtern feststellen: ,,Es hat nicht wollen.”

Die langen Schatten des Juli 1936 mahnen: Es fangt so harmlos an.

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