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Die Matrosenpredigt

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Father Mapple stieg auf die Kanzel und hieß mit sanfter, ruhiger Stimme die Gemeinde in der kleinen Kirche zusammenrücken. „Ihr von Steuerbord nach Backbord, ihr von Backbord nach Steuerbord. Rückt mittschiffs zusammen 1

Unter den Bänken wurde das Scharren schwerer Seestiefel hörbar und das leisere Schleifen von Weiberschuhen; dann war wieder Stille, aller Augen hingen an dem Prediger.

Der stand eine Weile wartend, kniete in der Kanzel nieder, faltete seine großen braunen Hände über der Brust und, das Antlitz geschlossenen Auges emporwendend, sprach er ein Gebet so tief inbrünstig, als kniete und betete er am Grunde des Meeres.

Nachdem er geendet hatte, las er die folgende Hymne langsam feierlichen Tones, daß es klang wie das Notgeläut eines sinkenden Schiffes im Nebel, erst die Schlußstrophen sprach er mit freudigem, frohlockendem Ausdruck:

„Tief in des Wales Leib begraben Lag ich in Schreckens finsterer Haft; Aus Gottes sonnbeglänzten Wogen In schwarze Schlünde fortgerafft.

Den Höllenrachen sah ich gähnen. Endlose Qualen, ew'ger Schmerz Erfüllten mit des Mitleids Tränen Und mit Verzweiflung dieses Herz.

Zu Gott erhob ich meine Klagen, ,Ach, ohne Hoffnung auf Gehör; Doch sieh, er neigt sich meinem Flehen Und schuf ein Ende der Beschwer.

Schnell wie auf schimmerndem Delphine Eilt er, zu wenden meine Not; Schrecklich und hell, wie Blitze lohte Das Antlitz meines Retters: Gott.

Drum lob ich sie in frommen Weisen Die Schreckens- und die Segensstund, Geb Gott die Ehr — und will ihn preisen; Sein ist die Macht, sein ist die Gnad.“

Fast alle stimmen ein in den Gesang, der, mächtig anschwellend, das Getöse des Sturmes übertönte. In der folgenden Pause blätterte der Prediger in der Bibel, legte zuletzt die Hand auf die gewählte Stelle und sagte: „Liebe Schiffskameraden, werft Anker beim letzten Vers des ersten Kapitels Jonas, der da lautet: ,Und Gott schuf einen großen Fisch, Jonas zu verschlingen —'

Maaten, dies Buch, bloß vier Kapitel, vier Garne stark, ist eine der dünnsten Strähne im mächtigen Ankertau der Schrift. Und dennoch. Wie tief sind die Abgründe der Seele, in die Jonas hinunterlotet! Welch furchtbare Lehre kündet uns dieser Prophetl Wie erhebend tönt dieser Lobgesang im Bauche des Fisches! Ungestüm und gewaltig aufrauschend wie die See! Um uns brandet die Flut, rafft uns hinab zum Tang- und Algengrund der Gewässer, hinab in Schlick und Schlamm der Tiefe. Und welche Lehre hat uns dies Buch Jonas zu verkünden? Es ist ein doppeltes Garn, Maaten, und eine zwiefache Lehre. Eine Lehre zunächst, die uns alle angeht, die wir sündige Menschen sind, und dann eine Lehre, die mich allein angeht als den Wächter und Piloten des lebendigen Gottes. Eine Lehre für uns sündige Menschen; denn sie erzählt uns von der Sünde des Jonas, seiner Herzensverhärtung, Furcht und Strafe, seiner Reue und Buße und seiner Erlösung und Glückseligkeit. Wie alle menschliche Sünde hieß auch die Sünde, die dieser Sohn Amittais beging, Ungehorsam und Auflehnung gegen ein Gebot Gottes; gleichviel, was rs für ein Gebot war und wie es ihm Oberbracht wurde, ihn dünkte es ein hartes Gebot. Doch vergeßt nicht, alles, was

Gott von uns will, ist hart, deshalb überredet er nicht, sondern gebietet. Gott gehorchen aber heißt, den eignen Willen brechen; in diesem Brechen des Eigenwillens besteht die Härte des Gehorsams vor Gott.

