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Die letzten Dinge nach Wladimir Solowjow

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Im Verlagshaus Herder Wien, Thomas- Morus-Presse, wird ein kleines Budi von nur wenigen Seiten Umfang erscheinen: Wladimir Solowjow, „Die Erzählung vom Antichrist“. Aber diese wenigen Seiten sdion verdienen besonders beaditet zu werden. Sie sind cm markanter Aus- sdinitt aus dem imposanten Werk der neueren diristlidien Religionsphilosophie Rußlands, genommen aus den Schriften eines ihrer geistigen Väter. Als um das Jahr 1930 bei uns der Name Solowjows bekannt wurde, stand den wenigen Interessierten nur die Auswahlübersetzung aus einem deutschen anthroposophischen Verlag zur Verfügung. Daran hat sich bis heute nidus get ändert, nur daß auch diese Ausgabe — durch die verlegerische Initiative in eine fatale Nähe zu Rudolf Steiner gestellt —- seit langer Zeit ebenfalls nicht mehr erreidibar ist. Wenn wir darum den vorliegenden dünnen Band als Ankündigung einer sprachlich und philosophisch einwandfreien Neuübersetzung der spekulativen Werke Solow- jöws, wie etwa der „Zwöli \ orlesungen über das Gottmenschentum“ und der ..Rechtfertigung des Guten“, ansehen dürften, würden also bald wieder viele Kanäle geschaffen, in denen starke Impulse unserem westlichen theologischen Denken, und zwar auf großer Breite, Zuströmen könnten.

Wladimir Soiow jow ist der russische Newman. Im Jahre 1900 starb er, frühvoll- endet, erst siebenundvierzigjährig, und liegt in Moskau begraben. Sein Vater war Historiker von Rang, sein Großvater griechisch- orthodoxer Priester. In seiner Jugend nahm er in seinem Vaterhaus kultivierteste Geistigkeit und tiefe Frömmigkeit, ostkirch- Hcher Prägung, in sich auf. An seinem jugendlichen Geiste wurde bald eine universelle Begabung offenbar. Die spekulative Kraft seines Intellekts befähigte ihn, mit Hilfe der erstaunlich schnell angeeigneten Methoden der w-estlichen Philosophie leidenschaftlich die letzten Fragen des Daseins für sich selbst aufzuwerfen. Zugleich war er ein Mensch voll unvergleichlich großer Güte. Aber er war nicht nur von aaturhaftem Wuchs ein guter Mensch, sondern seine Güte wurzelte tief im christlichen Erdreich seiner Fleimat. Ohne es vielleicht zu wissen, kennen viele bereits einen Teil seines Lebens. Seine künstlerisch überhöhte Biographie ist in die Weltliteratur eingegangen. Denn der Aljoscha in den „Brüdern Karamasoff" ist niemand anderer als Wladimir Solowjow. Dostojewski hatte ihn, seinen Freund, vor sich, als er ,diese Gestalt schuf. Angesteckt von dem Atheismus des abendländischen Denkens, mußte der junge Solowjöw durch das Inferno des Zweifels hindurch. Aber sein unbestechliches Suchen und seine glühende Seele, von Natur aus christlich und aus Gnade, überwand bald eine solche vorläufige Position. In die Mitte seiner denkerischen Entwürfe stellte er den Gott-Menschen Jesus Christus. Er versucht, von da aus dem modernen Menschen die christliche Relig-on in einer Gestalt darzubieten, daß er einsieht, wie in dem gott-menschlichen Mysterium die göttliche Trinität, die heilige Kirche, der Mensch und seine Geschichte und die gesamte Kreatur ihre Kristallisationstelle haben. Das gerechtfertigte Gute ist ihm das zweite universalistische Prinzip, das, auf die zeitgenössischen Moralprobleme hin ausgelegt, die Absolutheit des Christentums außer Zweifel setzt. All-Einheit der gesamten Daseinsbereiche ist das Vollendungsziel des Kosmos und det Geschichte. Um so schmerzlicher schien ihm der Mangel solh unerläßlicher Einheit bei dem Gebilde, das aus dem Herzblut des Erlösers entsprungen ist, bei seiner heiligen Kirche. Soviel an ihm lag, sollte der aus einem Stück gewebte Leibrock Christi nicht zerrissen bleiben. Ohne die wahre traditionelle Orthodoxie zu verlassen, wie es auch niemand fordert, legte er in der Kapelle von Notre Dame de Lourdes in Moskau am zwe’ten Fastensonntag des Jahres 1896 das feierliche Glaubensbekenntnis ab an die universale Kirche, deren organischer Mittelpunkt und oberster Hirte der Papst ist. Es war auch kein Widerruf, wie manche glauben annehmen zu müssen, als er sich von einem orthodoxen Priester die Sterbesakramente reichen ließ, denn auch das kirchliche Gesetzbuch sieht diesen Fall vor. So nahm Solowjow vorweg, was für die Gesamtheit der getrennten Kirchen noch geschehen muß, damit das hohepriesterliche Gebet Christi um die Einheit der Seinen in dieser Welt verwirklicht werde. Dieser universelle Geist schuf viele Voraussetzungen dafür, das Christentum den noch Nicht- gläubigen auch unerer Zeit verständlich zu machen. Den Gläubigen aber hilft er, in geläutertem Glauben und unter dem Primat gnadenhafter Liebe der Mysterien der Kirche froh zu werden.

