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Die Leute suchen nach Identität

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Das Fußballfieber findet am samstag seinen höhepunkt: sturm graz und rapid wien kämpfen im prater im direkten duell um den meistertitel.

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Das Fußballfieber findet am samstag seinen höhepunkt: sturm graz und rapid wien kämpfen im prater im direkten duell um den meistertitel.

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DIEFURCHE: Herr Osim, am Samstag steigt in Wien das große Meister-schafisfinale Sturm Graz gegen Rapid Wien. Ist das fiirSie das wichtigste Ereignis in Ihrer bisherigen Karriere als Fußballtrainer?

Ivica Osim: So kann man das wohl nicht sagen, denn man muß im Leben immer auf noch wichtigere Dinge warten. Aber natürlich ist so etwas für jeden Trainer eine große Sache. Die wirklich wichtigen Sachen des Lebens sind allerdings andere. Fußball ist die zweitwichtigste Sache im Leben. Das normale Leben ist ein sehr ernstes Problem, besonders bei uns in Bosnien. Darum könnte ich nie sagen, daß das nun die wichtigste Sache für mich wäre. Wichtig ist das vor allem für die Spieler, für die Fans, für den Präsidenten. Vielleicht ist es auch für die Steiermark als Begion von ökonomischer Bedeutung. Man muß aber gar nicht so weit gehen, die Wichtigkeit dieser Sache groß zu bewerten, denn es ist ja immer noch ein Spiel.

DIEFURCHE: Was in Ihrer Heimat passiert ist, war nun kein Spiel, sondern blutiger Ernst Was empfinden Sie heute, nach dem Friedensabkommen von Dayton, wenn Sie an Sarajewo denken? OSIM: Jetzt kann man leichter telefonieren. Das ist das einzige, was besser geworden ist. Alles andere ist, glaube ich, dasselbe. Natürlich ist es besser, weil es keine Bombardierungen gibt, und die Leute einigermaßen normal leben können. Wie normal das aber wirklich ist, ist eine andere Frage. Jetzt, wo Buhe herrscht, sind nicht wenige Leute vielleicht mehr schockiert als während der Bombardierungen. Die wissen jetzt nicht, was los ist. Und wenn sie schon nicht reell bombardiert werden, so werden sie doch politisch bombardiert. Das ist auch schlimm. Diese kleinen Spiele hinter den Kulissen, die sind vielleicht noch gefährlicher. Jetzt wird Bosnien wohl endgültig aufgeteilt werden.

DIEFURCHE: Selbst wenn das nicht so wäre: Könnten Muslime, Kroaten und Serben nach all dem, was passiert ist, noch miteinander in einem Staat leben? OsiM: Die Menschen müßten ein wenig mehr Zeit haben. Man kann solche Dinge nicht auf einmal vergessen. Vergessen darf man nie, aber leben kann und muß man. Man kann ja ohnehin, schon von der Geografie her, nicht nebeneinander leben, ohne miteinander Kontakt zu haben. Schade ist, daß die extremen Nationalisten noch immer an der Macht sind. Und sie versuchen noch immer, ihre eigene Haut zu retten auf Kosten der Leute. Und die ganz normalen Leute, die diesen Wahnsinnigen gefolgt sind, die träumen noch immer. Die sind noch immer nicht aufgewacht, um zu sehen, was da angerichtet wurde. Die müssen einfach wieder normal leben anfangen und aufhören zu träumen von Großkroatien oder Großserbien.

DIEFURCHE: Bei allem Unheil, das über Ihre Heimat gekommen ist, haben Sie ja vergleichsweise viel Glück gehabt OSIM: Ja, ich habe Glück gehabt. Meine Familie ist am Leben. Und ich habe den Fußball, das ist für mich eine Sache, durch die ich von Zeit zu Zeit alles andere vergesse. Da muß ich mich voll konzentrieren und kann an andere Dinge nicht denken.

DIEFURCHE: Das ist interessant, denn es gibt ja Soziologen, die den Fußballfür eine Art Kriegs-Ersatz halten ... OSIM: So etwas kann man immer sagen, und irgendwelche Professoren können überhaupt behaupten, was sie wollen. Aber es gibt nun einmal das Phänomen Fußball, und auf der ganzen Welt kommen die Leute zusammen, um es zu erleben. Vielleicht können die Soziologen erklären, warum das so ist. Es gibt wohl verschiedenste Varianten: Da hat es was mit Armut zu tun, dort damit, daß es einfach ein schönes Spiel ist. Auch im alten Born hat man ja schon gern gekämpft, und die Gladiatorenkämpfe waren viel grausamer als Fußball, Fußball ist da ein sehr korrektes Spiel.