Jonas fügt zur Sünde der Auflehnung noch die der Verhöhnung. Ein Schiff, von Menschenhand gebaut, soll ihn aus Gottes Hand entführen, hin in Länder, wo nicht der Allmächtige herrscht, sondern allein die Herren der Erde. Auf der Suche nach einem Schiff, das nach Tharsis fährt, schleicht er umher in den Werften von

Joppe. Hier fällt mir ein bisher nicht beachteter Umstand auf. Nach Ansicht der Gelehrten nämlich ist dieses Tharsis dieselbe Stadt, die wir heute Cadiz nennen. Cadiz, Maaten, liegt, wie ihr wißt, in Spanien. Jonas vermochte gar nicht weiter zu reisen in jenen Tagen, da man den Atlantik noch nicht kannte. Joppe, das heutige Jaffa, liegt an der östlichen Küste des Mittelmeers, nämlich an der syrischen; von da bis nach Cadiz, das im äußersten Westen liegt, knapp vor der Straße von Gibraltar, sind es mehr als zweitausend Meilen. Merkt ihr, Maaten, wie Jonas vor Gott floh bis ans Ende der Welt? Unseliger, verblendeter Mann! Weil er den Hut tief ins Gesicht gerückt hat, wähnt er seinen schuldbewußten Blick vor Gott verborgen. Wie ein elender Dieb, dem der Boden unter den Füßen zu heiß wird, schleicht er, das verkörperte schlechte Gewissen, von Schiff zu Schiff; eine so polizeiwidrige Figur, daß er, hätte es damals eine Polizei gegeben, beim leisesten Argwohn festgenommen worden wäre, ehe er sein Schiff betreten. Schon von weitem sieht man ihm den Flüchtling an. Jedes Gepäck fehlt ihm, weder Koffer noch Seesack, nicht einmal eine Schachtel nennt er sein. Kein Freund gibt ihm das Abschiedsgeleit zum Hafen. Nach langem Umherirren findet er endlich das Schiff nach Tharsis, auf dem eben die letzten Frachtstücke verladen werden. Kaum erscheint er an Bord, als die Seeleute in ihrer Arbeit innehalten; der böse Blick des Fremden fällt auf. Jonas kommt dies sehr ungelegen, er will unauffällig und vertrauenserweckend aussehen, ein fadenscheiniges Lächeln spielt um seine Lippen. Verlorene Mühe! Instinktiv fühlen die Matrosen, daß er, der da vor ihnen steht, Schuld auf sich geladen hat. Halb scherzhaft und halb im Ernst, wie das nun ihre Art ist, tuscheln sie untereinander. ,Du, Jack, der schaut aus, als hätt er eine Witwe beraubt.' ,Das muß ein Heiratsschwindler sein.' ,Ein Schänder, der aus Gomorrha geflüchtet ist oder ein entsprungener Mörder aus Sodom.' Und schon läuft einer, den Steckbrief zu lesen, der am nächsten Haltepflock angeschlagen ist und in dem fünfhundert Goldstücke ausgesetzt sind für die Ergreifung eines Vatermörders, dessen Personsbeschreibung mitgeteilt wird. Während der Lesende vergleichende Blicke auf Jonas wirft, umringen die Seeleute den Fremden, bereit, ihn beim Kragen zu packen. Jonas, der vor Angst zittert, sucht eine unbefangene, kecke Miene aufzusetzen; sie kleidet ihn aber schlecht. Er muß die Prüfung über sich ergehen lassen, bis sich die Matrosen überzeugt haben, daß er nicht der Gesuchte ist. Dann läßt man ihn unbehelligt in die Kajüte.

