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Die lockende Grenze

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Gleich hinter der österreichischen Staatsgrenze bei Salzburg liegt eine kleine bayrische Ortschaft, modern, hübsch und sauber: Freilassing. Modernität und Sauberkeit sind zwar im Zeichen der „Hochkonjunktur“ nichts Be-

sonderes, doch nimmt die große Anzahl der schönen Geschäfte in einem Provinzdorf ohne ersichtliches Hinterland wunder. Besonders aber staunt man, daß dieses Dorf sogar über ein großes und modernes Warenhaus verfügt, wie man es nur in Städten findet. Zunächst glaubt rtsatjiritlTilsetoaferiSkttsdien BtostsfrafeHk za*;seui, da in den Straßen *meht;i,Au*QS mit österreichiscTien*'als mit deutschen Kennzeichen zu finden sind und man sogar in den kleinsten Geschäften eine Taüsendschillingnote wechseln kann.

Ein Freilassinger sagte einmal frei heraus, daß sein Heimatort seinen schönen Aufstieg einzig und allein dem österreichischen Schilling verdanke!

Nun bieten aber in ähnlicher oder abgewandelter Form auch Tarvis, der Brenner, St. Margarethen, Lindau, Mittenwald, Reichenhall, Simbach und Passau das gleiche Bild wie Freilassing. Mit einer Selbstverständlichkeit sondergleichen wird dort der österreichische Schilling in Zahlung genommen — und gleichzeitig der arme Oesterreicher tief bemitleidet, weil er die „gute und billige Ware“ in seinem eigenen Lande nicht bekommt.

Warum aber kauft der Oesterreicher wirklich soviel und so gerne jenseits der Grenze? Warum benützt er sogar seine Auslandsreisen, um Gegenstände des täglichen Bedarfes im Ausland zu besorgen? Sind denn die einheimischen Produkte wirklich so schlecht oder wird hier sowenig Auswahl geboten? Sicherlich nicht, denn die österreichischen Exportziffern beweisen glatt das Gegenteil! Oesterreichische Qualitätsarbeit ist im Ausland beliebt und geschätzt, im Inland aber gilt sie wenig. Warum nur?

Man gehe nur einmal mit offenen Augen durch österreichische Geschäftsstraßen und betrachte Schaufenster und Plakate. Da werden Schuhe der Marke „Milano“ oder Mäntel der Marken „Roma“ oder „Napoli“ angeboten, Textilgeschäfte offerieren „original Importstoffe“ oder Waren von „garantiert englischem Import“. Es gibt überall „Deutsche Wertarbeit“ und Waren, über denen grandios zu lesen ist: „Deutscher Import.“ Und Plakate schreien, daß es dieses oder jenes jetzt „endlich auch in Oesterreich“ gebe, so daß man fast versucht wäre, dem Importeur für die Rettung aus größter Not zu danken, weil er diese Seife oder jenen Strumpf ins Land bringt.

Der Fall ist klar! Da die österreichischen Kaufleute, sicherlich nicht in schlechter Absicht, zuviel Reklame mit dem ausländischen Erzeugnis machen, verweisen sie den Käufer auch an das Ausland. Nun klagen die Kaufleute gerne über die hohen Zölle und die hohen Steuern, und gewisse politische Agitatoren weisen auf die angeblich so unberechtigten Handelsspannen hin, sie sprechen über den korrupten Handel und die ausbeute-

rischen Industriellen. Dies gibt unseren lieben Landsleuten zu denken. Man weiß nun, daß die hier zu kaufenden Waren wegen der Zölle, Steuern und Spannen sehr teuer sein müssen und daß einem die Kaufleute immer den „letzten Schmarren andrehen“. Nun, einerseits soll man „dem Staat nichts schenken“ und anderseits hat der Kaufmann „eh genug. Woher hätte er sonst sein Auto?“ Also, man kaufe im Ausland. Wo? Das sagt ja der Kaufmann selbst: Italienische Schuhe und Strickwaren, englische Stoffe, deutsche Nylonwaren, deutsche Industriewaren, französische Parfüme usw. Nun müßte man annehmen, daß nur Beamte und Bauern, im Ausland kaufen. Nein, es sind auch K a u f-leute selbst, die Waren, die sie selbst natürlich nicht erzeugen oder führen, jenseits der Grenze besorgen, es sind Arbeiter, die selbst österreichische Qualitätswaren erzeugen, es sind Angestellte von Handel, Gewerbe und Industrie, die selbst Arbeitslosigkeit fürchten müßten, könnte die von ihren Betrieben hergestellte Ware nicht in genügendem Umfang abgesetzt werden.