Als Vermächtnis und als eine Art geschichtsdeutender Prophetie hinterließ uns Wladimir Solowjöw seine „Drei Gespräche“. Ihr Vorwort trägt das Datum: Ostersonntag 1930. Er schrieb diese von platonischer Tra dition bestimmten Dialoge sdion bedrängt von den Ahnungen seines Hinganges. Und da er vor den Toren der Ewigkeit stand, wollte er noch einmal in anschaulicher Form sein Flauptanliegcn erläutern. Gegen die Substanzlosigkeit aller unchristlidien Heils- leb ren ist die Polemik dieser Dialoge gerichtet. Ihre Aufgabe ist die Darstellung des Kampfes gegen das Böse in dieser Welt und die Darstellung des Sinnes der Geschichte, wie ihn die konventionellreligiöse Haltung, die kulturfortschritt- liche und schließlich die eigentlidi christlich- religiöse Haltung sieht. Natürlich ist die letzte Solowjöws eigene Einstellung, deren Bedeutung allerdings, wie er überzeugt svar, erst in der Zukunft hervortreten wird. Im dritten Dialog sind es dann vor allem die Gedankengänge eines Paters Pan- sophius, die seine Meinung über den endgültigen Sieg des Guten im wiederkommenden Christus ausdrücken, eingekleidet in die kurze Erzählung vom Antichrist. Diese Erzählung wird von einem der Gesprächspartner so eingeführti „Vor einigen Jahren hat mir einer meiner Kollegen aus meiner akademischen Zeit, der dann Mönch wurde, sterbend ein Manuskript übergeben, das er sehr wert hielt, jedoch nicht drucken lassen konnte oder mochte ... Dieser Aufsatz gibt meiner Ansicht nach, wenn auch in der Form des Erdachten oder wiE ein vorher in der Phantasie vorgestelltes historisches Bild alles das wieder, was nach der Heiligen Schrift, der kirchlichen Überlieferung und der gesunden Vernunft als das annähernd Wahrscheinlichste über diesen Gegenstand gesagt Werden kann.“

Nach christlicher Glaubensüberzeugung ist es wahrscheinlich, daß der Geschichtsprozeß nach Christi Geburt auf die zusammengefaßte Realisierung des Bösen in einer bestimmten, erst am Ende hervortretend n Persönlichkeit zutreibt. Diese Menschwerdung des Satans ist der Ant p-ist, Er ist die nichtige, total wesenlose Gegenfigur zu dem Gottmenschen Jesus Christus. Die Hinweise auf ihn finden sich in einzelnen Apostelbriefen und in der Apokalypse. Die Gestalt des Antichrist, das Tier aus dem Abgrund, ist in der FTeiligen Schrift nur in symbolischen Umrißlinien angedeutet, um dem faktischen Geschichtsverlauf nicht vorzugreifen.