,Wer da?' ruft der Kapitän, der gerade dabei ist, auf seinem zettelbedeckten Pult eilig die Papiere für die Zollbeamten vorzubereiten, ,wer da?' Oh, wie Jonas diese harmlose Frage verwirrt! Am liebsten möchte er auf der Stelle umkehren. Doch er nimmt sich zusammen. ,Ich will auf diesem Schiff überfahrt nach Tharsis. Wann segelt Ihr ab?' Der beschäftigte Kapitän hat bisher kaum aufgeblickt, die hohle Stimme aber läßt ihn aufhorchen! er mustert den Fremden. .Wir segeln mit der kommenden Flut“, antwortet er langsam, ihn unverwandt anstarrend. .Nicht früher?' ,Früh genug für jeden ehrlichen Passagier.' Ha, Jonas, wieder ein Stiehl Das Thema ist unerquicklich. ,Ich fahre mit Euch', sagt er, ,was fordert Ihr für die Fahrt? Ich zahle sofort.“ Denn dies, Maaten, wird in der Schrift ausdrücklich hervorgehoben und soll jedenfalls nicht übersehen werden. Er gab das Fährgeld, und zwar vor der Abfahrt. Das hatte seine Bedeutung.

Der Kapitän nämlich, mit dem Jonas zu tun hatte, ist einer von denen, die das Verbrechen förmlich wittern, den Verbrecher aber nur dann verraten, wenn er kein Geld hat. In dieser Welt, Maaten, hat Frevel, der seinen Fahrpreis bezahlen kann, freie Bahn und bedarf keines Passes; Jugend jedoch, wenn sie im Kleid der Armut wandert, wird von jeder Grenze zurückgewiesen. Der Kapitän, bevor er sich auf weiteres einläßt, sondiert zunächst die Tiefe von Jonas' Geldbörse. Er fordert das Dreifache des üblichen Fahrpreises und erhält es. Er weiß nun, daß er einen Flüchtling vor sich hat; doch eine Flucht mit goldner Fährte findet bei ihm Verständnis und Unterstützung. Während Jonas seine Börse leert, plagen den mißtrauischen Kapitän noch immer allerlei Zweifel. Er prüft jedes Goldstück auf Klang und Korn. .Falschmünzer scheint er nicht zu sein', murmelt er und trägt Jonas ein in seine Schiffsliste. .Weist mir meine Koje', sagt Jonas, ,ich bin reisemüde und habe Schlaf nötig.' ,Man sieht's Euch an —', bemerkt der Kapitän, .hier ist Euer Quartier.' Jonas möchte nach seinem Eintritt sofort abschließen, findet aber keinen Schlüssel im Schloß. Als er ihn so töricht umhertappen hört, lacht der Kapitän leise in. sich hinein und brummt etwas von Gefängniszellen, die man auch nicht von innen versperren könne. In seinen staubbedeckten Kleidern wirft sich Jonas aufs Bett. Der Raum ist so niedrig, daß er mit der Stirne fast an die Decke stößt. Die dumpfe Luft läßt sich kaum atmen. In diesem stickigen Loch unterhalb der Wasserlinie erhält er einen Vorgeschmack von dem, was ihm in den Eingeweiden des Wals bevorsteht.

An einer festgeschraubten Achse pendelt eine Lampe an der Kajütenwand. Da das Schiff unterm Gewicht der zuletzt verlad'nen Ballen etwas Schlagseite nach der Kaimauer zu bekommen hat, scheinen die leise zitternde Lampe und ihr Licht schräg im Raum zu schweben, obwohl in Wahrheit die unverrückbar senkrechte Flamme nur die trügerischen Linien ringsum entlarvt. Die Lampe ängstigt und schreckt Jonas. Scheu irren die Blicke des bisher so zuversichtlichen Flüchtlings umher; nirgends finden sie Halt und Ruhe. Immer peinigender wird ihm der Widerspruch zwischen Lampe und Raum. Fußboden, Decke, Wände, alles schief. ,Oh', stöhnt er auf, ,so sieht's auch in mir aus; steil und aufrecht brennt in mir die Flamme des Gewissens und beleuchtet die schiefgesunkenen Kammern meiner Seele!'

