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„Die Menschenrechte”

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In das Ringen um die Sicherung der Würde der menschlichen Person im Aufbau des sozialen Lebens hat sich der österreichische Bundespräsident mit der Veröffentlichung zweier bedeutsamer Vorträge eingeschaltet. „Vor und nach der großen Mensdiheitskatastrophe gehalten”, 1929 und 1947, zeichnen sie das Problem der Menschenrechte in der sozialen Ordnung unserer Tage, insbesondere gegenüber den Ansprüchen des totalen Staates. Bei Dr. Renner erübrigt es sich wohl zu betonen, daß seine Ausführungen auf souveräner Beherrschung der rechts- und sozialgesthiditlichen Problematik aufruhen, die es dem Redner möglich macht, in meisterhafter Formulierung und in kürzester Form das zu sagen, worum es sich handelt. Ein Vorzug, der gewiß nicht häufig ist. Dabei ist es selbstverständlich, daß die Formulierungen im zweiten Vortrag gegenüber denen des ersten die Lehren der geschichtlichen Erfahrungen widerspiegeln, die wir in zwei Jahrzehnten schmerzlich sammeln mußten. Hingewiesen sei zum Beispiel auf das Problem Sozialismus und Demokratie, das sich im ersten Vortrag noch so stellt, daß die „Idee des Sozialismus” als Erhebung „gegen die Ideen des Liberalismus und der Demokratie” dargestellt wird, während im zweiten Vortrag die Fragestellung Sozialismus und Demokratie nicht mehr berührt wird. Begreiflich: Wir sehen heute die Fragen des Sozialismus und der Demokratie auf einer anderen Ebene als vor zwanzig Jahren. Wir wissen heute, daß die Demokratie, soll es einen Sinn haben, von ihr zu sprechen, menschlich, geistig errungen werden muß.

Hier ist auch der Standort von Renners Ausführungen. Mit bemerkenswerter Schärfe wird das Eigenrecht der Persönlichkeit und der gesellschaftlichen Bereiche gegenüber dem Staat betont und damit auf die einzig mögliche Grundlage eines nicht utopischen Freiheitsbegriffes hingewiesen. (Christliche Sozialphilosophie hat schon immer darum gewußt.) Mit Schärfe wird die Anmaßung des Staates, alleiniger Schöpfer des Rechtes und alleiniger Richter zu sein, zurückgewiesen. Unter dem Gesichtspunkt des „Weltgewissens” — Renner weist hier auf die Nürnberger Prozesse hin — habe sich ja der Staat selbst unter Umständen als Verbrecher erwiesen.

Ob wohl eine solche Gründung auf dem „Weltgewissen” genügt? Besonders dann, wenn der Naturredrtsgedanke mit aller Entschiedenheit abgelehnt wird? Mit dem „Weltgewissen” wird die Basis der Beurteilung von Handlungen und Tatsachen zwar erweitert, nicht aber vertieft und gefestigt gegenüber etwa den Anschauungen einer rein nationalistischen „Rechts”- findung. Ebensowenig scheint uns die Begründung im Gedanken des „Fortschrittes” zu genügen, zumal dieser Gedanke keineswegs mehr unserem heutigen Geschichts- und Weltbewußtsein entspricht. Die Ausführungen Dr. Renners rufen geradezu danach, den Gedanken des Rechtes im Sinne echten Naturrechtes im Wesen der Personalität und Sozialität des Menschen objektiv und unerschütterlich zu verankern. Sonst bleiben die beachtenswerten und wahrhaft zeitgemäßen Forderungen freischwebende Postulate, und as, was Dr. Renner so eindrucksvoll zu sägen weiß, würde sich in die Forderung eines „Zurück zum Fortschritt” ver- flachen und entleeren.

Das Wirtshaus „Zur verlorenen Zeit”. Erlebnisse und Bekenntnisse. Von Raoul Auern- h e i m e r. Ullstein, Wien.

