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Die Messe — die große Unbekannte

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Alexis Carrel, der Arzt, Biologe und Nobelpreisträger, hat ein bekanntes Buch geschrieben: „Dei Mensch, der Unbekannte.“ Man möchte es als eine arge Unverschämtheit bezeichnen, wenn es nicht ein öffentliches Geheimnis wäre: die Messe, sie ist eine große Unbekannte. Die Messe, die hohe Feier dei Kirche, die von Millionen Messegehern begangen, bestanden, mitgesungen und „mitgemacht“ wird; die Messe, der viele Traktate und erbauliche Schriften gelten. Dennoch ist es so. Wer die sechshundert un-und außergewöhnlichen Meditationen, Notizen und Anmerkungen des französischen Priesters Jean Sain-saulieu zur Messe liest, mitdenkt, hat sich selbst von dieser Tatsache überzeugt. Sainsaulieu hat seine Meßbetrachtungen, die je ganz kurz, ganz knapp 6ind, und in ihrer Kürze immer wieder zwingen, den Atem anzuhalten, für „Laien* geschrieben. Wobei er selbst in seinen „Vorbemerkungen“ bemerkt: „Der Gläubige wird unrichtig, Laie' genannt. Sein Standpunkt ist liturgisch eminent wichtig und hat in den Meßtexten seit Urbeginn einen ganz bestimmten Ort. Die heilige Messe ist ein großer Dialog mit verteilten Rollen.“

Die „Einleitung“ dieser im guten Sinn des Wortes oft schockierenden Randbemerkungen zu den liturgischen Texten der Messe beginnt schlicht mit der Feststellung:

„Erst das 20. Jahrhundert schenkte dem Gläubigen im Kirchenschiff die Kenntnis der Meßtexte... Die Übersetzungen des Kanons der heiligen Messe standen auf dem Index, und so ließ man denn — mehr aus Diskretion als aus Devotion — zur Bekämpfung der Neugier die perlen des Rosenkranzes durch die Finger gleiten. Erst Scheinwerfer und Mikrophon haben die Konvention durchbrochen. Die Schätze der römischen Liturgie, die dichtesten von allen, liegen endlich wieder offen vor uns, und statt über sie hinwegzugehen, bleiben wir stehen, reißen wir die Augen auf, halten wir den Atem an.“

Vielleicht vermitteln diese wenigen Sätze bereits etwas von dem Klima dieses Büchleins: sein „Ton“ ist herrlich respektlos, echt französisch, ohne falsche Scham vor falschem Kitsch, falscher Autorität und Phrase, und froh, frei, ehrfürchtig. Ehrfürchtig umkreist, wie ein Falke bisweilen, dieser französische Priester die Geheimnisse der Messe, vediert dabei nie die Schafe aus dem Gesicht: die Weltmenschen der Moderne, deren große und kleine Sorgen, nicht zuletzt ihre Angst, betrogen, düpiert, falsch barbiert zu werden, er sehr genau kennt. Das macht nicht zuletzt den starken, frischen Atem dieser Meßeinführung aus: fern von jeder Frömmelei, jedem falschen Kniefall und fadem feigen Augenaufschlag sind diese Betrachtungen; sie sind wirklich modern, nicht in Anempfindung, sondern in Partnerschaft, in Zeitgenossenschaft mit dem in der Welt lebenden Mitmenschen. Sie mittein Nahrung. Brot des Lebens.

Einige kurze Exempel, die selbst einladen, mehr zu erfahren. „Salutare da“, gib uns Dein Heil: „Keine Umschweife mehr und keine Anzahlungen: Gib uns das Heil und den Heiland, beide und ganzl Man bettelt nicht um die Hälfte eines Rettungsringes, und Gott will ja, daß wir auf diese Weise um unser tägliches Brot bitten. Solche Gebete, in Befehlsform und unverbrämt, sind nicht die schlechtesten. Zumindest sind sie aufrichtig.“ — „Exaudi

— Herr, erhöre mein Gebet: Man bittet Gott nicht, zuzuhören oder aufzumerken — das wäre nicht höflich —, man bittet ihn, zu antworten. Hören und erhören ist für Ihn das gleiche wie im Lateinischen. Man muß nur um das bitten, was Er gibt. Ist es eine Liebesbitte, so ist sie schon im voraus gewährt. Setzt man Ihm aber egoistische Wünsche auseinander, so hört Er sie nicht einmal. Man hält dann gleichsam einen Monolog vor leerem Haus,“

— „Stille“: „Die Augenblicke der Stille zwischen den regungslosen Akteuren der Messe sind wie die erwartungsvollen Pausen im Film. Nichts rührt sich, und das Drama verdichtet sich. Es geht also in der liturgischen Handlung etwas vor, etwas, das tiefer ist als die wahrnehmbaren Worte und Gesten, etwas wie ein klaffender Abgrund, eine geheimnisvolle Gegenwart, eine unerklärliche Liebe.“ Und dies noch aus dem „Epilog“:

„Von uns vollbracht und von uns empfangen, muß die Messe assimiliert werden, und die Kommunion — wie jede Vereinigung — vollzieht sich im geheimen. Die Danksagung der DANKSAGUNG, das ist jetzt ein Mann, der unbeweglich in der verlassenen Kirche kniet, die Finger wie zu einem leeren Korb verflochten, die Beine auf einem harten Betstuhl geknickt. Die Eucharistie der EUCHARISTIE, das sind diese Muskeln, die sich entspannen und anders zu lächeln beginnen, diese geschlossenen Augen, die sich einem anderen Lichte öffnen.“

Sich einem anderen Lichte öffnen; und es vermitteln, das will die Messe, die größte Unbekannte; ihr dienen will dieses Buch.

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