Die Mahagonibänke blieben

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Die Entstehung des neuen Pfarrzentrums im Rheindorf Altach gilt als beispielhaft für die kirchliche Entwickung - auch über Vorarlberg hinaus.

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Die Entstehung des neuen Pfarrzentrums im Rheindorf Altach gilt als beispielhaft für die kirchliche Entwickung - auch über Vorarlberg hinaus.

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Wenn es gegangen wäre, wäre der Kirchenboden auf Straßenniveau abgesenkt und die gewaltige Schrägdecke mit ihren Lochfaserplatten durch eine Flachdecke oder gar Gewölbe ersetzt, und die Mahagonibänke samt anderen Einrichtungsgegenständen, Symbole des neuen Wohlstands der Nachkriegs- und Wiederaufbauzeit, wäre nicht mehr verwendet worden. Es ist nicht gegangen: Nur durch radikale Kompromißbereitschaft, eigenhändiges Anpacken und Eigenverantwortung der Gemeinde konnte das Pfarrzentrum im Rheindorf Altach verwirklicht und zu einem Paradigma kirchlicher Entwicklung in der Region und darüber hinaus werden.

Vom Tempel des neuen Wohlstands ...

Eine Betonhalle, auf Pfähle in den trügerischen Boden demographischer Prognosen gestellt, das war die Pfarrkirche "Altach II". Die Ortsbevölkerung des Stickereidorfs wuchs nach 1945 rasant, die Auftragsbücher waren voll. Eingeweiht wurde die Halle des einheimischen Architekten Norbert Kopf praktisch bei Konzilsbeginn; es gab keinen Pfarrsaal (zehn Jahre später schon mußte die "Unterkirche" provisorisch an seiner Stelle adaptiert werden), aber man sparte weder beim Marmor noch bei exotischem Holz noch an Orgelregistern noch am Geläut. Das Kirchentor - groß, aber winzig in der riesigen Westfront - führte direkt in den Regen. Die alte Kirche von 1826 wurde gesprengt (bei welcher Gelegenheit der ORF-Landesintendant, allzu nahe dran, ein Bein verlor).

... zum Zentrum der Vielfalt Keine vierzig Jahre später ist das Tempelportal nur noch Erinnerung: Rahmen und Giebelrelief sind erhalten hinter der Arkade, die die Wege aus dem Dorf zum Pfarrzentrum und zurück leitet. Als Zugang dient nun ein breites, verglastes Foyer - sommers wie winters eine richtige gedeckte Dorfstraße, an der ehemaligen nördlichen Außenwand der Kirche entlang. Am anderen Ende schließt ein Jugendhaus an; die Wegachse führt weiter über eine Arena zum Vereinshaus, zum neuen Sozialzentrum. Sie hat sich aus der Zentrumsplanung ergeben, die pfarrliche und politische Gemeinde gemeinsam erarbeiteten, bevor sie die Wettbewerbe für die einzelnen öffentlichen Bauten ausschrieben. Links vom Foyer geht es in die Büros und Säle, rechts in den Kirchenraum. In der Südwand der Kirchenhalle öffnet man seit 1998 eine eigene Totenpforte, wenn ein Altacher auf den letzten Weg geführt wird, an Kreuzweg und Gefallenendenkmal vorbei.

In der ehemaligen Apsis ist Platz für eine Kapelle, darüber - außerplanmäßige Zugabe - liegen zwei schöne, intensiv genützte Säle. Obwohl die Glasfenster an Ort und Stelle erhalten blieben, ist der einst dunkle Hauptkirchenraum nun voller Licht. Er ist nach Süden umorientiert - etwas anderes war wegen der Eingänge im Norden gar nicht möglich - und wird von einer zweiten Empore vis-a-vis von der Orgel- und Chorempore eingefaßt.

Die alten Mahagonibänke sind nun in drei Gruppen um den ellipsenförmigen großzügigen Altarbereich gruppiert. Der Altar ist ein gediegener, aber einfacher Tisch, vom Architekten, dem Senior der "Vorarlberger Baukünstler", erfahrensten Kirchenbauer Vorarlbergs und Rainer-Schüler Hans Purin, selbst entworfen. Wenn man ihn fragen würde, würde er Altach III wohl als seinen wichtigsten kirchlichen Bau bezeichnen.

