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Die „Meistersinger” als Satyrspiel

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Die mit der Bayreuther Festspielpraxis unausweichlich verbundene Auseinandersetzung der beiden Regisseure Wieland und Wolfgang Wagner mit immer dem gleichen Oeuvre bewirkt ein ungewöhnliches Eindringen in dieses Werk. Die dauernden Änderungen und Neukonzep- tioneh, so sagte Wieland Wagner, erwüchsen aus einem Gefühl des Unge- nügens vor dem Werk und aus Bescheidenheit. Denn selbstverständlich könne man ein Kunstwerk nicht nachschaffen, wenn man in Opposition zu ihm stehe. Dieser Vorwurf mag hier und da erhoben worden sein, möglicherweise haben auch einige sehr freimütige Äußerungen des Regisseurs dazu Anlaß gegeben. Nun, gerade im Falle Wagner liegen die Dinge nicht so einfach. Das ideologisch Ver- quere. Unleidliche, Zeitbedingte im genialen Werk ruft Opposition herbei. Ein phantasievoller Künstler wird daraus Anregung und Kraft schöpfen. Wieland Wagner läßt sich zweifellos immer wieder auf solche Weise von der Vorlage reizen. Er gelangt zum Widerspruch nicht nur gegenüber manchen Zügen des Werkes, sondern auch gegenüber sich selbst und den von ihm zuvor gefundenen Lösungen. Ein Extrem tritt an die Stelle des anderen: Er ist ein Maßloser, ist ein Wagner!

Im Jahre 1956 waren „Die Meistersinger von Nürnberg” zur Höhe Wagnerschen Gesamtwerkes hinaufstilisiert: ein lichtvolles „Mysterium” — ernster, Wagnerischer im Grunde, hätte diese Musikkomödie gar nicht auf die Bretter gelangen können. Was an Selbstironie Wagners in dem Stück verborgen ist, wandte der Enkel nunmehr 196 3, gegen seine eigene Deutung an. Er mag von dem Horror vor dem „Geistigen” erfaßt sein, das in Reden und Phrasen, als Programm oder Leitartikel, durch das Abendland geistert, und so stilisierte er die „Meister-Singer” diesmal hinab auf das Satyrspiel. Aus der romantischen Ironie einer Shake- speareschen Sommernacht wurde Elisabe- thanisches Rüpelspiel, stattfindend im Globe-Theater. Auch an die Fastnachfspiele des Hans Sachs könnte man denken. Konsequente „Umfunktionierung” stellte den Gewinn von 1956 wieder in Frage, damit er nur nicht „Modell” werde, Bayreuther Muster zum Kopieren, institutionell. Walther von Stolzing, damals ein pures Bild, ständig in Licht getaucht, Idol eines Helden, ist jetzt ein verarmter Ritter, der Eile hat, in eine gute Familie einzuheiraten. Und nicht er ist der revolutionäre Musiker, sondern — man höre und staune — Beckmesser, der vom Volk buchstäblich ausgepfiffen wird. Sein unter dem Druck der Angst unerhört kühner Vortrag durchstößt die Grenzen der Wirklichkeit. Stolzings Preislied-Text ist von innen her aufgebrochen, ins Phantastische verkehrt. Damit einher geht die musikalische Verzerrung des Stolzing-Themas: Groteske als Entlarvung. „Woher mocht’ er solche Gedanken gewinnen?”, fragt das Volk und wendet sich rasch dem nun doch weit bequemeren Ritter zu. Doch ist das nur die eine Seite Beckmessers — vor allem ist er ein Mensch, der hassen kann. Und dieser Haß wirkt als Gesinnung ansteckend. Die noch geringeren Geister, zu klein selbst, um zu hassen, veranstalten Krawalle, berauschen sich. Nicht Beckmesser, der heimliche „Anstifter”, die böse Wurzel im Geiste, bekommt die Prügel, sondern die Bürger sind losgelassen. Hemmungen sind gelöst, Triebe entfesselt. Der Nachtwächter aber schreitet buchstäblich über Leichen...

Der erste Akt ist ein Meisterwerk schauspielnaher Regie, an den Vorbildern Felsensteins oder Rennerts orientiert und diese an geordneter Turbulenz übertreffend. Die Zöpfe falscher Würde sind abgeschnitten. Um auf der Festwiese wiederzukehren: aber als Embleme aus dem Kitschkabinett. Sie erinnern, gewiß nichl zufällig, an den „Kunstgeschmack” einet Zeit, die sich auf Wagner berief, ihn mißbrauchte, aber in seinem immer noch rätselhaften Werk und Wirken gewiß auch Nahrung für ihre todbringenden Anschauungen fand. Es war, genaugenommen, überwiegend das Negative an Wagner, was, als künstlerisches Warnzeichen und in die Distanz des Theaters auf dem Theater gerückt, hier unbestreitbares Ereignis wurde. Das mußte zum Protest herausfordern. Die sachliche Diskussion bleibt, nach diese! ersten Orientierung, noch zu führen. — Leider fehlte der beherrschenden Szenenwirkung das musikalische Pendant. Det junge Amerikaner Thomas Schippers hat noch kein souveränes Verhältnis zu der Partitur gewonnen, die er hier erstmalig dirigierte. Er begleitete brav, lieferte der bewegten Szene die musikalischen Anhaltspunkte. Vieles kam grob und ungeschliffen, einförmig im Dynamischen. Die breite Gesamtanlage war nicht gefüllt. Der musikalische Ablauf geriet unter das Diktat der Szene — das ist in Bayreuth besonders bedenklich. Die Stimmkultur eines Otto Wiener als Hans Sachs, der tenoral strahlende Stolzing von Jess Thomas, dessen Timbre im Forte indes nicht ungefährdet ist, auch Erwin Wohlfahrt und Ruth Hesse, prächtig als David und Magdalena, ließen das Manko fast vergessen. Scharf charakterisiert waren die biederen oder tölpelhaft-komischen Meister, ausgezeichnete Sänger-Schauspieler fast alle; Gustav Neidlingers Kothner und der offenbar mit Bedacht überzeichnete Beckmesser Carlos Alexanders seien hervorgehoben. Nur Anja Si1ja als Eva, stimmlich annehmbar, erschien eher kokett und bewußt als urspünglich im Empfinden; zweifellos eine Fehlbesetzung.

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