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Die Lepra ist besiegt!

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Haben Sie schon einmal einen Leprakranken gesehen? Wohl nicht, denn in Oesterreich haben wir diese Krankheit nicht. Warum sollten wir nicht einmal diese Wirklichkeit betrachten, die es doch in der Welt gibt? Nur zu leicht vergißt man im engen Kreise des eigenen Alltagslebens das Leid der anderen.

Die Lepra ist schon 4600 vor Christus in Aegypten namentlich bekannt. Wer hat nicht von den Aussätzigen der Heiligen Schrift gehört? Die Zahl der heute von dieser Krankheit Betroffenen beträgt über 30 Millionen (nach der Statistik der Weltgesundheitsorganisation in Genf).

Moderne Kulturstaaten haben für diese Menschen Heilstätten geschaffen, um nicht zu sagen Aussätzigenheime, denn dieses Wort hat in den Ohren der Betroffenen einen üblen Klang.

Von Trillo, einer dieser Kolonien in Spanien, und von der Tätigkeit eines österreichischen Wissenschaftlers, dort soll hier die Rede sein. Die Siedlung liegt 150 Kilometer östlich von Madrid, umschlungen vom noch jungen Flusse Tajo, inmitten einer angenehmen Hügellandschaft. Gleich hinter dem alten, steingebauten Dörfchen Trillo ziehen sich am linken Tajoufer schöne, neugebaute Häuser hin, die Wohnungen des Personals. Dann steht an einer Straßen- abzweigung eine Tafel: SANATORIO NACIO- NAL DE TRILLO! Niemand ahnt, was damit gemeint ist. Der Eintritt ist leicht, aber wie viele gehen diesen Weg zurück? Man kommt durch ein Tor zu den Gebäuden des ehemaligen Badeortes mit heute noch warm hervorsprudelnder Quelle. Hier leben etwa 50 lepröse Frauen, lieber Serpentinen höher gekommen, sieht man in eine Senke hinab. Da die neue Kirche. Auf der einen Seite anschließend das Schwesternheim der betreuenden Missionärinnen Mariens, auf der anderen Seite die Herberge der zwei Franziskanerpatres und modernst eingerichtete Laboratorien. Unweit davon der Laboral, gute Werkstätten und Schulräume zur Fortbildung.

Am Tajo schließlich, verstreut angeordnet, schmucke Häuserblocks, einstöckig, mit Terrassen, die Wohnungen der etwa 260 Männer. Eine Klinik bester Ausstattung gibt es hier und ein Hospital für die Bettlägerigen. Weiter weg Hühnerställe, deren Betreuung den Kranken einige Ablenkung bieten soll.

Der Lautsprecher über dem Platz bringt Radiomusik, aber er kann die Langeweile der Männer nicht verbannen, die warten und sich sehnen nach dem Tod, oft von Schmerzen geplagt, die Schmerzmittel kaum hinwegzubannen vermögen. Menschen mit Lepraflecken in den Gesichtern, oft mit eingefallener Nase, ohne Augenbrauen. Sie machen einen müden Eindruck. Andere sind am Erblinden, mit weißen Wolken in den Augen. Wieder anderen fehlen die Finger oder sie schleppen sich auf Stöcken, an den Füßen in Verbänden jahrzehntelang eiternde Wunden. Das ist das Sicchtum, dem diese Armen anheimfallen, und am Ende steht das Grab.

Man hat bisher alles mögliche getan für diese Unglücklichen, das modernste und beste Sanatorium auf dem europäischen Kontinent eingerichtet. Die teuren Medizinen nordamerikanischen Ursprungs kauft der Staat. Sie kosten täglich etwa 20 S für einen Patienten und müssen jahrelang genommen werden. Wenn es wahr ist, daß man in drei Jahren gesund sein kann — warum zählt dieses Leprosorium noch nach 15 Jahren seit dem Erscheinen des Medikamentes so viele Kranke? Selbst wenn es in einigen Fällen zur Bazillenfreiheit kommt, der Betreffende bleibt mit seinen Flecken, ohne Augenbrauen, ein Ausgeschlossener der gewöhnlichen Gesellschaft. „Diese Menschen gehören schon nicht mehr dieser Welt an”, schrieb ein griechischer Drogist.