Wie nach wüst durchzechter Nacht der heimwärts torkelnde Trunkenbold den Stachel des Gewissens spürt — jenen römischen Rennpferden ähnlich, denen das Eisen um so tiefer ins Fleisch dringt, je heftiger sie bäumen —; wie er in seinen Nöten, vor Ekel und Schwindel taumelnd, Gott anruft um ein Ende, bis seine Qual erlischt in tiefer Betäubung, so wie das Leben eines Verblutenden versickert 1— denn Gewissen ist eine unstillbar blutende Wunde —; so sinkt Jonas auf seinem zerwühlten Lager, bewältigt vom Ubermaß seines Elends, in tiefen Schlaf.

Indessen steigt die Flut; das Schiff, von seiner Vertäuung gelöst, gleitet, noch immer stark überhängend, von der menschenverlassenen Reede hinaus in die offene See; Kurs nehmend nach Tharsis. Dies Schiff, Kameraden, war das erste Schmugglerschiff, die Schmuggelfracht war JonasI Nur aber empört sich die See, sie will so böse Bürde nicht tragen. Ein furchtbares Unwetter bricht los und droht das Schiff zu verderben. Der Bootsmann ruft alle Mann an Deck. Kisten, Ballen und Fässer kollern über Bord, das Schiff zu entlasten, die Rufe der Männer gellen im Geheul des Sturmes, über Jonas' Kopf dröhnen die Planken von eiligen Schritten. Während droben die Hölle los ist, schläft Jonas unten seinen grausigen Schlaf. Er sieht nicht den verfinsterten Himmel und die tobende See, er spürt weder, wie die Balken schwenken, noch hört und achtet er auf das ferne Tosen des gewaltigen Wals, der schon mit weit offenem Rachen die Tiefe durchpflügt. Jonas, wie wir sahen, lag unten in seiner Koje und schlief wie ein Toter. Der Schiffer in seiner Angst läuft hinunter zu ihm und ruft in seine ertaubten Ohren: ,Was schläfst du? Stehe auf!' Der Schreckensruf läßt Jonas auftaumeln aus seiner Betäubung, er stolpert hinauf ans Deck und, an die Wanten geklammert, stiert er hinaus auf die See. Da schlägt auch schon über die Reling hinweg ine Sturzsee ihre Pantherpranke nach ihm. Und so bricht Welle auf Welle über das Schiff, ohne daß schneller Abfluß möglich ist; mit Donnergetöse rauscht der Wasserschwall von vorn nach achtern, die Seeleute fast noch an Bord ertränkend. Und wenn die Mondscheibe, weiß wie ein schreckentstelltes Antlitz, auftaucht aus der jagenden Wolkenschwärze, dann sieht Jonas mit Schaudern, wie das Bugspriet sich hochbäumt und im Hui wieder zurückstürzt in die aufgewühlte Tiefe.

Schrecken auf Schrecken stürmt betäubend durch seine Seele. Die heillose Angst entlarvt den Gottesflüchtling. Mit wachsendem Argwohn blicken die Matrosen auf ihn. Um Gewißheit zu erlangen, wenden sie sieh an den Himmel selber, er soll den an diesem Sturm Schuldigen bezeichnen. Sie werfen die Lose. Das Los trifft Jonas; nun überschütten sie den Verratnen mit zornigen Fragen. ,Was ist dein Gewerb?' ,Wo kommst du her?' ,Von welchem Land, welchem Volk?' Und nun, Schiffskameraden, merkt auf des armen Jonas Verhalten. Die erregten Matrosen wollen bloß wissen, wer er ist und woher. Er aber antwortet nicht allein auf diese Fragen, sondern auch auf solche, die ihm niemand gestellt hat. Dies Bekenntnis Jonas' erzwingt Gottes Hand, die über ihm ist.

,Ich bin Hebräer', ruft er, ,und fürchte den Herrn, den Gott des Himmels, der das Meer und das trockene Land geschaffen hat!' Fürchtet ihn, o Jonas? Ja, es ist Zeit, ihn zu fürchten! Unverweilt beichtet und bekennt er seine ganze Schuld. Trotz ihres wachsenden Grauens haben die Seeleute Mitleid mit ihm. Denn da Jonas, der Unselige, sie auffordert, ihn über Bord und ins Meer zu werfen, weil, wie er wisse, dieser Sturm tobe um seinetwillen, da wenden sie sich erbarmungsvoll von ihm ab und suchen das Schiff auf andere Art zu retten. Alles vergeblich! Immer ärger wüten Sturm und Meer. Da recken sie eine Hand beschwörend zu Gott empor und legen die andere, nicht ohne Unwillen, an Jonas.

