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Die Lust am Schalen

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Soeben komme ich von einer dieser Rundfahrten durch eine der schönsten Gegenden zurück, die ich je gesehen habe, durch einen jener Landstriche, in die das christliche Frankreich seine Spuren am tiefsten geprägt und in denen es die herrlichsten Bauwerke hinterlassen hat.

Den Namen der Stadt, die das Hauptziel meines Ausflugs war, lasse ich unerwähnt. Man wird sie vielleicht erkennen, wenn ich sage, daß ihre Kathedrale ein Beispiel dafür ist, was der romanische Stil an äußerster Strenge und Schmucklosigkeit in einer heiteren und dennoch wuchtigen Autorität kennt. Daneben steht ein Kloster im gleichen Stil, überhöht von einem wunderlichen polychromen Schmuck, der etwas Orientalisches an sich hat. In der Abstand haltenden Verdoppelung seiner kurzen Pfeiler, in dem Verzicht auf jeglichen Schmuck, in der rechteckigen Geometrie wirkt es mächtig, streng und schön wie ein Traktat des hl. Anselm.

Man tritt in die Kathedrale eki: hat man erst seine Andacht zur Schwarzen Madonna verrichtet, dreht man sich wieder um und erhält einen Stoß mitten ins Herz.

Auf jede Seite des einzigartigen Schiffes, am Fuße dieser erhabenen Mauern, hat man zum Andenken an eine kürzliche Pilgerfahrt zwei Marmorstatuen gestellt, eine Statue der hl. Johanna und eine des hl. Ludwig.

Ist es wirklich Marmor? Ist es nicht viel eher Brotkrume? Naphthalin? Patinakenmark, eben geronnenes Paraffin? Man ist versucht, zu sagen, es sei nicht mit Hammer und Meißel aus einem anständigen Stoff gehauen, sondern mit der Zunge geleckt.

Und dieser wirklich einfältige Ausdruck der beiden heiligen Gesichter, die hier der Verehrung durch die Gläubigen ausgesetzt sind! Scham erfüllt einen zutiefst!

Während das Auto uns einem anderen berühmten Heiligtum zuführt, einem ebenso eindrücklichen wie beschämenden Zeugnis für das Genie und die Frömmigkeit unserer Väter, ertappt man sich über niederdrückenden Betrachtungen.

Dieser fast völlige Mangel nicht nur an Talent und Geschmack, sondern auch an Würde und echter Frömmigkeit-in der christlichen Kunst hält nun schon- .bald ein Jahrhundert an. Wo ist der Grund dafür zu suchen?

Befassen wir uns zunächst mit dem widerlichsten Symptom, mit dieser Art moralischen Diabetis: ich nenne es die Lust am Schalen.

Man könnte meinen, die Gesamtheit der tiefsten und erhabensten Wahrheiten, die es auf der Welt gibt, von unvergleichlichen Dichtern und durch eine strahlende Reihe übermenschlicher Helden verherrlicht, werde normalen Kindern von einer schwachsinnigen Amme erklärt, die. stammelt: Baby Dodo machen, Vati Spielsachen 'machen, schöne Zu-zuckerchen geben, und so fort...

Wenn das Salz seinen Geschmack verliert, womit wird man dann salzen, fragt das Evangelium. Und die Katholiken unserer Tage antworten wie aus eiriem Munde: mit Zucker.

Mit diesem Regenwasser, das selbst Den anwiderte, der sich am Kreuze mit Essig und Galle gelabt hat, und das er mit Abscheu aus seinem Munde spie (Apok. 3,. 16), rühren wir seit vielen Jahren unser Kunstsüppchen an. Das Übel stammt nicht von heute. Versuchen wir, seine Wurzel freizulegen. Es geht auf das Ende des Mittelalters zurück. Die Renaissance hat noch eine gewisse Fleisch- und Muskelfülle, einen animalisch-lauten Jubel. Das 17. Jahrhundert kannte Proportion, Beredsamkeit und majestätische Größe. Das 18. hatte Geist, Liebenswürdigkeit und Anmut. Louis-Philippe selbst noch ein gewisses Dekorum, eine Art bourgeoiser Kindlichkeit.