DIEFURCHE: Wenn man in einem Fußballstadion sitzt oder steht, kann man aber schon auch ein gehöriges Aggressionspotential zu spüren bekommen... OsiM: Aggression ist ein weiter Begriff, das kann vieles bedeuten. Das kann positiv und ganz ruhig sein, das kann auch gefährlich sein. In unserem Stadion hat es Gott sei Dank nie so etwas gegeben wie im Brüsseler Heysel-Stadion. Aber natürlich, Aggression ist etwas, was immer dabei ist, das kocht, aber das ist ganz normal. Was könnten Sie denn schreiben über ein Fußballspiel, wenn es diese Atmosphäre nicht gäbe?

DIEFliRCHE: Gleichzeitig ist aber die Begeisterung für den Fußball durchaus etwas, wofür man sich auch in feinen Kreisen nicht zu schämen braucht OSIM: Ja, da gibt es reiche Leute, die versuchen, dem Fußball finanziell zu helfen. Die unterstützen den Fußball, weil sie selbst die Medien brauchen. Das ist auch ein gewisser Modetrend. Und dann gibt es auch welche, die zahlen, weil sie den Fußball einfach gern haben. Ich kenne auch viele Professoren, die auf den Fußballplatz gehen, denn dort kann man etwas lernen. Die ganz normalen Leute und die jungen Leute, die suchen auf dem Fußballplatz auch so etwas wie Identität. Es gibt gefährlichere Arten, nach Identität zu suchen, den Krieg zum Beispiel. Diese Menschen finden ihre Identität in der Farbe, die ihren Klub symbolisiert, sie versuchen, eine Gruppe zu bilden, sie versuchen unter den acht Millionen Menschen in diesem Land jene zu finden, die mit ihnen eine Gruppe bilden.

DIEFURCHE: Man sieht jetzt auch wieder mehr Politiker in den Stadien. OsiM: Ja, aber das ist ein Phänomen, das nicht nur auf den Fußball, sondern auf den Sport insgesamt zutrifft. Die Politiker sind ja nicht dumm, die kommen, weil sie wissen, daß sie selber nie mehr Veranstaltungen mit 100.000 Leuten machen können.

DIEFtlRCHE: Sie haben immer wieder Ihre Sorge darüber geäußert, daß Ihre Spieler nicht ,frei genug im Kopf seien Was meinten Sie damit? OSIM: Daß zuviel Druck von außen da ist. Das ist schon von der sportlichen Seite her sehr schwer für die Spieler beider Mannschaften, daß da jetzt plötzlich in einem Spiel alles entschieden werden soll. Jetzt kommt noch dazu, daß die Spieler, die ja nicht dumm sind, sich fragen, was denn da eigentlich passiert ist. Die wissen, daß sie ein paar gute Spiele gemacht haben, und die Manager - nach dem Bosman-Urteil herrscht ja bei den Spielertransfers eine fast grenzenlose Freiheit - erzählen ihnen von den Möglichkeiten, die sich ergeben könnten. Wenn sie älter wären, würden sie vielleicht mehr überlegen, dann würden sie wissen, daß man sein Leben nicht in der Perspektive eines Tages oder von 14 Tagen leben kann. Aber das ist schwer, das sind ganz normale Burschen und sehr jung, deshalb können sie nicht so denken. Und vielleicht sind sie ja intelligenter als wir Alten. Denn alles, was jetzt passiert mit diesen Krisensituationen im Sozialbereich und in der Ökonomie, legt ja den Schluß nahe, daß man alles nehmen muß, was man jetzt kriegen kann, weil später alles unsicher ist.

DIEFURCHE: Und Sie selbst, wie denken Sie über Ihre Zukunft nach? OSIM: Wir sind ja alle normale Menschen. Ob einer Churchill ist oder Einstein, jeder hat sein Limit. Auch ein Fußballtrainer. Irgendwann muß jeder wissen, wann er die Mannschaft wechseln muß. Irgendwann merkt er, daß ihm die Ideen ausgehen, und wenn er sich zu wiederholen beginnt, ist das gefährlich.

DIEFURCHE: Sie wissen also nicht, ob Sie in Graz bleiben oder ob Sie gehen? OsiM: Eigentlich möchte ich nicht gehen. Ich hätte ein paar Gelegenheiten zum Wechsel gehabt, aber das war mir zu hektisch! Im europäischen Fußball ist es ja heute so, daß ein Trainer gefeuert wird, und am nächsten Tag muß der Neue da sein. Ich kann es aber nicht endgültig sagen, denn jetzt will ich mich auf die beiden letzten Spiele konzentrieren. Die Atmosphäre dieser Spiele ist wichtiger als ein Trainer.

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