Die nun solcherart angeregte Kauflust im Ausland wird noch durch ein weiteres Moment begünstigt. Es ist nämlich das Warenoffert in den Schaufenstern in einzelnen Ländern sehr verschieden. Der österreichische Kaufmann weiß, daß der österreichische Käufer schlechte Ware ablehnt und fast stets nur gute Qualität verlangt. Er legt daher seine beste Ware in das Schaufenster. Er ist gewöhnt, daß der österreichische Käufer die Qualität der Ware vor dem Kaufe prüft, und findet es daher optisch besser, die billigere Ware nur im Geschäft aufzulegen. Im Ausland findet man dagegen häufig, daß im Schaufenster die billigere Ware liegt, um dem weniger kaufkräftigen Publikum den Eintritt ins Geschäft zu erleichtern. Der dortige Kaufmann setzt voraus, daß jemand, der bessere Qualität: kaufen will, selbst darnach fragt. Zieht dort der günstigere Preis ins Geschäft, so zieht hier die bessere Qualität. Wohl ist diese Trennung nicht in allen Fällen zutreffend, sieht man auch hier schon häufiger das sogenannte „billige Fenster“. Aber es ist doch eine Generallinie. Beide Methoden sind gleich richtig und gleich gut, weiß doch der hiesige Kaufmann, daß der österreichische Kunde selten zur billigeren Ware zurückgreift, wie es der ausländische Kaufmann weiß, daß sein Kunde fast stets die bessere Qualität verlangt.

Gerade dieses Schaufensteroffert läßt den Oesterreicher im Ausland irren. Er sieht schöne Waren zu günstig erscheinenden Preisen. Dazu rundet er noch den Währungskurs ab (aber nie aufl) und rechnet die D-Mark statt zu 6.20 nur zu 6 S oder 100 Lire zu 4 statt zu 4.15 S. Und da der österreichische Kaufmann im allgemeinen nur gute Waren importiert, kennt der österreichische Käufer kaum schlechte ausländische Waren. Das reizt seine Kauflust noch mehr an, zumal er ja schon in der Heimat von der Reklame für ausländische Waren überschüttet wurde. Dennoch kalkuliert der Oesterreicher im Ausland, allerdings aber falsch. Er denkt, wenn er zu dem angeschriebenen (und zu niedrig umgerechneten) Preis Zoll, Spannen und Steuern rechnet, so komme er auf den österreichischen Preis. Er vergißt aber, daß man auch im Ausland Steuern zahlen muß, daß es auch dort Handelsspannen gibt, die sogar oftmals weitaus höher liegen als im Inland. Er vergißt besonders als Grenzgänger die Fahrtspesen hinüber, den Zoll, den auch er zahlen muß (denn nicht immer kann man schmuggeln!), er vergißt den Zeitaufwand, denn Freilassing, Tarvis oder Sankt Margarethen ist nicht über die Gasse zu erreichen, er vergißt auch das Glas Wein oder Glas Bier, das er drüben trinkt (das ist auch „billiger“ und das muß genützt werden) und bei einem Einkauf hier im Lande sicherlich nicht genossen hätte. Schließlich aber vergißt er, daß es in allen Grenzgeschäften auch bessere und daher teurere Qualität gibt, die aber dann pünktlich dasselbe kostet wie hier in Oesterreich. Beispiel: Der Schreiber dieser Zeilen sah im Vorjahr bei einem Besuch in Freilassing eine Mundharmonika deutschen Erzeugnisses um 2.20 DM ausgeschrieben, das sind 13.44 S. Die gleiche Mundharmonika kostete am gleichen Tag in Salzburg 13.20 S. Der Preis kann somit als gleich angesehen werden — schließlich handelte es sich ja auch um die gleiche Qualität!