Und wir, was-haben wir, was sehen wir um uns herum, welches sind die tieferen Ursachen für solch klägliche Verhältnisse?

Eine davon ist ohne weiteres zu erkennen. Das ist die Gewerbsmäßigkeit der Kunsterzeugung. Es ist viel leichter, innerhalb des Konventionellen zu arbeiten, als etwas Originelles zu leisten. Es ist viel bequemer, nachzuahmen, als neu zu schaffen. Der Händler ermittelt den Durchschnittsgeschmack seiner Kundschaft und stimmt die Nummern seines Katalogs darauf ab. Es handelt sich nicht darum, Gott mit dem Werk unserer Hände zu ehren, wie Beseleel es tat. Es handelt sich darum, für den Kult und das Gebet irgendeinen Vorwand zu finden, der gewisse Charakteristika erfüllt. Vor allem darf die Kundschaft sich ja nicht irregeleitet fühlen. Ein Pfarrer berichtete mir, wie er versucht habe, der Pietät seiner italienischen Gemeindeglieder einen etwas abgewandelten Typus des hl. Rochus anzuempfehlen, und wie er damit geradezu einen Aufruhr verursacht habe.

Aber das erklärt noch nicht alles. Eine gesuchte, überladene Kunst, hergestellt von anerkannten, offiziellen Notabili-täten auf diesem Gebiet, ist der Kunst, wie sie in Devotionalienläden ausgeboten werden, in keiner Weise überlegen. Sie ist eher noch schlimmer. Mit einer lächerlichen Anmaßung wird stets das gleiche gesucht, Hübsche und Schmucke geboten, das gleiche Lächeln auf Gesichtern, die mit Tränen und Sirup geschniegelt sind. Liegt der Fehler also beim Publikum? Bestimmt, zu einem großen Teil. Es ist eine tieftraurige Wahrheit, daß in weiten Gebieten Frankreichs und Europas die Kirche seit vielen Jahren von Männern entblößt ist. Hie und da zeigt man sich noch bei der Sonntagsmesse einige Spe-zimen des gröberen Geschlechtes. Aber während der Woche sieht man um sich herum nur noch alte Frauen und alte Jungfrauen. Der Gedanke sei mir fern, etwas Böses über diese gläubigen Seelen zu sagen, die man lächerlich zu machen versucht, indem man sie „Betschwestern“ nennt. Wären nicht wenigstens sie da, Christus wäre vollkommen verlassen. In Amertka sah ich sie unter einem Blizzard, in der morgendlichen Finsternis, bis zu den Knien im Schnee watend, zur Kirche gehen. Gott allein weiß, was sichy an Heroismus, Tugend, glühender Treue in diesen verborgenen und verachteten Herzen verbirgt. Aus ihrer Mitte ragt wie eine Säule eine Pauline Jaricot hervor, die Gründerin des Werkes des heiligen Apostels Petrus oder die der eucha-ristischen Kongresse. Aber schließlich weiß ja alle Welt, was in der Kunst ein „altjüngferlicher“ Geschmack hervorzurufen imstande ist, sofern man nur Gefallen an ihm findet, und man muß wohl oder übel anerkennen, daß man bislang Bonbons und Bänder nicht beklagt hat, daß man sein Himmelblau und sein Gold nicht nachgemessen hat!

Es wäre aber ungerecht, wollte man einzig und allein die Gläubigen beschuldigen. Man muß hiefür ebenso die Prie-slerschaft verantwortlich machen, die sich viel zu lange vor der Welt in eine verängstigte und defensive Haltung zurückzog und geglaubt hat, die Kunst könne sich nur von der Sünde freimachen, wenn sie sich vom Leben abwende. Die Übereinkunft wurde so zum jämmerlichen Gewand der Gewöhnung. Das Gefühl ist nur noch durch eine ängstliche Anspielung angedeutet. Klischee, Redseligkeit, Routine, die fix und fertige Ausführung sind an die Stelle der eingebungsvollen, persönlichen Auffassung getreten. Nicht nur in der plastischen Kunst zeigen sich diese Fehler und die traurigen Früchte einer längst überholten Rhetorik, diese Art Eiweißschaum, den man in seiner unglaublichen Engherzigkeit, Künstlichkeit und Schüchternheit für Beredsamkeit nimmt. Man muß nur die Andachtsbücher aufschlagen, sagen wir von vor zwanzig Jahren, um darin die erschreckendsten Proben dessen zu finden, was ich den Gramidonstil nenne, diesen keuschen, verfilzten Stil, für den der illustre Ernest Renan uns die besten Beispiele geliefert hat.