Und siehe, nun wird Jonas wie ein Anker hochgehoben und in die See gestürzt. Und sogleich verbreitet sich von Osten her eine Stille, wie Ol beschwichtigend, über die See. Jonas nimmt den Sturm mit sich hinab in die Tiefe, über ihm glätten sich die Gewässer. Ihn aber schluckt ein wirbelnder, schäumender Strom von so entfesselter Gewalt, daß er's kaum merkt, wie ihn der kochende Schwall hineinwirft in den wartend aufgesperrten Rachen; und nun klappt der Wal seine Elfenbeinzähne zu wie ebenso viele funkelnd weiße Gefängnisriegel. Da sendet Jonas aus dem Bauche des Fisches sein Gebet zum Herrn. Achtet auf dies Gebet und beherzigt eine wichtige Lehre! Sünder, der er ist, wimmert er nicht um schnelle Erlösung. Er erkennt, daß seine Strafe gerecht ist und, alles der Gnade Gottes anheimstellend, bescheidet er sich damit, daß er aus Not und Elend noch immer aufblicken kann zu seinem heiligen Tempel. Und das, Schiffskameraden, nenne ich wahre und echte Reue; nicht um Vergebung jammern, sondern danken für die Strafe. Und daß Gott an diesem Verhalten des Jonas Wohlgefallen hatte, zeigt ja seine Befreiung aus dem Meer und aus dem Wal. Maaten, ich stelle euch Jonas nicht als Vorbild hin, daß ihr ihn nachahmt in seiner Sünde, sondern daß ihr ihn nachahmt in seiner Reue. Sündigt nicht, wenn ihr aber sündigt, trachtet zu bereuen wie Jonas.“

Während der Predigt heulte und tobte der Sturm, als ob er die Worte des Predigers bestätigen wollte, der bei der Schilderung von Jonas' Seesturm selber wie von einem Sturm erfaßt war. Seine mächtige Brust hob sich wie schwere See, in den emporgeworfenen Armen schien der Aufruhr der Elemente zu toben, von den finsteren Brauen rollten Donner, und jähes Licht glühte auf in seinen Augen, so daß seine schlichte Zuhörerschaft voll Furcht und erschauernd zu ihm aufblickte.

Stille ward sein Antlitz, als er schweigend die Schrift durchblätterte, dann stand er eine Weile regungslos und mit geschlossenen Augen, gleichsam Zwiesprache haltend mit Gott und mit sich selber.

Dann wandte er sich von neuem an seine Gemeinde, gesenkten Hauptes, und begann mit dem Ausdruck tiefster, doch männlichster Demut.

„Maaten, eine Hand Gottes liegt auf euch, beide Hände lasten auf mir. So gut ich konnte, habe ich euch die Lehre gedeutet, die Jonas allen Sündern gibt, euch wie mir, denn ich bin ein größerer Sünder als ihr. Und nun möchte ich gern von meinem Mastkorb hier hinunterklettern und mich zu euch an die Luken setzen und zuhören, während mir einer von euch die andere schrecklichere Lehre verkündet, die Jonas mir predigt als dem Piloten des lebendigen Gottes. Ihm, dem geweihten Piloten und Propheten, das heißt Wahrheitskünder, gebot der Herr, unwillkommene Wahrheit zu künden den Ohren des frevelnden Ninive; Jonas aber, der Haß zu ernten fürchtete für seine Wahrheit, verriet seine Sendung und suchte seiner Pflicht und seinem Gott zu entfliehen, indem er sich einschiffte in Joppe. Gott aber ist überall, und der Flüchtling erreichte Tharsis niemals. Wir sahen es, Gott kam über ihn im Wal, versenkte ihn in d'e lebendigen Schlünde seines Verhängnisses, raffte ihn fort In die ,Mitte des Meeres', wo die kreisende Tiefe ihn hinabsog, zehntausend Faden tief, wo .Schilf sein Haupt bedeckte', während über ihm die ganze Welt der Schmerzen toste. Doch selbst da, jenseits aller Abgründe, die das Senkblei erlotet, ,aus dem Bauch der Hölle', als der Wal hinabstieß bis ans äußerste Steingerippe des Ozeans, selbst da hörte Gott den verschlungenen, reuigen Propheten, da er ihn rief. Und der Herr sprach zum Fisch, und aus der schaurigen Kälte und Schwärze der See rauschte der Wal empor zum warmen, heiteren Sonnenlicht, zur schimmernden Luft und Lust der Erde und ,spie Jonas ans Land'. Und da zum andern Male das Wort des Herrn an ihn erging, da tat Jonas, zerschunden und zerschlagen, wie er war — und die Ohren summten ihm noch wie zwei Seemuscheln vom vieltönigen Gebrause des Ozeans —, da tat Jonas, was ihm der Allmächtige gebot. Und was war das, Kameraden? Wahrheit zu künden vorm Antlitz der Lüge! Das war es!