Kein vernünftiger Mensch wird nun etwas dagegen haben, wenn man Ware im Ausland

kauft. Schließlich macht das Kaufen im Ausland wirklich Spaß. Man will anderseits ja auch, daß der Ausländer hier in Oesterreich kauft. Einzuwenden ist nur dann etwas, wenn man Gegenstände des täglichen Bedarfes, die man zu gleichen Preisen und zu gleicher Qualität auch im Inland erhält, draußen kauft, da diese Käufe nicht nur den inländischen Kaufmann schädigen, sondern im besonderen den hiesigen Arbeiter und Angestellten und letzten Endes auch den Staat.

Was kann man nun gegen diese unbegründete Kauflust jenseits der Grenzen unternehmen? Zuerst sei gesagt: man beginne nicht mit offiziellen Maßnahmen! Man erschwere nicht den Import, man erhöhe nicht die Zölle, man mache keine schärferen Grenzkontrollen, man komme ja nicht mit der Reklame, man könne diese Waren, die es drüben gibt, auch hier erhalten. Man gehe denselben Weg, den der Kaufmann in der Provinz geht, der die Konkurrenz der Stadt spürt — man bediene sich derselben Methoden wie der ausländische Kaufmann! Es bedient sich doch der Händler in der Provinz seit Jahren der gleichen Methoden wie der Händler in der Stadt. Da nun die ausländischen Methoden weder unehrlich noch unanständig, vielmehr ebenso richtig überlegt wie die hiesigen sind, kann man diese leicht übernehmen. Man offeriere (und dies besonders in grenznahen Orten) im Schaufenster dieselben Waren zum selben Preis wie jenseits der Grenzen, und noch etwas mehr, nämlich das, was man drüben nicht sieht. Den Grenzgängern wird es bald auffallen, daß sich die kleine Reise über die Grenze nicht lohnt, da man dieselbe Ware, ohne bei der Grenzkontrolle zittern zu müssen, auch hier erhält!

Aus noch einem Grunde wird es höchste Zeit, die Verkaufsmethoden anzugleichen: Wir stehen knapp vor der Verwirklichung der europäischen Freihandelszone. Es besteht die Gefahr, daß der heute doch nicht völlig ungehinderte Weg über die Grenze bei Oeffnung der Zollschranken zur täglichen Selbstverständlichkeit wird. Das würde zur Katastrophe führen.

Der Kaufmann also soll nicht zuviel Reklame mit ausländischer Ware machen, das heißt er soll das Herkunftsland nicht so propagieren. Er soll sein Offert dem ausländischen Offert angleichen. Der inländische Erzeuger soll sich — was übrigens ohnehin in vielen Fällen schon festgestellt wird — in Auswahl und Modellen seinem ausländischen Kollegen anschließen. Steuern, Zölle und Handelsspannen sind in Oesterreich nicht höher als anderswo, die Kaufleute keineswegs schlecht. Schließlich wollen sie doch ihre Ware absetzen.

Den österreichischen Käufern aber sei eines gesagt: Etwas mehr Stolz und Selbstbewußtsein auf die eigene Leistung täte not! Ist es denn nicht besonders auffällig, daß Tiroler gerade am Brenner einen italienischen Markt ins Leben gerufen haben, daß Kärntner in dem ehemals kärntnerischen Tarvis, dessen Verlust sie nie verwinden können, italienische Geschäfte großziehen? Es soll hier keineswegs Superpatriotis-mus gelehrt werden, es soll nur gesagt sein, daß der Oesterreicher nach wie vor mehr Vertrauen zu sich selbst, zu seinen Werten, die er schafft, haben müßte. Es wird allerhöchste Zeit, den staatsbürgerlichen Unterricht zu fördern, um den staatsbürgerlichen Gedanken zu heben. Von der Verfassungskunde allein lebt der Schüler nicht österreichisch!

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