Und doch verbringen die Priester ihr Leben damit, die herbste, die kraftvollste, die kühnste Dichtung zu lesen und zu betrachten, die es auf Erden gibt, ich meine die Psalmen und Propheten. Sie versehen in Frankreich ihr Amt in überwiegend herrlichen Bauten. Das Gebet, die Berührung mit den erhebendsten geistigen Wirklichkeiten, mit dem erschütterndsten menschlichen Elend öffnen ihnen Herz und Sinn für alles Große, Gute und Schöne. Woher rührt also diese Abneigung gegen einen starken Ausdruck, gegen die heilige, rauhe Wirklichkeit, so wie Gott sie geschaffen hat, mag auch die Sünde sie entstellt haben? Woher rührt der Geschmack nicht nur für das Verfälschte, nicht nur für das Süße, sondern für das Süßliche? Quo modo ob-scuratum est aurum Optimum ?

Der tiefere Grund dafür liegt darin, daß die treibende Kraft der religiösen Kunst seit drei Jahrhunderten nicht mehr der Gedanke ist, Gott zu ehren und den Glauben zu schildern, sondern zu gefallen, auf dem bequemsten Wege den Seelen entgegenzugehen, indem man ihnen schmeichelt, indem man unsere oberflächlichsten Gefühle versorgt. Wie anders soll man es sich sonst erklären, daß in einem Jahrhundert, das soviel große Künstler gekannt hat, einen Rüde, einen Carpeaux, einen Rodin, einen Bourdelle, einen Maillol, einen Despiau, niemals sie es sind, an die die kirchliche Behörde sich wendet, sondern die Marmorhändler für Friedhöfe und Lavabos, die Lieferanten von knochenlosen Götzenbildern?

Die Priester mögen doch in der Chaise-Dieu, wie ich es eben getan habe, diese gewaltige Bischofsstatue betrachten, die sie gleich am Portal empfängt) sie ist ebenso eindrucksvoll wie die berühmte-

Warum denn ist das reine Gold verblaßt? sten Stücke der assyrischen oder chinesischen Skulptur.

Es wäre ungerecht, wollte man nicht anerkennen, daß seit einiger Zeit ein Fortschritt erreicht worden ist! Die moderne katholische Kunst kann mit Stolz auf Namen verweisen wie die eines Dom Beilot, eines Cingria, eines Charlier (der in diesem Augenblick mit einer Zuständigkeit, die ich nicht besitze, im Missiöns-blatt von Saint-Andre-de-Lophem wunderbare Artikel erscheinen läßt), und eines Servaes. Vertrauen wir ruhig darauf, daß die christliche Kunst nicht tot ist. Unter den verdorrten Gliedern schlummert eine Lebenskraft. Fili hominis, putasne vivant ossa ista ?

Die geistlichen Orden, die weniger an den üblichen Geschmack gebunden sind, könnten sich ein Verdienst erwerben, wenn sie die Initiative für eine Wiedergeburt ergriffen. Das wäre doch etwas, um den Eifer der edlen Söhne eines hl. Benedikt, eines hl. Dominikus und eines hl. Ignatius anzustacheln. Es will mir scheinen, diese Rolle stände ihnen in hohem Maße an.

Etwas Strenge, etwas Rauheit, wie gut täte das nach diesem endlosen Sacharin, nach dieser Übersättigung mit Sirup!

Aus Paul Claudel: „Ausgewählte Prosa“, Benziger-Verlag, Einsiedeln

Sohn des Menschen, glaubst du, dafl diese Gebeine da leben?

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