Es ist schwer, einem Autor gerecht zu werden, dessen liebenswürdige, typisch österreichische Schreibart man schätzt, der nach schwerem, mit Fassung getragenem Leid sich der Heimkehr freut und von plötzlichem Tod dahingerafft wurde, wenn sein letztes Budi, weniger aus böser Absicht als aus dem Streben, da und dort vermehrten Anklang zu finden, seinem Vaterland, wie es einst war, nicht viel mehr aus dem Exil mitzubringen hat als Irrtümer und Spott, eben jetzt, da dieses Land mit letzter Kraft um seine Wiederaufricfatung ringt. — Seine Erlebnisse in Amerika schildert der Autor — nach in anerkennenswerter Weise mit mehr von Mitleid für andere als mit Klagen um sich selbst erfülltem Bericht über mehrmonatige schwere Zeit im Lager Dachau — in unterhaltender Form, ohne viel Neues zu bringen. Seine Schilderung amerikanischen Wesens läßt uns den weltweiten Abstand auch des künstlerisch-kulturellen Wesens hüben und drüben deutlich- erkennen. Interessant ist die bauliche Entstehungsgeschichte von Washington, dessen Wahl als Vorort nötig war, weil gewisse Staaten sich nicht von New York regieren lassen wollten. Die Schilderung der Jagd nach Kurzgeschichten weist uns heim zur Ruhe Stifters und Saars. Der Gedanke, die Brückenbauer wären die Dichter der USA, des Autors Bewunderung der Sky- line von New York, der Hinweis darauf, daß Pearl Harbour, die Stätte gewalttätigen Überfalles, im „Pazifik” liegt, und die wehmütige Feststellung, daß im Westen durchfahrenen Land auf dem zehnten Teil des Bodens ein Ozean von Weizen und Mais daliegt, während Europa bitter Not leidet, könnte Anlaß zu wesentlich mehr interessierenden Ausführungen sein, als es in der Einleitung des Buches die schadenfroh anmutende Skizze über das Drama von Meyerling ist. First ladies and gentlemans hätte der Autor auch im alten Österreich entdecken können.

Auernheimer überblickt mit offenkundiger Zuneigung das ganz alte, weite Land der Monarchie. Trotzdem zitiert er einen „geistreichen” altösterreichischen Politiker mit den Worten: „In Österreich kann man immer nur nach einem verlorenen Krieg leben.” Er läßt seinen Vater sagen: „Wohin kann die Erhöhung des Rekrutenkontingents führen als zu einem neuen Krieg?” Heute könnte er dem Vater berichten, daß man die österreichische Armee hat verdorren lassen, bis daß das Vaterland zugrunde ging. Seine kindhaft anmutenden strategischen Erörterungen hätte er sich und uns ersparen können.

Warum sollte in solchem Zusammenhang dem alten Kaiser Franz Joseph nicht Unfähigkeit nachgesagt werden, warum sollte nicht von dem „engbrüstigen Herrscherstaat” die Rede sein, der in den Berichten irregeführter Globetrotter als „Völkerkerker” herabgesetzt wurde, in Wahrheit mit ministeriellen Klubfauteuils für di Führer der Zerstörung ausgestattet war. Wesentlich ernster ist zu nehmen, wenn Auernheimer die Monarchie einseitig mit der Schuld am Weltkrieg belastet. Von den Mitsiegern von 1918 möchten nicht wenige die Zeiger der Geschichte um ein halbes Jahrhundert zurückdrehen. Sie haben mit den neuen Freiheiten auch zum eigenen Besten nachher nicht viel Kluges anzufangen gewußt.. Es hat aber kaum viel Sinn, im Plauderton weltbewegende historische Probleme zu erörtern. —- Die anmutige Schreibweise dieses echten Österreichers kennen wir. Sein langes, schweres Erleben läßt auch die Bitterkeit verstehen, die ihm in die Feder fließt. Lassen wir ihn nun in Frieden ruhen, da er seine Heimat ja doch lieb gehabt hat, mag er in den letzten Kranz für seine „Mutter” auch Unkraut und Dornen eingefloditen haben.

Tom bei den Fischen. Von Charles Kings- ley. Amandus-Edition, Wien 1947. 118 Seiten.

Offenbar ist dieses Buch für diie Mittelschuljugend gedacht. Aber auch dieser kann es nicht ganz den „Spaß” machen, den der Verfasser nach seinen Worten beabsichtigt. Das erste Kapitel trifft den frisch-fröhlidien richtigen Plauderton. Dagegen fallen die folgenden Kapitel, die die Abenteuer des zum Wasserelf gewordenen Tom behandeln, bedeutend ab. Das Meeresinnere wird als ein verwirrendes Sammel- surium von Tieren, Elfen, Nixen und monströsen Phantasiegebilden geschildert. Eine groteske Phantastik schafft eine Fülle von Spannungen, die sie nur zum Teil löst, so daß das Märdien wesentliche Fragen offenläßt, die das denkende Kind stellen muß, Feen, die das . Prinzip des Guten verkörpern, erziehen Tom zum tapferen Überwinder seiner selbst, doch wird ihr Tun herabgemindert durch den Hinweis, sie handeln bloß mechanisch, „aufgezogen wie ein Uhrwerk.”. Der Verfasser geißelt allerlei menschliche Schwächen, unpädagogischerweise auch die von Eltern und Lehrern. Manche Pointen sind zu hoch, befremdlich die Hinweise auf Ur. zeugung und Seelenwanderung. Die Illustrationen sind mit wenigen Ausnahmen unerfreuliche Karikaturen, vielfach bizarr und imverständlich. Verwunderlich ist, daß der Verfasser wiederholt, besonders zum Schluß, betont: „Ihr sollt nichts davon glauben, selbst wenn es wahr wäre.” Damit begibt er sich des Rechtes, als Jugendschriftsteller ernstgenommen zu werden.

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