Erbitterter Widerstand Jedenfalls war es der mit der schwierigsten Vorgeschichte. Sobald sich die Möglichkeit einer integralen Lösung abzeichnete - Verwandlung zum Gemeindezentrum mit zentralem erweiterbarem Gottesdienstraum statt Hinzufügung zum vorkonziliaren restaurationsbedürftigen Baukörper -, konnte man in Altach (und bald auch in Vorarlbergs Medien) merken, welche Divergenzen sich unter dem Sammelbegriff "katholische Kirche" verbergen können. Die Opposition, die bis zum Hungerstreik bei Abbau der Kirchenbänke im Jänner 1997 ging, kam vor allem aus Kreisen, deren religiöse Bedürfnisse mit traditionellem Kirchgang bei besonderen Anlässen oder aber mit Andacht in feierlichem Rahmen gedeckt war. Dazu kam die Schwungmasse der "Kirchenfernen", die die 38 Millionen, die das Pfarrzentrum schließlich dank Eigenarbeit nur kostete, schlicht und einfach für "vergeudet" hielten - schließlich war die Altacher Kirche noch keine 40 Jahre alt: "Ein paar Jugendräume, von mir aus; aber gleich die Kirche umdrehen?" konnte man beim Sammeln hören. Hinter dem Projekt stand der aktive Kern der Gemeinde, Räte, Arbeitskreis und andere Mitarbeiter.

Die Gegnerschaft hatte einige Honoratioren auf ihrer Seite - und die Diözesanleitung. Von dieser wurde schließlich trotz des Votums der zuständigen Gremien und Mitarbeiter und trotz einer Briefumfrage von Pfarrer Oberhauser im Ort nach einer Serie von nicht immer noblen Flugblättern eine Volksabstimmung verlangt und damit die Zukunft der Kirchengemeinde aufs Spiel gesetzt. Das Referendum fand im September 1996 statt.

Natürlich: Hätte es keine Gegenstimmen gegeben, wäre wohl etwas faul an den Plänen gewesen. Die zeitweise fast unerträgliche Hitze der Auseinandersetzung aber weist auf lang Aufgestautes, nicht Ausgesprochenes und Verkraftetes im Leben in und mit der Kirche. Das in der Gemeinde gewachsene und ausgereifte Projekt - nicht weniger als 130mal kam der 20köpfige Bauausschuß von 1995-99 mit dem Architekten zusammen - setzte sich Gott sei Dank auch ohne Rückhalt in der Hierarchie durch.

Gemeindeentwicklung durch Krise Es ist nicht so sehr der Bau selbst - Heranführung einer Betonhalle der fünfziger Jahre von durchschnittlicher architektonischer Qualität, wie es zahllose gibt, an kirchliche Normen und Notwendigkeiten, die selbstverständlich sein sollten -, der Altach zu einem Muster kirchlicher Entwicklung werden läßt. Entscheidender ist das Wachstum der Gemeinde, das Urvertrauen, die gegenseitige Achtung und Arbeitsteilung und die Konfliktfähigkeit ohne Bigotterie, aber auch ohne Ausflucht auf andere, naheliegende Ebenen kirchlicher Auseinandersetzung, die in den Jahren der Entscheidung zunahmen: "Wo zwei oder drei in meinem Namen beisammen sind, bin ich mitten unter ihnen."

Dabei wurden Generationsgrenzen überwunden: Gerade Pensionisten nahmen engagiert an den Arbeiten teil. Die Prioritätensetzung war eine immer neue wichtige Übung: Trotz berechtigter ästhetischer Bedenken wurde beispielsweise das alte Inventar wo immer möglich beibehalten, um kein Ärgernis zu geben.

Der Bau, Seele der Ortsmitte, neu und doch vertraut, wirkt stimulierend: Der Chor etwa - nun in den Gottesdienst einbezogen - ist nicht wiederzuerkennen. Während der Bauzeit, der Zeit der Provisorien, nahm die Verantwortung der Gemeinde für die gemeinsamen Dienste und Aufgaben zu - die Vorbereitung auf Erstkommunion und Firmung geschieht etwa nun ehrenamtlich in Gruppen außerhalb der Schule und zieht Kreise in die Erwachsenenwelt hinein.

Zwischen Bau und Verhalten besteht eine Wechselwirkung. Die katholische Pfarrgemeinde Altach hat trotz der Ungunst des Umfelds ein ihr gemäßes Zentrum errungen und damit einen Meilenstein gesetzt auf dem Weg zur Gemeindekirche, mitgeknüpft am Netzwerk lebendiger Gemeinden im Geist Jesu.

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