Dies, Maaten, ist die andere Lehre, und wehe dem Piloten des lebendigen Gottes, der sie mißachtet! Wehe dem, der, von der Welt bezaubert, seine geistliche Pflicht versäumt! Weh dem, der Ol auf die Wasser zu gießen sucht, die aufgewühlt sind von Gottes Stürmen! Weh ihm, der eher gefallen als schrecken will! Weh ihm, dem sein guter Ruf mehr wert ist als das Gute! Weh dem, der in dieser Welt nicht Schmach und Schande auf sich nehmen will! Weh dem, der nicht auch dann wahrhaft bleibt, wenn eine Lüge ihn retten könnte! Ja, weh dem, der wie der große Pilot Paulus schreibt, andern predigt, selbst aber ein Verworfener istl“ In.sich zusammengesunken schwieg er eine Weile, doch als er sein Antlitz wieder hob, leuchtete Freude aus seinen Augen und er rief in himmlischer Verzückung:

„Oh, Maaten, an Steuerbord jedweden Leids, da steht auch sicherlich und gewiß eine Freude. Und diese Freude schwillt höher, als der Abgrrnd der Schmerzen tief ist. Hebt sich nicht das Mastwerk in die größere Höhe, als der Kiel eintaucht in die Tiefe? Freude, hohe und innigste Freude dem, der vor den stolzen Göttern und Kommodoren dieser Erde standhaft sein unerbittlich Selbst behauptet. Freude dem, der mit starken Armen sich oben hält, wenn das Schiff dieser gemeinen und falschen Welt unter ihm weggesunken ist. Freude dem, der im Kampf für die Wahrheit keine Gnade kennt, der die Sünde tötet, brennt und austilgt, sei sie auch verborgen unter den Roben von Senatoren und Richtern. Freude, hochschwellend wie das Bramsegel zuoberst, dem, der über sich keinen Herrn und kein Gesetz anerkennt außer Gott, den Herrn, und nur Patriot ist seiner ewigen Heimat. Freude dem, den kein Wellenschlag im brausenden Gewühl der Menge abschütteln kann von dieser sicheren Fährte durch alle Zeiten und Alter der Welt. Ewige Freude und Glückseligkeit aber dem, der in seiner Sterbestunde sagen kann mit seinem letzten Hauche: ,Oh, Vater — der ich dich kenne vor allem durch deine Zuchtrute —, sterblich oder unsterblich, mein Herz hört auf zu schlagen. Ich habe immer gestrebt, dein zu sein, nicht dieser Welt oder mir allein zu gehören. Und doch, auch dies ist nichtig vor dir; die Ewigkeit ist für dich allein, denn was ist der Mensch, daß er dauern sollte und leben die Lebenszeit seines Gottes?' '

Hierauf schwieg Father Mapple, spendete der Gemeinde den Segen und blieb, das Antlitz in seine Hände bergend, knien, bis alles fort und er allern war.

Aus dem Roman „Moby Dick', mit Bewilligung des Wilhelm-Fridc-Verlages, Wien. Ubersetzung von H. Greifeneder

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