In dem Widerstreit der Gruppen und Parteien, wer der eigentliche Antichrist sei, wurde dieses Theoiogem geschichtsbildend, denn dem Befund aus den Offenbarungsurkunden suchte man seit je in endzeitlich sich fühlenden Epochen historische und zeitgenössischen Figuren einzupassen.

Mit der Legende vom Antichrist entwarf Solowjöw eine neuerliche Mutmaßung, wie der Kampf mit dem Bösen in dieser Welt in seiner entscheidenden Phase .verlaufen könne. Zum Teil gelang ihm damit eine Voraussage von visionärer Kraft, und an einzelnen Stellen ist man sehr verwundert, daß diese Zeilen tatsächlich schon vor dem Beginn dieses Jahrhunderts geschrieben wurden. Die Erzählung enthält erstaunlich zeitnahe Hinweise und praktiziert eine Methode, wie ohne Phantasterei die Bilder der Apokalypse und biblischen Endprophezeiungen mit konkretem Geschichtsgeschehen ausgefüllt werden können. Natürlich darf darin nichts gepreßt werden. Es soll auch nicht gesagt sein, daß die Wiedervereinigung der Kirchen unbedingt erst am Ende der Zeiten erfolgen könne. Denn auch dieser historisch angelegten Erzählung kann symbolischer Entsprechungscharakter unterlegt werden. An einer Stelle der Heiligen Schrift ist ja von einer Mehrzahl von Antichristen die Rede. Es hat darum die Ansicht viel für sich, daß jeder Cäsar, Usurpator, Diktator, jede totalitäre Staatsmacht eine Teilverwirklichung, eine hinweisende Vorwegnahme des am Ende der Geschiche auftretenden Antichrists ist. So gesehen, dauert die apokalyptische Situation ist nicht wenigen Einzelheiten ununterbrochen an oder kann jeden Augenblick durchbrechen, denn gewisse Konstellationen wiederholen sich im Laufe der Geschichte. Dann könnte Solowjöws Vision so ausgelegt werden, daß auch schon für uns teilweise gilt — obwohl wir eher ein neues Weltalter Heraufziehen sehen —, was er vom nahe vermuteten Vollendungszustande zeichnete. Welcher Auffassung wir immer uns anschließen, der apel- lierenden Kraft der Erzählung vom Antichrist wird sich nicht leicht jemand entziehen: sie wird die sinnvolle Lesung der geheimen Offenbarung des Johannes fördern und die Gabe der Unterscheidung schärfen, um die Chiffren der historischen Ereignisse recht zu lesen.

Die Übersetzung der „Erzählung vom Antichrist" in der vorliegenden Ausgabe besorgte Paul Viator. Er schrieb auch die gediegene Einleitung. Beides wird gefallen und dem großen russischen Christen Wladimir Solowjow, auch wo er noch nicht bekannt ist, Freunde schaffen. Da in der politisdien Eschatologie der vergangenen Jahre das säkularisierte biblische Bild vom lOOOjähri- gen Reich sein Unwesen trieb, hätten wir gewünscht, daß der schon abgekürzte Schlußsatz der Erzählung präziser die Identität der apokalyptischen 1000 Jahre mit der endgültigen und ewigen Auferstehungswelt hätte erscheinen lassen, das um so mehr, als es den Anschein hat — französische Nachrichten berichten bereits von einer notwendigen Stellungnahme der Beschöfe —, das in sektiererisch- spiritualistischer Art das Irrlicht eines neuen Chiliasmus in unerleuchteten kirchlichen Kreisen aufflackert.

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