Ein junger Andalusier erzählt die Geschichte seines Leides. Mit dem 10. Lebensjahre begann es. Seine Tante brachte die Krankheit. Sie ist schon gestorben. Zwei Jahre später brachen die Wunden auf an den Beinen. Immer tiefer werdend und sich erweiternd. Mehr als ein Dutzend Jahre war er von unsäglichen Schmerzen geplagt, bis vor zwei JaHren die Nerven von der Krankheit verdaut waren. Er spürt nichts mehr, auch nicht Kälte noch Wärme. „Wenn jemand weiß, daß er Lepra hat, ist es besser, am nächsten Tag in die Erde hinabzusteigen, als weiterzuleben.” — „Wenn ich mich einmal in meinem Leben ohne Wunden sehe, ich weiß nicht, ich werde verrückt.”

Heute ist es soweit. Die Lepra ist besiegt. Dieses Werk blieb einem aus unserer Mitte Vorbehalten, Dr. Gilbert Aue aus Traun bei Linz. Es kostete jahrelange Arbeit, die, nach dem Abgehen von der traditionellen Bakteriologie, ihre Grundlage in seiner eigenen neuen Lehre von den virulenten Toxinen nab m. Darauf, baute sich sejnę, gana „ pläpjnäßigje. Forschung auf. Es war kein .Zufalls treffer, wie so vieles in der Medizin. Der Erfolg hat seiner Idee recht gegeben. Lupus, bisher unheilbare Hauttuberkulose, wurde heilbar. Ueber 1000 geheilte Patienten des Wiener Lupusspitals zeugen dafür; mag auch der Name Kresulfin als Werk einer Wiener Fabrik registriert sein, es ist Dr. Aues Werk. Es war keine leichte Arbeit. Beim ersten Selbstversuch mit einem Milligramm des zunächst gefundenen chemischen Körpers stellte sich an einem Vormittag zehnmal Herz- und Atmungsstillstand bei vollem Bewußtsein ein. Das Bemühen der Aerzte konnte ihn damals am Leben erhalten. Ein Jahr darauf war der springende Punkt gefunden.

Mit diesen Erfahrungen und mit dem bereits endgültigen Heilmittel „Leprosan Aue Le 3” kam Dr. Aue, nach den Probeversuchen im vergangenen Sommer in Griechenland, heuer, Mitte Jänner, nach Trillo. An den zwanzig Probepatienten sah man Dinge, die über alle Vorstellungen gingen. Diese Kranken nahmen täglich dreimal eine Tablette zu 15 Milligramm. Gesicht und Ohren, Arme und Beine wurden täglich mit Leprosanöl gesalbt, auf die Wunden kam Leprosanpuder und Salbe. Ebenso etwas Puder in die Nase. Gleich nach den ersten Tagen waren die Schmerzen weg. Gesunder Appetit stellte sich ein. Augenbrauen kamen wieder. Die Wunden reinigten sich und begannen zu heilen. Die Anschwellungen an den Gliedern gingen zurück und Bewegungsfreiheit trat ein. Nach den Angaben der Patienten fühlten sie wieder Kälte, Wärme und Druck. Alles in allem ein unwahrscheinlicher Erfolg. In gut zwei Monaten kann sich jeder endgültig ausheilen.

Die Behandlung geht unter der Aufsicht Doktor Urbanejas, des führenden Dermatologen Madrids, und der Direktoren der beiden großen Leprosorien Spaniens weiter. In wenigen Wochen kommt der Tag, an dem die endgültigen Resultate der medizinischen Welt vorgestellt werden. Für jetzt gilt das Urteil Dr. Urbanejas, der zwei Fälle in der Klinik San Juan de Dios behandelte: „Ich habe einen Kranken, der Lepra mit allen Merkmalen hatte und jetzt als vollständig geheilt anzusehen ist.”

Wer ist jener Aue, den vor mehr als zehn Jahren ein Genfer Professor als Revolutionär der Medizin bezeichnete, der allerdings nicht zu widerlegen sei? Der heute Ende Vierzig alte Aue studierte Bakteriologie am Rockefeller-Institut in New York, später Chemie in Bremen. Da er sein amerikanisches medizinisches Studium in Oesterreich nicht auswerten konnte, arbeitete er zwei Jahrzehnte in der chemischen Industrie. Welche Schwierigkeiten und Rückschläge er in seinem Leben zu bestehen hatte, läßt sich nicht leicht schildern. Er wäre auch kein Erfinder, wäre sein Charakter so ausgeglichen wie der vieler Menschen. Nach dem Ertragen so vieler Verkennung hat er es Wie kaum ein zweiter ver- Ą dient, daß ei ihm gegeben wurde, s’ö Großes zu schaffen. Von- der Größe des Werkes erzählen die Tränen des Glückes und der Dankbarkeit in den Augen der Kranken.

Ein Oesterreicher darf der Welt sagen: „Lepra deleta est.” Wir, seine Landsleute, erkennen ihn an und sind stolz auf ihn.

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